Ein Flüstern im Wind

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von Hell-Dancer

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von Hell-Dancer

Nihra streckte ihre Hände aus; ihre Finger bewegten sich in komplizierten Mustern im Wind. Das Sonnenlicht verfing sich in den rotgoldenen Schuppen auf ihren Handrücken, brachte sie zum Glitzern. Es wirkte fast, als würde sie mit dem Licht selbst spielen.

Es war wunderschön. Geradezu bezaubernd.

Ich lächelte, denn ich sah, wie konzentriert sie war. Wie sehr sie wollte, dass sie dort wirklich etwas erfühlen konnte. Dabei hielt ich es für, nun, unwahrscheinlich, dass das möglich war.

Ein sechster Sinn? Magie? Es waren Märchen, Legenden. Sie wusste, dass ich so dachte, doch sie wusste auch, dass ich sie nicht beleidigen wollte. Ich hatte einfach nicht ihren Glauben, respektierte aber, dass sie die Welt so sah.

Der Ausblick auf das Land war von hier oben atemberaubend. Für mich im Wortsinn. Ich blieb immer einige Schritte vom Steilhang entfernt, um nicht in die mehrere hundert Meter abfallende Tiefe schauen zu müssen. Schon der Gedanke daran ließ meine Hände schwitzen und bescherte mir ein flaues Gefühl im Magen.

Nihra saß ganz vorne, ihre Beine baumelten über dem Abgrund. Sie schien ihn nicht einmal zu bemerken. Ich sah von hier hinten gerade genug: Die Sonnenfinger, die über die Wiesen und Felder streiften. Die Wälder im Hintergrund, deren Blätter sie zu einem gelben Wogen verschwimmen ließen; unmöglich, einzelne Bäume zu erkennen.

„Da ist etwas. Ein Ruf. Ein... Schub." Nihras Stimme klang gleichzeitig verträumt und voller Vorfreude. Ich lachte leise. Es war mitreißend, wie sehr sie an die alten Geschichten glaubte.

Sie drehte sich etwas zu mir um, die Augen noch halb geschlossen. Wärme breitete sich in mir aus, vertrieb jedes nagende und Übelkeit erregende Drücken, das sich in der Nähe des Steilhangs zuverlässig einstellte. Ich liebte, wie das Licht sich auf den kurzen Hörnern an ihren Stirnseiten brach. Wie ihr kupferfarbenes Haar, wild verwuschelt, weil ihr jegliche Ordnung einfach gleichgültig war, im leichten Wind flackernden Flammen glich.

Sie war so viel, das ich nicht war. Enthusiastisch. Wild. Voller Freude und Neugierde.

Ich senkte betreten den Blick, als ihre goldenen Augen mich trafen. Meine Schuppen und Hörner zeigten ein verwaschenes Braun, das, wie alles an mir, langweilig war. Sie hatte keine Angst vor der Tiefe, oder vor irgendetwas. Ich dagegen war voller Sorge und Zurückhaltung.

Nun, immerhin konnte ich sie manchmal auf den Boden der Tatsachen zurückholen, wenn ihre Fantasie sie zu weit von der echten Welt entfernte.

„Du glaubst mir nicht." Sie war nicht einmal empört, ließ sich nur mit einem enttäuschten Laut rückwärts ins feucht-kühle Gras fallen.

„Hier, leg dir wenigstens eine Decke unter." Dafür hatten wir sie schließlich mitgebracht. Ich warf ihr das bunte Stück Stoff zu, konnte mich nicht überwinden, näher an sie heranzurücken. „Und es geht nicht darum, ob ich dir glaube. Natürlich glaube ich dir, dass du etwas fühlst. Aber das ist der Wind, ganz einfach. Keine Magie."

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