Raven
„Wir sollten deine Bluse ausziehen“, schlug der Student vor, gegen den ich vor nicht einmal zehn Minuten gelaufen bin. meine Gedanken waren so bei Anna, meiner besten Freundin, die offensichtlich von einen der Verbindungstypen abgefüllt wurde, dass ich völlig vergaß, nach vorne zu schauen und ehe ich mich versah, kippte er auch schon seinen Bourbon auf meine weiße, nagelneue Bluse. „W…Was?“, krächze ich und starre in zwei tiefblaue Augen. Noch immer weiß ich nicht, wie dieser junge Mann hier heißt und erst als ich schlucke, bemerke ich, wie verdächtig nah sich unsere Hände eigentlich sind. Genauer gesagt sind es unsere Fingerspitzen, die sich berühren. Auch wenn es sich hierbei nur um eine ganz kleine, fast schon bedeutungslose Berührung handelt, kann ich das Gefühl, welches dabei ausgelöst wird, keineswegs ignorieren. Ruft er mir das hervor oder liegt es am Alkohol? Hoffentlich zweitens.
„Wir sollten deine Bluse ausziehen“, wiederholt er seine Worte von mir einer Minute. Mit dem Zeigefinger tippt er auf den bernsteinfarbenen Fleck, der sich immer weiter auf den weißen, fast schon cremefarbenen Stoff ausbreitet. Wenn auch nur ganz langsam. „Dann kannst du es viel leichter auswaschen“, hängt der Student hinten an und lässt seine Fingerspitzen nach oben wandern, bis er zum ersten Knopf angekommen ist und ihn direkt öffnet. Sofort schlucke ich schwer und atme genauso schwer aus. „Ja“, antworte ich leise, fast schon flüsternd und lege meine Finger auf den zweiten Knopf, um ihn zu öffnen. Er hingegen lässt meine Bluse los und schaut mir die ganze Zeit dabei, wie ich sie Stück für Stück öffne. Seine tiefblauen Augen brennen sich in meine Haut und lassen mich erröten.
„Wie heißt du eigentlich?“, will ich nun endlich wissen und erwiderte jeden einzelnen seiner intensiven Blicke. „Jonas“, antwortet dieser mit tiefer Stimme und berührt mich sanft an den Schultern, nur um mir dann mit einer eleganten Bewegung die Bluse endgültig auszuziehen. Das ich dabei eine Gänsehaut bekomme, scheint er sofort gemerkt zu haben. Denn auf seinen Lippen, die bestimmt echt gut küssen können, hat sich ein kleines Schmunzeln gebildet. „Das ist ein schöner Name“, sag ich ehrlich und beiße mir verlegen auf die Unterlippe. Die Worte kommen so schnell über meine Lippen, dass ich gar nicht anders reagieren kann. Jetzt bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass das an ihm liegt. Der Alkohol selbst, macht mich nur mutig und selbstbewusst, auch wenn ich das eigentlich schon längst bin.
„Und du? Wie heißt du?“, hakt Jonas nach, berührt meine Wange ganz leicht, die binnen weniger Sekunden anfängt, zu glühen und schiebt mir dann eine Strähne meines blonden Haars hinters Ohr. Eine Geste, die ich über alles liebe. Besonders wenn es Männer bei Frauen tun. Dass das bis eben jedoch noch niemand bei mir gemacht hat, erwähne ich nicht und behalte es wie ein Geheimnis für mich. „Raven“, antworte ich mit einem zarten Lächeln auf den Lippen. Ich habe keine Ahnung zu was das hier im Badezimmer führen wird, aber es gefällt mir. Es gefällt mir sehr. Es gefällt mir sogar so gut, dass ich mich vielleicht auf etwas einlasse, dass ich noch nie zuvor mit einem Typen gemacht habe. Allein der Gedanken daran, lässt mein Herz schneller schlagen.
„R-a-v-e-n“, bringt der Student ganz langsam über seine Lippen und jagt mir damit einen gewaltigen, wohligen Schauer über den Rücken. Noch nie in meinem Leben habe ich diesen Namen so sehr geliebt, wie jetzt gerade. Denn noch nie in meinem Leben hat ihn jemand so heiß und sexy zugleich geflüstert, wie Jonas. Wie schafft es dieser Typ, den ich vorhin zum ersten Mal gesehen habe, solche Gefühle in mir auslösen? Als wäre das nicht schon aufregend genug, taucht jetzt auch noch das Verlagen auf, ihn nicht nur berühren zu wollen, sondern auch zu küssen. Verdammt. Was ist nur los mit mir? „Außergewöhnlicher Name“, meint er, womit er gar nicht mal so recht hat. Doch ich selbst liebe ihn. Sehr sogar. Und zudem könnte ich mir keinen anderen vorstellen. Das ich deswegen in den vergangenen Schulen von einigen meiner Mitschüler gemobbt und als Junge betitelt wurde, ist mir spätestens hier auf dem College vollkommen egal. Anna war damals die erste, die für mich da war. Das war der Baustein unserer besten Freundschaft. Ich habe sie unfassbar doll lieb und bin froh, mit ihr auf dem Lockwood Hall College zu sein.
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Kurzgeschichten zu "Nur die Vergangenheit kennt die Wahrheit"
Teen FictionEs ist Herbst. Du sitzt auf dem Fensterbrett, in deinem Zimmer. Das Fenster ist angeklappt und du hörst, wie der starke Regen gegen die Scheibe prasselt. Es tobt ein unheimliches Gewitter und du denkst, die Welt geht gerade unter. In den Händen hält...