Kapitel 16

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Vor mir stand ein Mädchen, das aussah wie ich aber auch wieder nicht. Ich blinzelte mehrmals ungläubig und versuchte, das fremde Mädchen mit meinem früheren Ich in Einklang zu bringen. Die Fremde schaute mir mit großen, zweifarbigen Augen entgegen.

Ich hatte mich nie als hässlich bezeichnet, aber auch nicht als wunderschön. Ich hielt mich eher für durchschnittlich und außer den Augen fand ich nichts Besonderes an mir.

Die Fremde trug ein wunderschönes, ärmelloses mint grünes Kleid, welches bis zur Taille hauteng anlag und dann in mehreren, sich überlappenden Schichten bis zum Boden reichte, wie eine Blüte mit zarten Blütenblättern.

Fasziniert strich mein Spiegelbild über den hauchdünnen Stoff. Wie viel Arbeit das wohl gewesen war ein solches Kleid zu nähen?

Die Kette meiner Mutter ruhte wie selbstverständlich auf meiner Brust und ihr Silber passte perfekt zu dem blassen Grünton des Kleides. Der in Diamantform geschliffene Cyanit schimmerte nun stärker und gab ein strahlendes Blau ab, als würde er spüren, dass ich ihn endlich trug.

Das Gesicht der Fremden – nein meins – wirkte schmaler durch das blassrosa Rouge, welches die Wangenknochen betonte. Meine elfenbeinfarbene Haut schien reiner und strahlender als sonst, als hätte sie vorher nie richtig geatmet. Meine ein wenig zu schmalen Lippen glänzten in zartrosa und feine Augenbrauen wölbten sich schwungvoll über meine Augen, die vor Erstaunen leuchteten.

Alara hatte meine schon von Natur aus langen und schwarzen Wimpern mit Mascara getuscht, sodass, wenn ich blinzelte ein wahrer Wind wehte.

Meine Haare waren zu einer kunstvoll, zum Teil geflochtenen Hochsteckfrisur hochgesteckt, sodass meine Ohren besonders zum Vorschein kamen...

Erschrocken stellte ich fest, dass sie gewachsen waren und nun weiter als gewöhnlich hervortraten. Sie glichen nun denen der anderen Elfen.

Langsam hob ich die Hand und mein Spiegelbild tat es mir nach. Ich tastete mich von meinem Ohrläppchen, an denen tropfenförmige Silberohrringe hingen, zu meinen Ohrspitzen und da waren sie. Zwei Spitze Ohren.

Ich keuchte. Ich war eine Elfe.

Vorher hatte ich es wohl nicht richtig geglaubt, dass ich eine Elfe sein sollte. Doch jetzt hatte ich die Bestätigung. Und es fühlte sich irgendwie...richtig an.

Ich merkte wie sich etwas in mir veränderte. Als hätte ich vorher meine wahre Gestalt unterdrückt und nun fühlte ich mich frei. Ganz.

>>Wieso sind sie plötzlich da?<<, fragte ich leise. >>Die spitzen Ohren.<<

>>Der Illusionszauber, der sie vorher verbergen ließ, muss sich wohl, als Ihr Anderland betreten habt, aufgelöst haben, Eure Hoheit.<<, antwortete Alara und trat an meine Seite. Zusammen schauten wir in den Spiegel. >>Dies ist Eure wahre Gestalt. Akzeptiert sie.<< Sie strich mir ein Haarsträhne hinters Ohr und lächelte mein Spiegelbild an.

>>Ja so scheint es wohl.<<, flüsterte ich, immer noch überwältigt und betrachtete mein verändertes Ich. Mir fiel auf, dass meine Haltung anders war. Anmutiger und Selbstbewusster. Ich zog nicht mehr den Kopf zwischen den Schultern ein, wie ich es früher getan hatte, um nicht so groß zu wirken, sondern hielt mich aufrecht und die Schultern entspannt.

>>Wow, ihr seid wahre Genies.<<, sagte ich immer noch vollkommen überwältigt. >>Dank euch sehe ich wenigstens so aus wie eine Prinzessin.<<

>>Ihr seid eine Prinzessin!<<, korrigierte Alara mich freundlich und ich senkte den Blick. Schon wieder wurden mir die hohen Erwartungen und der Druck bewusst.

>>Oh. Wir müssen uns sputen. Ratsmitglied Veila erwartet Euch in zehn Minuten im kleinen Tanzsaal.<<, sagte Alara nach einem weiteren Blick auf die Uhr. >>Es wäre ungut sie warten zu lassen.<<

Warum nur konnte ich mir das allzu gut vorstellen?

Ich seufzte und nickte resigniert. In dem Moment klopfte es auch schon an der Tür und nachdem sie sich angekündigt hatte, trat Fürstin Calandra ein. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein leichtes, silber schimmerndes Kleid.

Sie knickste elegant und sah mich ausdruckslos an. >>Euer Hoheit, seit Ihr so weit?<<

>>Ja.<<, sagte ich, fühlte mich aber alles andere als bereit. Doch was blieb mir schon für eine andere Möglichkeit?


Immergrün *pausiert* #TeaAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt