☑️ Kapitel 34♚

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~Ob ich die Tage zähle seitdem du weg bist? Klar, als hätte ich 412 Tage nichts besseres zu tun.~


"Sag mal, hast du sie nicht mehr alle?", ertönt Jason's tiefe Stimme dumpf von seinem Helm hervor. Er klingt so erschrocken, dass mein Herz noch schneller anfängt gegen meine Brust zu hämmern.
Wie kam ich denn überhaupt auf die dumme Idee, einfach hervorzuspringen, ohne dabei zu merken, wie nahe ich der Straße bin?

Perplex schaue ich ihn an, als er seinen Helm abnimmt und mit wildem Glitzern in seinen Augen in mein Gesicht blickt.
Ich merke, dass er auf eine Antwort von mir wartet, während sich sein erschrockener Gesichtsausdruck langsam wieder normalisiert. Doch ich bin einen Moment nur auf sein tiefen schwarzes Haar fixiert, dass durch den Helm in alle Richtungen steht.
Sie glänzen in der Sonne.

Als ich nach ein paar Sekunden merke, dass ich ihn immer noch sprachlos ansehe, räuspere ich mich und streiche einmal mein weißes Haar glatt. Es muss vollkommen vom Winde verweht sein.

"Äh.. hey?"
Meine Aussage klingt wie eine Frage und meine Stimme ist auch nicht so fest, wie ich es gewollt hätte. So viel dazu.
Ich glaube, spätestens jetzt mache ich mich zum absoluten Volltrottel. Wenn ich das vorher nicht schon war.

Sein Gesichtsausdruck verändert sich kaum merklich. Er zieht seine Augenbrauen hoch, in der Erwartung, dass ich noch etwa sagen würde, doch ich bekomme keinen einzigen Ton mehr über meine staubtrockenen Lippen.

"Okay-", mit der Hand wischt er sich einmal über das Gesicht und erst jetzt merke ich, wie fertig er aussieht.
Mit einer fließenden Handbewegung schaltet er den Motor ab, während ich da stehe und fieberhaft überlege, was ich sagen könnte.

"Was sollte das."
Und diese Aussage klingt keineswegs wie eine Frage.
Er spricht jedes Wort einzeln und betont aus. Das er nicht schon vor Wut geplatzt ist, wundert mich doch sehr.
Seine Finger trommeln ungeduldig auf seine Maschine herum und eine steile Falte liegt schon die gesamte Zeit auf seiner Stirn.
Er scheint ganz andere Probleme zu haben, was bestimmt mit dem Anruf im Wald zutun hat.

"Ach, ich..-", ich entspanne ein wenig meine Schultern und stelle mich lockerer hin. Okay, Konzentration!

Gerade mache ich den Mund auf, um weiter zu reden. Um eine Erklärung zu liefern, die höchstwahrscheinlich eh keinen Sinn ergeben hätte, als er mich mit erhobener Hand unterbricht. Ich stocke sofort.

"Ich hab jetzt echt keine Zeit", ertönt es aus seinen Lippen. Seine Stimme klingt hart und ohne jegliche Emotionen.
Ohne das er mir Zeit zum antworten gibt, setzt er seinen Helm wieder auf und startet sein Motorrad. Mit einem lauten brummen erweckt dieser zum Leben.
Ich zucke zusammen.

Perplex starre ich abermals in seine abgedunkelte Scheibe.
"Wo-"
Bevor ich jedoch meine angefangene Frage vollenden kann, werde ich mit einer gezielten Handbewegung zur Seite geschoben und ehe ich mich versehe, rauscht er an mir vorbei.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Er ist weggefahren. Er ist einfach weggefahren! Sekunden des Schweigens vergehen, in denen ich mir überlege, ob ich mir das wirklich gefallen lassen soll.

Mit einem wütenden schnauben drehe ich mich und gehe wieder zum Wald, der sich zur anderen Straßenseite erstreckt.
Durch mein gutes Gehör, kann ich noch deutlich seinen Motor in der Ferne ausmachen, obwohl er schon längst mehrer Kilometer gefahren ist und das stachelt mich an.

Ich laufe verbissen schneller, als Jason's Motorgeräusche allmählich leiser werden.
Dann betrete ich endlich den Wald und gehe ein paar Meter hinein.

Noch während ich versuche mit seiner dämlichen Abfuhr klarzukommen, verwandle ich mich in wenigen Sekunden.
Sofort bin ich in jedem Element besser und stärker.

Ich laufe nahe am Waldrand los und verfolge seinen Duft, der an der Hauptstraße entlang führt.
Ich bewege meine Beine immer schneller und schneller. Als ich meine Höchstgeschwindigkeit erreiche, nehme ich alles an meinen Augenblickwinkeln verschwommen wahr. Mit jedem Schritt knackt es am Waldboden und der Moss federt mich gelegentlich ab.
Mit bloßem Menschenauge wäre ich nur ein Schemen, der kaum eines zweiten Blickes wert wäre.

Ich hole Jason schnell wieder ein.
Die Straße entfernt sich immer weiter von dem Wald, in dem ich laufe und trotzdem kann ich sein dunkles Motorrad erkennen.
Ich drossle meine Geschwindigkeit und versuche, sie der von Jason anzupassen.

Er fährt noch etwa fünf Minuten, doch meine Wolfsgestalt wird nich annähernd müde. Ich spüre die Macht und die Stärke in meinen Adern bei jedem Schritt, den ich laufe.
Und dann ist es so weit; Jason wird langsamer und biegt ab- in die entgegengesetzte Richtung des Waldes.

Ich komme ebenfalls zum stehen und bevor ich es mir anders überlegen kann, verwandle ich mich wieder in einen Menschen und blicke mich im Schutz der Bäume um.
Kein Mensch in meiner Umgebung.
Also trete ich hinaus und überquere die Straße.
Nun beginne ich in die Richtung zu joggen, wo er eben noch abgebogen ist.

Schon nach einigen hundert Metern verweigert mir meine Lunge die Luft zum Atmen. Es beginnt zu brennen und mein menschlicher Körper protestiert stöhnend.
Wie können zwei Körper nur so verschieden sein?
Ich kämpfe mich weiter, bleibe aber schließlich stehen und bette außer Atem meine Hände auf die Knie.
Gierig ziehe ich die frische Luft in meine Lunge.
So bleibe ich einige Sekunden stehen.

Gerade als ich mich wieder beruhigt habe, richte ich mich auf und erblicke sogleich das große weiße Gebäude, das sich vor mir erstreckt.
Ein Krankenhaus.

Gerade will ich meine aufkommenden Gedanken und Erinnerungen an Krankenhäusern im hintersten Eck meines Gehirns verbannen, als ich Jason erblicke.
Er hat sein Motorrad geparkt und geht hinein- mitten durch die Eingangstüren des Krankenhauses.

"Bitte nicht..", flüsterte ich atemlos, während meine Augen seinen brieten Rücken wie gebannt verfolgen. Übelkeit steigt in mir auf, als ich daran denke, auch hineinzugehen. Doch ich bin schon so weit gegangen- warum genau hier und jetzt aufgeben?

Ich schließe meine Augen und atme tief ein und aus, ehe ich meine schweren Beine bewege und ebenfalls in Richtung des Einganges gehe. Dabei schießen mir Vergangenheitsbilder meiner Mutter durch den Kopf.
So wie jede Nacht in meinen Träumen.

Ich hatte mir geschworen, nie wieder eines zu betreten und jetzt tue ich es trotzdem. Und das nur aus einem einzigen Grund: meine Sturheit.

Oder war es doch die stille Sorge in Jason's Augen?






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M.

Wolfsmond - Wolf der LegendeWhere stories live. Discover now