Kapitel 20 - Heimweh

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"Ich weiß nicht, ob ich ihn der Lage bin, sein Vertrauen so sehr zu missbrauchen...", entgegnete ich ihm ehrlich, schenkte ihm einen frostigen Blick.

So wie du, fügte meine Kopfstimme verbittert hinzu.

~~~~~

Es war still im Raum. Zumindest für mich fühlte sich der Moment an, als wäre ich von einer Luftblase umgeben, die mich von den anderen trennte. Auf diese bestimmte Weise, weil mir etwas von Bedeutung war, was sie blind missachten würden. Tiefe Enttäuschung machte sich in mir breit.

"Olivia, du wirst dich daran gewöhnen müssen...", machte Grace mir klar. Sie wusste nicht, wie schmerzhaft es war, dass sie meinen Namen wie eine Freundin aussprach, obwohl sie mich rein gar nicht kannte.

Natürlich, sie hatten mich beobachtet, mein Verhalten analysiert und studiert. Sie kannten den Gewohnheitsmensch in mir und meine Schwächen und Stärken. Und trotzdem kannten sie nicht mich.

"Wir werden sehen, wie wir euch in Verbindung bringen. Seine Schwester heißt Lucia Marisol und ihr Mann heißt Javier. Die beiden wohnen, wie hier auf der Karte zu sehen ist, auch auf diesem Großgrund, allerdings fahren sie die Strecke zwischen ihrer und der Suarez-Villa immer mit dem Geländewagen. Weniger aus Sicherheitsgründen, sondern weil man eine knappe Stunde laufen würde. Meistens arbeitet Javier auf seinem Anwesen und sie hängt auf der Suarez-Villa ab. Wenn Mateo euch einander vorstellt, hat er Respekt vor dir und das ist dein Ziel. Dann kannst du nahezu unbeobachtet rumschnüffeln", erläuterte Grace weiter und weiter.

"Javier ist im Goldhandel groß dabei, größtenteils legal. Er spielt auch eine Rolle im Suarez-Kartell, aber eher von organisatorischem Gesichtspunkt. Wir wissen einfach nicht viel über die Machenschaften dort, die in dieser... man kann fast schon von einer Suarez-Friedenszone oder Festung sprechen...", ergänzte Jake, schien zu überlegen und erinnerte mich mit seinen Worten an die Geländeaufnahmen aus der Vogelperspektive, die mir vorher auf dem riesigen Flatscreen gezeigt wurden.

Die Fläche war einfach riesig und drum herum die großen Zäune und die vielen bewaffneten Söldner. Suarez' eigene kleine Armee.

"Was für ein Mensch ist Lucia?", wollte ich wissen.

"Sie ist die wunderschöne Tochter des wohlhabenden, mächtigen Suarez und hat keine Ahnung von den illegalen Machenschaften ihres erfolgreichen Geschäftsmannes und nur recht wenig Einblick in die Grausamkeit, mit der ihr Vater sich die Ehrfurcht der Bevölkerung zusicherte", antwortete Jake gehässig. Entweder, weil ich gefragt hatte oder weil Lucia ihm missfiel.

Ich nickte, versuchte mir all die Eigenschaften und Beziehungen einzuprägen, eine Verbindung zwischen den Namen und ihren Gesichtern herzustellen.

"Das wars vorerst... hier nochmal eine kurze Übersicht, die Portfolios wirst du die nächsten Wochen noch detaillierter durchgehen", informierte Grace mich und überreichte mir einen Ausdruck, den ich dankend annahm und kurz überflog, um keine Fragen offen zu lassen.

"Deine erste Trainingseinheit findet nach dem Mittagessen statt. Bis dahin hast du ein paar freie Minuten. Wir sehen uns!", verabschiedete sich Grace.

Ich erhob mich von dem Stuhl und streckte mich einmal komplett durch. Das waren definitiv zu viele Informationen auf einem Haufen. Zumindest zu viele wichtige Informationen für mich.

~~~~~

Jakes Verhalten war den ganzen Tag über nicht wirklich besser geworden, sondern wurde immer ignoranter und seine Kommentare wurden immer zynischer. Und genauso war es auch beim Abendessen.

Während Grace und ab und zu auch Serena wenigstens versuchten, ein Gespräch auf zu bauen, bei dem ich mitreden könnte, begrenzte sich Jakes Anwesenheit auf seine tatsächlich physikalische.

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