✧Kapitel 3✧

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Es ist nicht leicht, ein Ereignis zu vergessen – oder, wie in meinem Fall – unter neuen Erinnerungen zu begraben, wenn man den Beweis dafür, dass es passiert ist, auf dem eigenen Körper trägt. Stellt euch vor, jemand hätte euch ein zweites Paar Augen auf die Stirn geklebt, das ihr nicht entfernen könnt. Euch wäre es wahrscheinlich auch sehr schwergefallen, dieses Augenpaar zu ignorieren. Genau so erging es mir mit den Wackelaugen, die Kira auf meinem Körper platziert hatte.

Wenn ich weiß leuchtete und in der Reinigung arbeitete, erinnerte das Weiß der Geräte, die ich reinigte, an das Weiß der Plastikaugen auf meinem Rücken.

Wenn ich rot leuchtete und mit den anderen Lemmingen gemeinsam wieder einmal ein Loch stopfte, konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, ob der Sog des Weltraums mir die Augen vom Körper ziehen würde. Der Gedanke gefiel mir nicht.

Wenn ich grün leuchtete und es meine Aufgabe war, Rostflecken zu entfernen, die immer wieder hartnäckig versuchten, Metallteile der Perseus anzufallen, dann machte ich mir Sorgen darüber, dass ich unter den Wackelaugen anfangen könnte zu rosten.

Der Gedanke gefiel mir noch weniger als derjenige, die Augen wieder zu verlieren.

Dennoch begann ich, mich mit ihnen anzufreunden. Es fühlte sich an, als würden sie im Verlauf der Wochen anfangen, mit mir zu verwachsen und zu einem Teil von mir zu werden. Und damit meine ich nicht den Part mit dem Metall und den Drähten, die mich sowieso ausmachen. Es war eher, als würden die Augen zu dem Ich gehören, das von Kira „Blobb" genannt worden war. 

Und so wurden diese Augen wurden mit der Zeit zu etwas, das ich ... Ich nannte.

Deswegen wollte ich auch um jeden Preis vermeiden, dass der Sog des Alls sie mir wieder vom Rücken riss.

Das galt jedenfalls, bis ich wieder einmal in einer anderen Farbe glühte. Nur, dass es dieses Mal nicht rot war. Nicht weiß und auch nicht grün. Es war eine Farbe, in der ich überhaupt nicht leuchten sollte. 

Ich leuchtete blau.

Als es das erste Mal passierte, glaubte ich, dass es sich um einen Fehler handeln müsste. Also verfuhr ich nach dem Verfahren, das sich für solche Fälle bewährt hatte: Ich sprang einige Male mit steigender Wucht gegen die Wand. Es war angeblich ein alter Trick aus Erdenzeiten, der noch nicht ausgestorben war.

Aber es änderte nichts.

Meine Beinchen und, soweit ich das beurteilen konnte, auch mein Körper glühten in dunklem Blau. Ich drehte mich einige Male um die eigene Achse, auf der Suche nach etwas, das ich reflektierte, auch wenn ich schon ahnte, dass ich nichts finden würde.

Ich leuchtete blau.

Und ich wusste nicht, was das für mich bedeutete. Diese Erkenntnis war deutlich schlimmer für mich als die erste. Ich wusste immer, was ich zu tun hatte. Mein buchstäblicher Lebensinhalt war es, immer etwas zu tun zu haben.

Warum leuchtete ich blau?

Es gab nur einen einzigen Schluss, den ich ziehen konnte: Die Wackelaugen waren schuld. Und das wiederum bedeutete, dass ich so schnell wie möglich den Weg zurück zu Kira finden musste, damit sie diese von meinem Körper entfernte.

Sonst wüsste ich nicht, was ich tun sollte, und wenn ich nichts tun konnte, dann hätte ich keine Aufgabe, und wenn ich keine Aufgabe hätte, dann wäre ich ja nutzlos, und wenn ich nutzlos wäre ... Es sollte an der Stelle ausreichen, zu sagen, dass ich so schnell loskrabbelte, wie ich konnte.

Auf dem Weg zu dem Punkt, an dem ich das letzte Mal ausgerutscht war, kam ich an Strömen anderer Lemminge vorbei. Manche leuchteten rot, manche weiß und einige vereinzelte grün, aber kein einziger leuchtete blau. Es war furchtbar.

Die Sterne über unsWhere stories live. Discover now