Kapitel 10: Zugezogene Vorhänge

30 7 2
                                    

Meine Koffer werden nicht lange danach auf das Zimmer gebracht.

Ehrlich gesagt, bekomme ich das überhaupt nicht mit.
Ich gehe ins Badezimmer, weil ich auf Toilette muss, komme aus dem Badezimmer heraus – und mein Gepäck steht im Zimmer.

„Tada. Magie.", sagt Christine und tut so, als würde sie mit einem Zauberstab auf die Koffer im Zimmer deuten. Als billigen Zauberstabersatz benutzt sie einen von Marys bunten Kugelschreibern.

Mary lacht laut auf und meine Augenbrauen schnellen überrascht in die Höhe, denn Marys Lachen ist extrem kratzig und klingt so ziemlich genau wie das eines Disney-Bösewichtes.

„Na, dann pack mal aus, Genieve Ciel.", sagt Christine und legt den Kugelschreiber wieder weg.

„Wir helfen dir auch!", sagt Mary fröhlich.

„Was?!", macht Christine entsetzt.

„Das muss nicht sein. Wirklich nicht!", entgegne ich, und denke an das ordentlich verpackte Salz in meiner Tasche. Es ist zu früh, um das Gerücht mit den Drogen in der Schule auszusetzen.

„Oh, doch. Wir wollen doch wissen, wie ordentlich du gepackt hast!", ruft Christine breit grinsend. Anscheinend ist ihre Motivation durch meine eher minder ausfallene Begeisterung extrem hochgesprungen.

Ich sehe keinen Sinn darin, weiter zu widersprechen, also stürzen wir uns zu dritt auf mein Gepäck.

Um Christines Anschuldigung übrigens zu widerlegen: Ich habe wirklich ordentlich gepackt.

In den nächsten Minuten beschäftigen wir uns jedenfalls damit, meine Klamotten in den freien Schrank zu stopfen („Hast du deine Shirts von Zwergen geklaut?!", - Christine) und mein Bett zu beziehen (Die Bettwäsche ist dunkelrot. „Meine Eltern", aka meine Tante, haben also wirklich mitgedacht, denn das rot passt perfekt zu dem rot der Tenarc Academy Uniform).

Meinen Schreibtisch stelle ich selbst voll, während unaufhörlich nicht zusammenhängende Informationen auf mich einströmen.

Ich lerne vermutlich so ziemlich alle Namen der Jungs aus der gesamten Schule, erfahre, wie die Kleinstadt außerhalb des Waldes heißt, finde meine „Willkommensmappe", ordentlich zusammengestellt von einer der Sekretärinnen und sogar mit zusätzlicher Willkomenskarte, auf der ein paar Leute unterschrieben haben.

Mit „ein paar" meine ich übrigens in diesem Fall Mary und Christine.

„Kurze Frage: Wieso sind die Vorhänge eigentlich zu? Es ist nicht wirklich sonnig heute!", sage ich, als wir fast fertig mit dem Auspacken sind.

Mary und Christine werfen sich einen bedeutungsschweren Blick zu, dessen Bedeutung ich allerdings nicht verstehe, und ziehen die Vorhänge auf.
Sie winken mich zu sich heran und ich trete daraufhin zu ihnen ans Fenster.

Durch das Glas sehe ich den Innenhof und gegenüber weitere Fenster, eingelassen in eine Mauer, die wieder von Skulpturen und steinernen Ornamenten verziert wird.

„Das da drüben ist der Jungstrakt.", sagt Christine. „Und ... sagen wir so, wir sind nicht besonders erpicht darauf, dass sie dauernd in unser Zimmer starren können."

„Hä?", macht Mary verwirrt. „Nein! Wir haben das Fenster zu, weil es bewölkt ist und Wolken mich immer traurig machen!"

Christine sieht sie fassungslos an: „Was?!"

"Ich meine, gegenüber von uns leben doch nur gutaussehende Jungs!", meint Mary schulterzuckend.

"Es ist mir egal, wie gut die aussehen!", sagt Christine schrill. "Gruselige Stalker sind gruselige Stalker!"

Girl of Blood - [ONC2024]Where stories live. Discover now