Lilly Chapman (Secrets of Lilly)

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Lilly

Sieben Jahre zuvor:

Ich sitze mit Alwin und Kaia, meinen beiden besten Freunden an einen der Tische und rühre mit dem Strohhalm, die Eiswürfel in meinem Drink herum. Sie klirren am Glas und kühlen mich allein durchs anfassen ein wenig ab. Plötzlich nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie sich eine Person uns nähert. Als ich aufschaue stelle ich direkt fest, dass es sich nicht nur um irgendeine Person handelt.

„Vater“, sag ich erfreut und lächle ich genauso an. Ihn hier bei uns zu sehen, verwundert mich ein wenig. „Was machst du hier?“, folgt direkt die erste Frage. Er trägt einen seiner teuren Anzüge. Sie sind makellos und schmiegen sich perfekt an seinen Körper. Die trägt er eigentlich nur zu besonderen Anlässen. Und die Konfirmationsparty seiner Tochter zählt da mit rein? Das hätte ich irgendwie nicht erwartet. „Nach euch schauen“, antwortet er und lächelt sanft. Sein Blick wandert erst zu Alwin, danach zu Kaia und dann zu mir. Zum Schluss sieht er auf die Getränke, die in der Mitte unseres Tisches stehen. Jetzt kann ich eins und eins zusammenzählen. Deswegen ist er also hier.

„Keine Angst, Vater. Wir haben bis jetzt nur einen Drink jeweils getrunken“, beruhige ich ihn und streiche mir ein paar meiner dunkelbraunen Haare hinters Ohr. Doch der sich verändernde Gesichtsausdruck meines Vaters zeigt, dass ich anscheinend falsch liege. „Nein, deswegen bin ich nicht hier“, meint er und schaut jetzt nur mich an. „Weswegen dann?“, möchte ich wissen und erwidere seinen direkten Blick. Seine blauen Augen ruhen ganz sanft und warm auf mir. So schaut er mich fast immer an. „Wegen dir“, antwortet er und streckt seine Hand nach mir aus. „Ich würde gern mit meiner Tochter tanzen.“ Damit habe ich noch weniger gerechnet.

Die Überraschung scheint mir förmlich im Gesicht geschrieben zu sein. Denn mein Vater lässt die Hand sinken und macht einen Schritt auf mich zu. „Natürlich nur, wenn du magst.“ Ich muss lächeln und schaue zu meinen beiden besten Freunden, die mich kein bisschen davon abhalten würden und sofort nicken. Mit einem noch breiteren Lächeln auf den Lippen drehe ich mich wieder um und schaue zu ihm hoch. „Liebend gern“, antworte ich, stehe auf und greife nach seiner Hand. Sie ist groß, schwer und warm zugleich. „Ihr habt sie gleich wieder“, sagt er über die Schulter und führt mich direkt auf die Tanzfläche.

„Hab ich dich überrumpelt, mein Schatz?“, fragt er vorsichtig nach und legt seine Hände an meine Taille, als der nächste Song spielt. Er passt perfekt. „Nein, nicht wirklich. Ich hatte nur irgendwie nicht damit gerechnet“, gestehe ich und lege meine Arme um seinen Nacken. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich mit meinem Vater tanze und auch wenn ich anfangs noch etwas unsicher war, gibt er mir sofort das Gefühl, mich bei ihm wohlfühlen zu können. In meiner Familie gibt es keinen Menschen, bei dem ich mich wohler fühle, als bei ihm. Und das muss schon was heißen. Denn schließlich sollte es doch die eigene Mutter sein, bei der man sich am meisten wohlfühlt.

„Achso“, murmelt er leise. Für den Bruchteil einer Sekunde verzieht sich sein Gesicht und ich bekomme augenblicklich Schuldgefühle für das, was ich eben gesagt habe. Doch dann lächelt er und dreht mich, was mir ein überraschtes Kichern entlockt. „Ist es denn schlimm, mit seiner Tochter tanzen zu wollen?“, fragt er und schmunzelt. Wir bewegen uns zum Lied und ich muss feststellen, dass er echt gut tanzen kann. „Nein, absolut nicht. Nur dachte ich…“ Ich lege eine kurze Pause ein, in der ich meinen Blick über die Gästemenge wandern lasse. „Das du eher bei Mutter bist.“ Meine Aussage bringt ihn wieder zum Schmunzeln. Eigentlich dachte ich, er wäre eher verletzt oder so. Doch das ist er nicht. Im Gegenteil. Und das beruhigt mich gerade ziemlich sehr. Jetzt muss ich auch schmunzeln.

„Bei deiner Mutter also, nh?“, hakt er nach und sein Schmunzeln wird amüsierter. Es folgt eine weitere Drehung, die noch besser ist als die erste und unseren Tanzt direkt ins nächste Lied übergehen lässt. „Ja“, sag ich leise und schaue weg. Es ist mir etwas unangenehm gedacht zu haben, er wäre lieber bei seiner Ehefrau, als bei seiner Tochter. Aber dann nimmt er eine Hand von meiner Taille, legt sie mir an die Wange und dreht meinen Kopf so, sodass ich ihn wieder anschauen muss. Das hat er schon des Öfteren getan. Und immer wieder hat es funktioniert. Immer wieder hat er es geschafft, dass es mir besser ging. Das versucht er jetzt auch.

„Deine Gedanken sind nicht schlimm, Lilly. Hörst du?“ Er streicht mit dem Daumen über meine Wange und lächelt. „Ja“, antworte ich leise und nicke. Sein sanftes und warmes Lächeln steckt mich an. „Und gerade möchte ich einfach nur bei dir sein. Bei meiner Tochter. Bei meinem ein und alles.“ Vaters Worte berühren mich. Sie bedeuten mir unfassbar viel. Er bedeutet mir unfassbar viel. „Darf ich raten? Du hast dich wieder mit Mutter gestritten.“ Das darauffolgende Lachen reicht mir als Antwort. Das sich die beiden während des Gründermonats oft streiten, ist nichts Neues. Mittlerweile gehört es fast schon zum Alltag. Auch wenn ich diesen Monat liebe, da dort auch das Gründerfest gefeiert wird, bin ich dann doch froh, wenn alles wieder vorbei ist und auch die Streitereien weniger werden. Denn manchmal sind die echt nicht auszuhalten.

„Du weißt doch wie sie während des Gründermonats ist und ganz besonders, wenn es um die Planung von Veranstaltungen und Partys geht.“ Er seufzt und nickt auf die Partylokation um uns herum. „Ohja“, antworte ich und seufze. Aber eins muss man ihr lassen. Die Lokation sieht unfassbar schön aus. Die Dekoration und alles sind in hellen Farbtönen gestaltet. Besser hätte man es nicht machen können. „Sie hat sich mal wieder selbst übertroffen.“ Wieder dreht mich mein Vater. „Woher kannst du so gut tanzen?“, will ich wissen und wechsle damit hoffentlich unauffällig das Thema. „Stell dir vor, Lilly. Ich bin schon etwas Älter als du.“ Sein Humor ist unvergesslich. Ich liebe ihn. „Haben du und Mutter an dem Gründerball teilgenommen?“ Für einen kurzen Moment leuchten seine Augen auf. Doch dann verblassen sie wieder. „Ja, als alles noch gut war.“

Von dem einen Moment auf den anderen verpufft die gute Stimmung zwischen uns. Sein Körper ist angespannt. Das spüre ich ganz genau. So verkrampft habe ich ihn noch nie gesehen. Das muss schon etwas heißen. Vielleicht war es ein Fehler, ihn darauf anzusprechen. Aber eigentlich ist er immer offen, wenn ich mit ihm reden möchte.

„Lass uns auf den Balkon gehen“, meint er dann auf einmal und seine Ausstrahlung ist wieder ganz normal. Fast schon so, als wäre nichts gewesen. Ich folge ihm wortlos durch die Menge und komme dabei an ein paar Jugendlichen vorbei, die ich kenne. Ein paar von ihnen gehen in meine Klasse. Sie lächeln mir zu und sagen, dass ich toll aussehe. Ihre Komplimente bedeuten mir viel, machen mich verlegen und lassen mich rot werden. Ich trage ein schwarzes Kleid, dass mir knapp über die Oberschenkel geht und somit etwas kürzer ist, als das was ich zur Konfirmation heute Vormittag anhatte. Als ich nochmal einen Blick über die Schulter werfe, sehe ich, wie Alwin und Kaia gerade auf die Tanzfläche gehen. Auch wenn sie es nicht zugeben, würden sie ein süßes Pärchen abgeben.

Ich betrete mit meinem Vater den Balkon, der sich über den Haupteingang des Gebäudes befindet. Glücklicherweise ist hier niemand anderes, außer wir beide. Meine Füße tragen mich zum Steingeländer, wo ich mich seitlich gegenlehne und die kühle, aber dennoch angenehme spätabendliche Luft einatme. „Ich habe etwas für dich, mein Schatz“, sagt er und kommt auf mich zu. Er lehnt sich mit dem Rücken an die Steine und holt eine kleine Schatulle aus der Innentasche seines Anzugs. Dann öffnet er sie und holt eine silberne Kette heraus, an der ein Herzanhänger befestigt ist.

„Wow“, kommt es staunend aus mir heraus und betrachte sie ganz genau in seiner Hand, die er mir hinhält. „Sie ist wunderschön.“ Ich nehme den Anhänger näher in Betracht und stelle fest, dass er mit kleinen, glitzernden Edelsteinen besetzt ist, die wie Diamantene aussehen. Noch nie in meinem Leben habe ich sowas schönes gesehen. „Die habe ich kurz nach deinem vierzehnten Geburtstag gekauft, damit ich sie dir heute schenken kann“, lässt er mich wissen. Er geht um mich herum und ich mache parallel meine Haare zur Seite. „Darf ich?“, fragt er vorsichtshalber nochmal nach. „Ja, bitte“, antworte ich und kann es kaum erwarten, sie an mir zu sehen.

Mit seinen warmen Fingern legt mir Vater die Kette um den Hals. Der Herzanhänger berührt meine Haut und fühlt sich ganz kalt an. Ich liebe sie jetzt schon! „Sie sieht toll an dir aus, mein Schatz“, sagt er und tritt ein Stück zurück, um sie besser sehen zu können. Dann holt er sein Handy aus der Hosentasche und macht ein Foto davon, welches er mir gleich darauf zeigt. „Find ich auch“, antworte ich, berühre den Anhänger und lächle verliebt. Jetzt habe ich mich noch mehr in sie verliebt, falls das überhaupt noch möglich ist.

Vater macht wieder einen Schritt auf mich zu und streicht mit den Fingerspitzen über den Herzanhänger. „Wenn es einmal eine Zeit gibt, in der du mich vermissen solltest, dann drück ihn an dich und denk an mich.“ Er beugt sich vor und küsst mich sanft auf meine Stirn. „Ich bin immer in deinen Herzen.“ Dann dreht er sich um und verschwindet wieder ins Innere des Gebäudes.

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