Kapitel 26 - Scherben

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Mit einem erschöpften Gähnen ging ich in mein Zimmer und kramte die Sportsachen raus, die ich gleich für die Trainingseinheit mit Daniel brauchen würde. Die Sitzung vom Vormittag hatte letztlich sieben Stunden gedauert, ohne Pause. Und anstatt einem Nachmittagstraining, musste ich jetzt zu einer Abendsession. Mit leerem Magen und der Motivation einer Eintagsfliege, die soeben mit einer Fliegenklatsche zerquetscht wurde.

Trotz alledem hatte ich den zermürbten Ausdruck auf Jake's Gesicht gesehen, als Daniel mich gefragt hatte, ob ich überhaupt noch trainieren möchte. Und da ergab sich die blendende Gelegenheit Jake eins auszuwischen, indem ich ein überzeugendes „Ja, natürlich! Sport macht den Kopf so schön frei" hinlegte.

Ich musste schließlich wohl oder übel zugeben, dass Jake mich mittlerweile so gut kannte, dass er den Streik schon in meinen Augen sehen konnte, bevor ich überhaupt begann meine Waffen zurecht zu legen und zu polieren.

Und eben weil er so überzeugt davon war, ich würde Daniel einen Vogel zeigen und mich auf mein Zimmer verziehen, eben deswegen musste ich genau das Gegenteil machen.

Und da war ich nun, öffnete die Türen zur Trainingshalle mit einem schweren Seufzer und spazierte widerwillig zur Kampfmatte, um mich schön auszubreiten. Wie ein Seestern. Ein Nickerchen wäre absolut perfekt.

Ein lautes, dumpfes Geräusch ließ mich meinen Kopf anheben. Das ausgerechnet Jake durch die Hallentür geschlendert kam, brachte mich dazu, meine Mundwinkel deprimiert nach unten zu ziehen.

„Deine Motivation sprüht ja schon Funken", neckte er mich mit kraus gezogener Nase. Sowas machte er nur, wenn er super witzig war. Woher hatte er denn jetzt die Muße, mich mit seiner guten Laune zu nerven?

„Ich hab dich gesehen und hatte Angst, ich müsste mich gleich übergeben", konterte ich und stützte mich auf den Ellenbogen ab, um ihn mit zusammengekniffenen Augen genauer zu beobachten.

Ich hatte ihm ein Lächeln abringen können und musste schmunzeln. Alarmiert richtete ich meinen Blick wieder auf ihn. Irgendetwas läuft hier doch schief. Er hat was vor. Ganz sicher.

Den ganzen Tag schon war er ein Arsch gewesen und ausgerechnet jetzt mutierte er wieder zu dem lebensfreudigen Charmeur, den ich zu kennen dachte.

Ich seufzte und ließ mich wieder auf den Rücken fallen. Wir hatten zwischendurch immer gute Phasen gehabt und auch ein paar Nathan-Momente. Irgendwie glaubte ich das ganz fest... aber das durfte ich nicht.

Ich wusste es doch besser.

Schwer seufzend schloss ich mal wieder die Augen und versuchte Ordnung in meine Gefühle zu bekommen. Es war definitiv nicht okay, wie er sich verhalten hatte. Dass ich immer wieder darüber nachdachte, machte mir eines ganz deutlich klar.

Ich habe ihm vertraut. Das war mein Fehler. Da kann ich ihm nicht sein Verhalten vorhalten.

Und mit einem Mal hatte ich ihm alles vergeben und es machte mir nicht einmal mehr Angst, obwohl es das ganz eindeutig sollte.

„Hoch mit dir, wir laufen uns ein paar Runden warm und dann gehts ans Boxen", forderte Jake mich auf, machte den Ghettoblaster an.

„Daniel wollte doch mit mir trainieren", erinnerte ich ihn, erhob mich trotzdem. Laufen würde mich tatsächlich vom Denken befreien. Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, dass es mein Ventil geworden war.

„Richtig, ich wollte nur mein Training nicht auslassen."

„Einfach so?"

„Liv... unser beide Leben hängt von meiner fehlerfreien Kampftechnik ab...", erinnerte er mich und begann keuchend seine Klimmzüge. Ich starrte ihn an, sah mir genau an, wie sich seine Muskel veränderten, und stellte verwundert fest, dass ich schon wieder stehen geblieben war.

UNQUALIFIEDWhere stories live. Discover now