✧Kapitel 6✧

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Ich hatte keine Vorstellung davon, wie groß die Perseus tatsächlich war. Oder zumindest hatte ich das nicht aus menschlicher Perspektive. Ich konnte in etwa einschätzen, wie lange ich von einem zum anderen Ende brauchte, wenn ich beispielsweise rot leuchtete, aber ich wusste nicht, wie sich das in menschliche Entfernungen übersetzte oder wie viel mehr oder weniger Raum den Menschen zur Verfügung stand.

„Vielleicht findest du so heraus, was deine Aufgabe ist", sagte Kira, während sie durch die Gänge mit den Kabeln ging. „Wir schauen uns etwas an und dann springt es dir entgegen." Sie machte eine kurze Pause. „So geht es mir meistens mit meinen Entwürfen für die Unterkünfte, weißt du? Ich darf nicht zu viel über einzelne Ideen nachdenken, dann wird es nichts und das, was herauskommt, ist doch wieder nur ein Zelt, aber aus einem anderen Winkel."

Sie überlegte.

„Weißt du, was ein Zelt ist?"

Wie sollte ich auf diese Frage antworten? Ich hatte keine beweglichen Elemente, ich konnte nicht wie die Menschen den Kopf neigen oder schütteln. Normalerweise kommunizierte ich nicht mit ihnen und sie nicht mit mir. Wir begegneten uns ja kaum.

Das Problem schien Kira nun auch aufgefallen zu sein, denn sie blieb kurz stehen, bevor sie weiterging und wieder mit mir redete.

„Lass es uns einfach so machen: Wenn du ‚Ja' meinst, dann tippst du mir einmal auf die Schulter, wenn du ‚Nein' meinst, dann zweimal."

Das klang machbar für mich.

„Also ...", sagte Kira dann. „Weißt du, was ein Zelt ist?"

Ich tippte zweimal und sie sah zu mir hinunter, den Teil vor ihrem Mund weit auseinandergezogen. „Das klappt perfekt!", rief sie, dann setzte sie zu einer Erklärung an, worum es sich bei einem Zelt handelte.

Die ersten Sätze folgte ich ihren Erläuterungen fasziniert, aber dann öffnete sie eine runde Tür, stieg hindurch und ich konnte nicht länger zuhören. Die Eindrücke von hier überlagerten schlichtweg alles.

Die Gänge, die ich davor gesehen hatte, hatten sich von den Luftschächten unterschieden, in denen ich bisher unterwegs gewesen war, aber sie hatten genug Ähnlichkeit damit besessen, dass ich mich nicht völlig ... falsch gefühlt hatte.

Hier war das anders. Der große Raum, in den Kira mich jetzt gebracht hatte, sah nicht aus wie ein Luftschacht. Er sah überhaupt nicht aus wie ein Gang, nicht, als würde er an einen bestimmten Ort führen.

Er war groß und rund und in der Mitte gruppierten sich ... Dinge, die ich nicht benennen konnte. Sie waren groß, sogar deutlich größer als Kira, aber sie bewegten sich nicht. Ihre Mitten waren braun und gerade, aber an ihrer oberen Hälfte teilten sie sich auf und viele kleinere, schmalere Teile, an denen grün gefärbte Fortsätze hingen – nicht ganz wie Haare, aber ähnlich. Sie bewegten sich nicht, nur die grünen Fortsätze zitterten manchmal ein wenig, aber ich glaubte, dass dafür eine Luftströmung verantwortlich war, keine Willenskraft.

„Wir nennen es den Park", erklärte Kira, aus ihrem Zelt-Monolog gerissen. „Es ist nicht wirklich vergleichbar mit einem richtigen Park, aber es ist nah genug dran."

Wir tauchten in die Räume zwischen den einzelnen braun-grünen Dingern ein und als ich um mich schaute, realisierte ich, dass die grünen Fortsätze unterschiedlich geformt waren, dass jede Form aber zu genau einem Ding zu gehören schien. Ich fragte mich, wer diesen Ort gebaut hatte und warum.

„Die Pflanzen wurden als Erbgut mitgenommen", erklärte Kira wie aufs Stichwort. „Wenn sie hier aufgezogen werden, erhoffen die Leute aus der Bio-Abteilung sich mehr Saatgut. Außerdem soll es das psychische Wohlbefinden bei uns Menschen steigern, weil es uns an zuhause erinnert."

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