6. KAPITEL

76 17 62
                                    

BURN

Ich hatte bislang genau drei Süchte. Erstens: Die Sucht nach Büchern. Zweitens: Die Sucht nach Chickenwings. Und drittens: Die Sucht nach gepunkteten Socken. Seit heute habe ich eine vierte Sucht: Tinsley Cross. Ich gestehe es mir ein und schäme mich dafür absolut nicht.

Während ich am Gartentisch neben Eryx sitze und an dem Etikett meiner Wasserflasche herumspiele, versinke ich in den Erinnerungen an unseren Kuss. Sie hat mich geküsst. Einfach so, weil ihr danach gewesen ist. Ein Kuss, wie aus einem erotischen Traum.

Für mich ist dieses Verhalten neu. Die Gefühle in meiner Brust sind neu. Ein flatterndes Herz hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr. Es fühlt sich an, als verschieben sich die Eingeweide in meinem Thorax, um der wachsenden Größe meines Herzens Platz zu machen.

»Burn, willst du ein Stück vom Wolfsbarsch?« Isadoras Vater taucht mit einer Bierflasche in meinem Rücken auf und wirft einen prüfenden Blick auf meinen Teller. Bisher habe ich weder meinen Salat noch die Kartoffeln angerührt, geschweige denn mir ein Stück Fisch besorgt. Gewöhnlich kann ich kaum abwarten, wenn Hektor Fisch grillt. Er ist eine echte Koryphäe auf dem Gebiet. Heute bin ich jedoch nicht mehr ganz bei mir.

Seine Hand landet auf meiner Schulter und drückt sanft zu. »Du weißt, dass du regelmäßig essen musst«, ruft er mir ins Gedächtnis.

»Er hat Eis mit einer Lady gefuttert«, mischt Eryx sich grinsend ein. Genervt schnaubend verdrehe ich die Augen, was ihn tatsächlich zum Lachen bringt.

»Interessant.« Hektor schenkt ihm nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit. Isadoras Vater kommt nicht damit zurecht, dass die beiden zwar ein gemeinsames Kind haben, allerdings nicht vorhaben, irgendwann zu heiraten. Sowohl Eryx als auch Isadora halten nichts von dem Konzept der Ehe. Die Beziehung zwischen meinem besten Freund und Hektor wäre auch ohne diese gemeinsame Entscheidung schwierig, weil er Isadora geschwängert hat, als sie gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen ist. Quincy wurde vier Monate nach ihrem dreizehnten Geburtstag geboren. Damals bin ich fünfzehn gewesen und konnte mir absolut nicht vorstellen, wie mein gleichaltriger bester Freund einen Vater verkörpern soll, geschweige den schon Sex hatte. Ich kann zwar nicht mit Sicherheit sagen, dass Hektor es wirklich getan hat, allerdings hält sich das Gerücht in dieser Familie hartnäckig, dass er meinen besten Freund mit einem Pantoffel verprügelt hat. Vielleicht würde ich als Vater nicht anders reagieren, wenn meine Teenagertochter schwanger von einem anderen Teenager ist. »Darfst du noch nicht essen oder weshalb rührst du deinen Teller nicht an?«

»Entschuldige Hektor, ich war einfach in Gedanken«, erkläre ich ihm. Mit einem Lächeln nehme ich die Gabel auf und pikse sie in eine Kartoffel. Zufrieden lächelt er mich an, bevor er zurück zum Grill geht.

»Du hast geträumt. Was ist gelaufen?« Eryx lehnt sich mit einem Arm auf den Tisch, den anderen stützt er an der Stuhllehne auf. Sein Oberkörper wirkt durch diese Haltung noch imposanter, als er ohnehin ist. Mein bester Freund ist nämlich ein mächtiger Sportjunkie. Ich beneide ihn um seine Disziplin. 

»Wir haben geredet«, antworte ich kauend. Gegenüber gibt Quincy ein Schnauben von sich. Von mir wird es geflissentlich ignoriert, wohingegen Eryx sie mahnend ansieht.

»Okay. Und worüber?« Eryx nippt an seinem Wasser. Sein durchdringender Blick verursacht Unbehagen meinerseits.

»Über alles Mögliche. Meinen Job, meine Hobbys«, antworte ich schulterzuckend.

»Hast du einen Monolog gehalten oder was?« Eryx grunzt verärgert, worauf ich mit einem Schulterzucken antworte.

»Wie bereits gesagt; wir haben geredet«, wiederhole ich.

Vom Chamäleon in der Skittlestüte | ONC 2024Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt