Kapitel 10

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Von oben rieselt Staub und feiner Sand auf uns ab und man hört den Wind laut pfeifen. Es herrscht immer noch eine bedrückende Stille. "Spielen wir irgendetwas, Ratespiele zum Beispiel." breche ich die Stille und Tommy fängt begeistert an. "Was ist klein grün und dreieckig? Und Elli sag nichts." Wir zucken unsere Schultern und schauen ihn ratlos an. "Ein kleines grünes Dreieck. Und was ist lila und rund?" "Ein lilaner Kreis?" ratet Fiona, aber Tommy schüttelt lachend seinen Kopf. "Das kleine grüne Dreieck beim Fasching." Ich grinse und Tommy stellt weitere Fragen, aber nach einer Zeit erzählen wir uns nur noch Witze und lachen viel. "So, jetzt habe ich Hunger." wirft Elli ein und kruscht in unserem Proviant rum, bis sie zufrieden Brot hochhält. Ich spüre dass meine Leggings schon ganz von meinem Blut durchnässt ist, also lege ich unauffällig eine Decke darüber. Mittlerweile haben sich Elli und Tommy neben Fiona quartiert und reden leise. Es ist schon eine Stunde vergangen und es klirrt mal hier, mal da, Türen schlagen zu und der Wind pfeift laut. Hier unten ist es dunkel und man wird schnell müde, weswegen ich auch matt meinen Kopf gegen die Wand lehne und meine Augen schließe. Fiona, Elli und Tommy sind ganz leise und atmen gleichmäßig, sie sind eingeschlafen. Unsere Eltern kommen mir in den Sinn, wie es wohl ihnen geht, ob sie in Sicherheit sind und ob wir sie wiedersehen werden. Ich hoffe es. Eine einsame Träne rollt über meine Wange und hinterlässt eine brennende Spur. Ich habe Angst sie zu verlieren, aber ich weiß auch, dass wenn wir zu Hause sind, alles so wird wie davor. Wir werden uns ständig streiten, aneinander vorbei leben. Nie konnte ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Wenn ich mal geweint habe und zu meiner Mutter gegangen bin, damit sie mich tröstet, hat sie mich angemault und gemeint ich soll mich zusammenreißen, da ich noch viel schlimmeres erleben werde. Dabei wollte ich bloß in den Arm genommen werden, mich an jemand anlehnen und alles für einen Moment vergessen. "Lydia weinst du?" flüstert auf einmal Alex und rutscht näher an mich. "Nein." antworte ich leise und wische meine Tränen weg, schniefe aber und verrate somit meine Lüge. "Was ist los?" Alex dreht sich zu mir und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich gebe schmerzhafte Laute von mir und verziehe mein Gesicht. "Tut dir was weh?" flüstert er besorgt und ich nicke bloß meine Zähne zusammenbeißend. "Ein Stück Holz ist gegen meinen Oberschenkel geprallt und ein Splitter ist glaub ich noch drinnen und es ist offen. Also ja, es tut weh." erkläre ich leise und leicht gereizt. "Was ist los?" erwidert er ruhig aber mit einer etwas distanzierten Stimme diesmal. "Nichts. Alles in bester Ordnung." antworte ich genauso und drehe mich weg. "Willst du jetzt die ganze Zeit eine auf Beleidigt tun?" "Wenn's sein muss, ja." kontere ich bissig und schnaufe. "Lydia, wir werden hier noch wer weiß wie lange gefangen sitzen. Da kannst du nicht einfach beleidigt sein." erklärt er und zwingt mich, mich zu ihm zu drehen. "Siehst du doch dass ich das kann." einige Augenblicke lang schaut er mich stumm an, seine Augen glänzen hell und scheinen in mein tiefstes Inneres schauen zu können. "Gut." sagt er einfach und dreht sich nun weg. Sprachlos schaue ich ihn an und seufze dann. Wie kann ich nur so dumm sein? Alex hat völlig Recht, wir werden hier vermutlich noch lange sitzen und da ist es für keinen gut, wenn ich jetzt die beleidigte Leberwurst spiele. "Tut mir leid. Ich wollte nicht so zickig sein." entschuldige ich mich leise und lehne mich wieder an der Wand an. "Warst du aber." erwidert er kühl und schaut mich dabei nicht an. "Man ich habe einen schlechten Tag und meine Periode. Außerdem habe ich mich schon entschuldigt." beschwere ich mich nun etwas lauter. "Denkst du ich nicht? Ich weiß nicht ob ich meine Eltern und meine Schwester je wieder sehen werde. Und nur weil du deine Tage hast, denkst du  es ist eine Ausrede dafür, dass du hier jedem die Stimmung vermiest." endlich dreht er sich zu mir und schaut mich wütend an, fast schon einschüchternd. Autsch, seine Worte haben gesessen. Ich blinzle meine Tränen weg, aber vergebens. Als Alex sich wieder wegdreht, richte ich mich langsam auf und klettere dann schnell aus dem engen Raum, weil ich es nicht mehr aushalte, außerdem spüre ich, wie meine Klaustrophobie immer mehr zunimmt.

"Lydia! Komm zurück!" ruft Alex, aber ich gehe einfach weg, raus aus der Kammer. Im Wohnzimmer ist ein Fenster eingebrochen, Äste, Zweige, Blätter und lauter Trümmer liegen auf dem Boden. Kalt peitscht der Wind gegen mein nasses Gesicht und schnell gehe ich in ein anderes Zimmer, die Küche. Auch dort sieht es ähnlich aus. "Bist du verrückt?" schreit Alex und reißt mich plötzlich an meinem Arm zurück. "Au!" rufe ich und ziehe scharf die Luft ein, da ich mit meiner Verletzung gegen einen Stuhl geprallt bin. "Scheiße!" Flucht Alex laut und zieht mich mit sich in das Badezimmer. Plötzlich knallt die Tür zu und sie bricht durch den heftigen Prall. "Schnell, leg dich in die Wanne." meint er hastig und verschwindet, aber kommt kurz danach mit einer Matratze zurück. "Mach schon!" drängt er, also steige ich schnell in die Badewanne und Alex gleich nach mir, wo er die Matratze über die Wanne auf den Rand legt und uns somit einschließt. "Das habe ich mal gelesen. Es schützt vor dem Wind und vor Sachen die eventuell auf uns fallen würden." erklärt er und atemlos nicke ich. "Du liegst genau auf meiner Wunde." presse ich mühselig hervor, sofort entfernt sich sein Gewicht von meinem Bein und ich atme zittrig aus. "Machst du immer so viel Drama?" fragt er leicht grinsend und verwirrt schaue ich ihn an. Zumal er auf mir liegt und wir uns noch nie wirklich so nah waren und zum Teil wegen der Frage. "Wie?" frage ich also zurück. "Du gehst aus dem Bunker wo wir sicher wären, nur weil du dich mit jemandem gestritten hast?" "Du hast mir eindeutig klar gemacht, dass ich schlechte Stimmung verbreite." verteidige ich mich empört. "Achso. Und da hast du dir gedacht, Hey bringen wir uns mal in Lebensgefahr." böse schaue ich ihn an und drehe meinen Kopf zur Seite. "Ach komm schon." will er mich dann besänftigen und grinst mich an.

"Wieso hast du geweint?" fragt er nach einer kurzen Stille. "Ich habe nachgedacht." antworte ich und schaue ihn dann an. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und sein heißer Atem prallt auf meine Haut, die erschaudert. "Worüber?" "Über meine Eltern, mein bisheriges Leben und über die Zukunft." erkläre ich knapp. "Und worauf bist du gekommen?" fragt er dann und schaut mir intensiv in die Augen. "Nichts. Ich habe mich irgendwie mehr darauf konzentriert, dass ihr nicht mitbekommt wie ich weine." Lüge ich und lächel gezwungen. Draußen knarzt es laut und Alex bricht über mir zusammen. Die gesamte Luft entweicht meinen Lungen, als er mit seinem ganzen Gewicht auf mir liegt und ich nichts machen kann. "Scheiße!" Flucht er und stämmt sich wieder etwas ab. "Etwas ist auf uns gefallen." erklärt er und schockiert schaue ich ihn an. "Wie lange dauert das Ganze wohl noch?" seufze ich frustriert.

Gefühlte 10 Stunden und eine geschätzte halbe Stunde später wird es draußen ruhiger und hoffnungsvoll frag ich Alex, ob wir denn endlich aus der Badewanne steigen könnten. "Wir können es Riskieren." meint er und drückt sich etwas ab, aber auf der Matratze liegt etwas schweres, sodass ich auch mithelfe. Nach einigen Minuten haben wir es auch schon geschafft, Alex steigt aus der Badewanne und hilft mir dann auch auf die Beine. "Shit sieht das schlimm aus." stellt er entsetzt fest und schaut dabei auf mein Bein. "Fühlt sich auch so an." Ich beiße meine Zähne zusammen und stütze mich am Türrahmen ab. "Ist alles okay?" besorgt kommt er auf mich zu und legt seine Hand auf meine Schulter. "Ich kann mein Blut nicht sehen." Ich schließe gequält meine Augen und atme tief um den Schwindel bisschen zu lindern, was aber nicht hilft. "Alex, nein, bitte nicht." halte ich ihn auf, als er sich meine Wunde genauer anschauen will. "Schau lieber nach den anderen." er schaut mir prüfend in die Augen und ich halte seinem Blick stand, dann nickt er und geht raus. "Setz dich solange hin." meint er noch und verschwindet dann. Ich setze mich also auf den Klodeckel, nachdem ich Gestrüpp und Scherben weggefegt habe. Entsetzt blicke ich mich im Badezimmer um. Überall liegen Äste, Blätter, Scherben, Erde und sogar ein großer Ast ist hier, an dem noch Blätter hängen. Anscheinend ist dieser Ast auf die Matratze gefallen.

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