15. KAPITEL

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BURN

Summend stehe ich in der Holzwerkstatt von Eryx und schmirgle das Regal für Tinsleys Wohnung ab. Zu ihrem bevorstehenden Geburtstag ist mir kein besserer Plan eingefallen, als ein Regal mit eingebautem Kletterpark für Master Oogway und massenhaft Stauraum für ihre Sammelleidenschaft von antiken Taschenuhren. In den letzten Monaten habe ich Tinsley derart gut kennengelernt, dass ich oftmals glaube, sie besser zu kennen als mich selbst.

Sie hasst es, wenn man ein Taschentuch mehrfach verwendet. Sie liebt es, wenn man sanft ihre Finger streichelt. Tinsley verabscheut Kohlrabi, aber liebt Blumenkohl. Sie kann Schlürfen nicht leiden, mit Schmatzen hat sie jedoch keine Probleme. Tinsley liebt Sex zu jeder Tageszeit und verabscheut, wenn ich dabei meine Socken anlasse.

Ein Schmunzeln festigt sich auf meinen Lippen, während ich die eingeschnitzten Muster abschleife. Eryx kommt mit einer riesigen Servierplatte in die Werkstatt und wirft mir einen Gesichtsausdruck zu, der nach einer Pause verlangt. Nickend lege ich die Werkzeuge weg und geselle mich neben ihn an die leere Werkbank.

»Hast du dich für eine Lasur entschieden?« Mein bester Freund beißt genüsslich in ein Sandwich. Vermutlich hat Isadora sie gezaubert, denn nach Eryx handwerklicher Küchenfähigkeit sehen sie nicht aus.

»Ich denke, ich werde eine Beize benutzen«, antworte ich nachdenklich. Ich werfe noch einen Blick auf das Regal, bevor ich langsam nicke. »Vermutlich wird es auf Mahagoni hinauslaufen.«

»Passt zu ihr«, pflichtet er mir bei. »Hast du das Kletterzeug schon zusammengebaut?« Ich nippe an der Wasserflasche und schüttle den Kopf. Meine Augen fixieren die Verkleidung des oberen Regalbrettes. Eryx hatte die Idee, dort eine Klappe zu montieren, welche mit Plexiglas verkleidet ist. Auf meine Bitte hin hat er die Silhouette eines Chamäleons integriert, welches über einige Bücher hinweg krabbelt. Auch wenn mein bester Freund Master Oogway bisher nicht kennengelernt hat, hat er ihn perfekt getroffen.

»Ich bin nicht sicher, auf welcher Ebene ich es anbringen sollte.« Mein Grübeln lässt ihn verstehend brummen.

»Vielleicht so weit oben, dass er dir nicht in den Hintern zwickt, wenn ihr euch am Bücherregal auffresst?«, schlägt er feixend vor.

»Ich bereue, dass ich dir davon erzählt habe«, brumme ich. Trotzdem grinse ich, weil die Erinnerung gleichermaßen witzig wie schmerzhaft ist. Master Oogway hatte meine heruntergelassene Hose als Anreiz für eine Klettertour über meinen Hintern genutzt, wo er sich dermaßen festhielt, dass ich vor Schmerzen Tinsley fallen gelassen habe. Sie hat schallend gelacht, während sie sich um die Verletzung gekümmert hat. Sicherlich zwei Wochen tat die Stelle weh, sobald ich gesessen habe.

»Ich nicht«, gackert Eryx. »Sowas geht in die Geschichten für deine Kinder ein. Du erzählst Quincy schließlich auch meine peinlichsten Erlebnisse. Gleiches wird mit Gleichem vergolten.« Schnaufend verdrehe ich die Augen, trinke noch einen Schluck Wasser und stehe auf. Bevor ich esse, zerre ich meine Tasche aus der Ablage, kontrolliere meinen Blutzucker und spritze mir das notwendige Insulin. Eryx lässt sich davon längst nicht mehr beirren, wohingegen Tinsley immer noch nichts weiß. Der Moment, um ihr zu gestehen, dass ich Diabetiker bin, war da, aber ich habe gekniffen. Bisher hat sie sich auch nicht darüber gewundert, dass ich selten zu Süßigkeiten greife oder vor dem Essen regelmäßig ins Badezimmer verschwinde.

Die Scheu, dass ich in ihren Augen die Männlichkeit verliere, hält mich konstant davon ab. Tinsley fordert jeden Funken meiner Männlichkeit ein, den ich ihr präsentiere. Sowohl sexuell als auch kräftemäßig. Sie laugt mich aus, auf gute Weise. Und verflucht noch eins, ich genieße es in vollen Zügen.

Eryx gibt einen angeekelten Laut von sich. »Du hast diesen Tinsley-Sex-Blick. Hör auf damit. Der war mir schon unangenehm, als wir bei Hektor waren.« Mahnend deutet er mit seinem Zeigefinger auf mein Gesicht. Umgehend glätte ich meine Mimik, was ihn zufrieden nicken lässt. »Isadora macht übrigens gerade Kuchen für Samstag. Du sollst ihr sagen, wenn sie dir einen Separaten backen soll«, informiert er mich. Kopfschüttelnd winke ich ab, greife nach einem Sandwich und begutachte den Inhalt, bevor ich hineinbeiße.

Vom Chamäleon in der Skittlestüte | ONC 2024Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt