Kapitel 1 - Interesse

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Liv

Wir schlenderten gemütlich über die Holzbretter, die Brücke entlang. Jeder von uns, der hier legal Bier trinken durfte, hatte eine Glasflasche von dem herben Getränk in der Hand. Lucas, der große Kerl mit der roten Cap trug einen kleinen Ghettoblaster auf seiner Schulter und die Bässe drangen bis zu uns nach vorne. Anne und ich liefen nämlich ein wenig abgeschottet von den anderen, um ungestört reden zu können. Wir blieben stehen und lehnten uns leicht nach vorne über. Ich nahm Anne die Flasche aus der Hand, trank einen großen Schluck und gab sie ihr wieder zurück.

"Der East River ist so schön... und die Skyline erst... Ich liebe New York", schwärmte sie.

"Hmmm...", erwiderte ich leise, schloss die Augen und zog die Wärme der letzten Sonnenstrahlen genüsslich in mich auf.

"Er ist lieb und aufrichtig, ich fände es okay, wenn du auf ihn stehst", kommentierte Anne, was unser vorheriges Thema betraf.

Sofort musste ich schmunzeln. Ich öffnete die Augen und sah der Sonne entgegen.

"Ich stehe nicht auf ihn, ich mag ihn nur", versuchte ich die Sache ein wenig herunter zu spielen. "Mal ehrlich Anne, ich kenne ihn ganz und gar nicht. Eigentlich ist er mir noch genauso fremd wie vor fünf Stunden!", stöhnte ich aufgebracht darüber, dass ich meine Gefühle nicht im Griff hatte.

Anne lachte kurz auf und schließlich musste ich doch wieder mitlachen.

"Aber hey", fing Anne an. "Er hat es innerhalb von vier Stunden dazu gebracht, dass du in der letzte Stunde bei jeder Gelegenheit versuchst, dir über deine Gefühle klar zu werden. Da muss er dich schon gewaltig beeindruckt haben."

"Vermutlich hast du Recht", kommentierte ich. Natürlich hatte sie Recht. Und dass sie das wusste, stand ihr fett ins Gesicht geschrieben. Das kann doch wohl nicht wahr sein, es ist doch unmöglich für jemanden, den man nicht kennt, gleich so zu schwärmen. Wo ist meine 10 Meter dicke Schutzmauer aus Beton und Stahl ?! BETON UND STAHL... vergeblich...

"Ich sollte wirklich aufhören über Nathan nachzudenken. Er ist nur nett, weil ich mir den ganzen Tag Stress gemacht habe. Weiter nichts. Ich meine, wie naiv...", versuchte ich mich zu rechtfertigen und wurde von Nathan unterbrochen, indem er mich von hinten an den Schultern packte.

"Wir würden weiter gehen, kommt ihr beide mit?", fragte er mit angenehm ruhiger Stimme. Ich musste sofort grinsen. Er zog mich an den Schultern weg von Anne und ließ mich los.

"Klar, wir kommen", antwortete ich ihm lachend, begann den anderen zu folgen und er fing an über die Wolkenkratzer zu reden. Anne sah schelmisch zu mir rüber. Mit ihrem kalten, wissenden Blick, der mich einfach nur einschüchterte. Als Nathan nicht hin sah, streckte ich ihr die Zunge raus und grinste sie weiter an. Anne schüttelte den Kopf, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall.

Ein hoffnungsloser Fall mit äußerst charmanter, witziger und gut aussehender Begleitung.

~ eine Woche später ~

Central Park

Während ich auf unserer Bank saß, an meinem schwarzen Kaffee schlürfte und den wohltuenden Geruch einatmete, beobachtete ich die Jogger, Radfahrer und Spaziergänger. Familien mit kleinen Kindern, die wild um ihre Mama und ihren Papa umher sprangen und die Tauben im Park ganz aufregend fanden. Gestresste Studenten, die sich die letzten Sonnenstrahlen vor ihrer nächsten Vorlesung gönnten. Ältere Ehepaare, deren Liebe ihr ganzes Leben gehalten hatte.

"Hey!", rief Anne sobald sie in Reichweite war, setzte sich links von mir und umarmte mich kurz zur Begrüßung.

"Hey Anne, bei dir alles gut?", fragte ich ehrlich interessiert. Vorhin hatte ich sie einfach so übergangen.

UNQUALIFIEDWhere stories live. Discover now