Vom Chamäleon in der Skittlestüte | ONC 2024

8. KAPITEL

BURN

Entgegen all meiner Hoffnung bin ich Tinsley nicht auf dem Antikmarkt begegnet. Allerdings habe ich einige Gegenstände erworben, die ich dekorativ auf den Regalbrettern meiner Wohnung verteilt habe. Ich habe sogar einen kleinen Kaktus gekauft, wofür Eryx mich ausgelacht hat. Mein bester Freund ist nämlich der unerschütterlichen Ansicht, dass ich jedes Grünzeug erfolgreich besiege. Ich weigere mich, ihm zuzustimmen.

Als ich an diesem Montagmorgen ins Büro komme, stapeln sich auf meinem Schreibtisch die Aufträge. Auf meinem professionellen Zeichentisch hängt noch die Skizze von Freitag, der ich einen gelangweilten Blick schenke. Kurz blättere ich die Unterlagen auf meinem Tisch durch, notiere mir einige Abgabetermine im Kalender und widme mich dann der Vorbereitung meines Materials. Wahrscheinlich verbringe ich genau so viel Zeit, damit meine Stifte zu spitzen, wie andere mit dem Kaffeetrinken.

Anschließend widme ich mich der Korrektur der Zeichnungen, die einer unserer Auszubildenden angefertigt hat. Mein Chef lässt sich wundersamerweise dreimal in meinem Büro blicken, um mich über den Stand von aktuellen Projekten auszufragen.

Nachdem ich die Hoffnung auf ruhiges Arbeiten fast aufgegeben habe, gelingt es mir tatsächlich noch, mein Soll des heutigen Tages zu bewältigen, ohne gestört zu werden. Als ich das Firmengebäude verlasse, haben sich dunkle Wolken am Himmel ausgebreitet. Es riecht nach Regen, trotzdem gehe ich nicht in die Richtung meiner Wohnung, sondern in Richtung Innenstadt.

Die Straßen sind überraschend leer für einen Wochentag, weshalb ich viel früher als angenommen vor dem Bitterberry Books and Co. ankomme. Mit einem aufgeregten Lächeln öffne ich die Tür und werde von der Glocke begrüßt. Außer mir sind noch zwei Kunden im Laden, jedoch machen sie sich auf den Weg zur Kasse. Lexi steht am Tresen, sortiert Lesezeichen in einen Aufsteller und grüßt mit einem Winken.

»Willst du deine Bücher abholen?«, fragt sie schmunzelnd.

»Unter anderem«, stimme ich zu. Unter dem Tresen zaubert sie die beiden Bücher heraus, die ich in der vergangenen Woche nicht mitgenommen habe, und schiebt sie mir über den Tresen. Dann folgt ein weiteres Buch, dessen Cover an die Geschichte von Leano und Davina erinnert.

»Die Fortsetzung«, erklärt sie. Ehe ich antworten kann, kassiert sie eine Kundin ab. Die Frau zieht ihre Kapuze auf, bevor sie den Laden verlässt. Es hat angefangen, zu regnen, und ist windig geworden. »Bist du hier, um meiner Chefin die Zunge in den Hals zu stecken?« Lexis gespielter tadelnder Ton sorgt für Sprachlosigkeit meinerseits. Die gelbhaarige Frau lacht begeistert. »Bist du! Hach, wie wundervoll. Dann mach dich nützlich, Burn, sonst fliegt deine Angebetete davon«, feixt sie und deutet aus den Fenstern. Draußen steht Tinsley unter der Markise und zerrt mit angestrengtem Gesichtsausdruck an den mit Büchern gefüllten Rollwagen.

Der Wind peitscht ihre Haare - heute trägt sie einen hohen Pferdeschwanz – umher und Regen durchnässt ihre hellblaue Seidenbluse. Die Rüschen setzen ihr Dekolleté appetitlich in Szene und ich muss schlucken. Kommentarlos reiche ich Lexi meine Tasche und eile nach draußen, um Tinsley zu helfen.

»Hey.« Meine Begrüßung wird vom pfeifenden Wind verschluckt, allerdings nimmt sie meine Anwesenheit trotzdem wahr. Ein breites Strahlen erhellt ihr Gesicht und sie seufzt erleichtert. »Wohin müssen die?« Hastig löse ich die Bremse des Buchwagens. Der zweite Kunde verlässt das Geschäft und flitzt auf ein geparktes Auto zu.

»Zur Rampe um die Ecke. Wir müssen sie ins Lager stellen«, ruft Tinsley mir entgegen. Mit einem verstehenden Nicken rucke ich gegen den Wagen und er setzt sich in Bewegung.

»Bin gleich wieder da.« Schnell schiebe ich den Wagen um die Ecke und durch das schmiedeeiserne Tor zur Rampe. Im Lager riecht es nach Büchern, Kerzen und Regen. Ich stelle die Bremse fest und flitze zurück. Mittlerweile ist die Bluse völlig durchnässt. Ihr BH zeichnet sich deutlich ab und ich schlucke schwer, ehe ich den Blick losreiße.