Kapitel 28 - Erinnerungen

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Ich hatte noch keine Lust mich in meine Zimmer zu begeben, weshalb ich kurzerhand entschied, einfach noch ein wenig durch den Palast zu wandern. Ich wollte diesen Ort kennenlernen, wo meine Eltern jahrelang gelebt hatten. Vielleicht konnte ich so auch sie ein wenig besser kennenlernen. Ziellos durchstreifte ich die endlosen Flure, bis mir die kleine Pixies wieder um den Kopf schwirrten. Nachdem sie wieder einigermaßen zur Ruhe gekommen waren, fragte ich sie, ob sie zufällig wüssten, wo sich die Gemächer meiner Eltern befanden. Dabei hoffte ich, dass sie mich verstanden hatten.

Das kleine Pixiemädchen mit den Schilfhaaren flog aus der Menge hervor und auf mich zu. Sie deutete eifrig mit ihren winzigen Finger geradeaus und forderte mich auf ihr zu folgen.

Während sie auf meiner Schulter saß und mir zeigte, wo ich abbiegen musste, versuchte ich ihren Namen zu erraten. Sie zeigte brabbelnd auf ihre Haare und ich schlug ein paar Namen vor.

>>Schilf?<<, fragte ich und schaute sie aus den Augenwinkeln an.

Sie schüttelte den Kopf.

>>Schilfine?<< Empört schüttelte sie den Kopf und schimpfte in ihrer unverständlichen Sprache über den Namen.

Ich bat sie, mir ihren Namen zu nennen, doch ich verstand ihn nicht.

>>Darf ich dich denn Schilfchen nennen?<<, fragte ich und sie willigte widerwillig ein.

Schilfchen brachte mich auf die Etage, auf der sich auch meine Zimmer befanden, doch wir gingen in die entgegengesetzte Richtung weiter. Schließlich erreichten wir eine doppelflügelige Tür und die zwei Wachen ließen mich wiederstandlos passieren. Dabei entging mir nicht, wie einer der beiden meinen Anzug komisch musterte.

Ich dankte Schilfchen und sie flog den Flur zurück, aus dem wir gekommen waren. Allein betrat ich die Gemächer meiner Eltern und schluckte. Ich hatte erwartet, dass die Räume schön, aber leer und unpersönlich sein würden, ähnlich wie meine eigenen eben. Doch stattdessen entdeckte ich allerlei persönliche Dinge und bekam sofort ein Eindruck von ihren Persönlichkeiten. Es war als würden sie immernoch hier wohnen und einfach gleich wieder hereinkommen. Der kleine Salon, in dem ich stand, war gemütlich eingerichtet und ich merkte sofort, dass sie hier wohl viel Zeit zusammen verbracht hatten, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren ein ganzes Land zu regieren und die Konflikte zwischen den neu vereinten Reichen zu schlichten.

Zwei große, gemütliche Sessel standen um einen niedrigen Sofatisch, auf dem noch ein Schachbrett mit abgegriffenen Holzfiguren stand. Anscheinend hatten sie es sehr oft gespielt. Ich entdeckte außerdem ein Stickrahmen auf der Lehne eines Sessels. Offensichtlich von meiner Mutter. Ich hob ihn hoch und sah, dass sie eine rote Rose in ein kleines Stück Stoff gestickt hatte.

Nach kurzem Zögern befreite ich den Stoff aus den Stickrahmen und nahm es mit.

Als nächstes öffnete ich die Tür zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Als mir einfiel, dass dieses Zimmer wohl das Persönlichste war, was ich hier von ihnen finden konnte, wollte ich schon umkehren, da es mir irgendwie unangenehm war hier einzudringen. Immerhin war dies der Ort, wo sie ungestört alleine sein konnten und nunja... was weiß ich alles gemacht haben.

Doch als mein Blick auf das kleine Kinderbettchen neben ihren großen Doppelbett fiel, konnte ich nicht wieder gehen. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Langsam ging ich darauf zu und blieb regungslos vor der weißen Holzwiege mit den zartrosa Vorhängen am Kopfende stehen. Ein Mobilé mit kleinen gallopierenden Pferdchen und einem violetten Immergrün in der Mitte hing über der Wiege. Plötzlich durchzuckte meinen Geist eine Erinnerung, wie ich in der Wiege lag und meine kräftigen Babyarme lachend nach dem klimpernden Mobilé ausstreckte und die Gesichter meiner Eltern lächelnd auf mich heruntersahen.

Ich blinzelte und die Erinnerung war wieder verschwunden. Der Kloß in meinem Hals drohte mich zu ersticken. Die kleine Wiege, in der ich früher gelegen hatte, verschwamm vor meinen Augen und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Schluchzend brach ich vor dem Bettchen zusammen und klammerte mich daran fest.

Wie hatte ich nur mir selbst vorgeben können, meine Eltern seien mir egal gewesen? Ich habe mich die ganze Zeit über selbst belogen. Sicher war ich traurig gewesen, dass ich sie nie kennengelernt hatte, aber ich hatte immer allen gesagt, dass ich daran eh nichts mehr ändern könnte und ich deswegen nicht daran dachte, was hätte sein können. Doch in Wahrheit sehnte ich mich danach mir auszumalen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn meine Eltern nicht verschwunden wären. Ich wusste, dass Tante Sophie und Dan mich liebten und ich sie, doch jetzt sehnte ich mich nach der Liebe meiner richtigen Eltern. Ich sehnte mich danach von ihnen in die Arme geschlossen zu werden, mit meiner Mutter über Mädchen-Probleme zu reden und mit meinen Vater die tollsten Abenteuer zu erleben. Doch das konnte ich nicht. Womöglich nie mehr.

Ich schluchzte weiter und die Tränen liefen in Bächen an meinen Wangen herunter und auf meine Knie. Doch ich war zu aufgelöst um sie wegzuwischen. Ich nahm mir den Teddy aus meiner alten Wiege und verbarg mein Gesicht darin. Ich spürte wie er sich mit meinen Tränen vollsog.

Irgendwann trockneten meine Tränen und ich schniefte nur noch leise. Dabei atmete ich den fremden aber zugleich vetrauten Geruch des Kuschelbären ein. Er schien mich irgendwie zu beruhigen.

>>Sie müssen dich sehr geliebt haben.<<, sagte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich schaute über die Schulter zurück und entdeckte Kaden, der im Türrahmen stand. Aprubt stand ich auf und wischte mir über die Augen und Nase. Wie konnte er sich immer so anschleichen? Sofort war es mir peinlich, dass ich hier mit verqollenen Augen und laufender Nase vor ihm stand, nachdem ich Rotz und Wasser geheult hatte. Dazu hielt ich meinen alten Teddybär und ein Stück Stoff mit einer Rose in der Hand. Mein Gesicht und meine Ohrspitzen fingen sofort zu brennen.

Meine Ohrspitzen?? Na toll, jetzt wurden anscheinend nicht nur meine Wangen rot, sondern auch noch meine Ohren.

Doch zu meiner Verwunderung beachtete er das alles gar nicht und gab keine gemeinen Kommentare von sich. Stattdessen kam er auf mich zu und hielt mir ein Taschentuch hin. Mit hochrotem Kopf nahm ich es entgegen und putzte mir die Nase.

>>Was tust du hier?<<, murmelte ich leise und sah zu ihm hoch.

>>Ich... habe dich gesucht.<<, sagte er ebenso leise.

>>Weil?<<, fragte ich und sah ihn überrascht an.

Doch anstatt meine Frage zu beantworten, ging er zu meiner alten Kinderwiege und betrachtete sie still. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und wartete einfach ab, bis er das Schweigen brechen würde.

Die Stille breitete sich aus und mir wurde es langsam unangenehm. Gerade als ich den Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen, sprach er und seine Worte warfen mich völlig aus der Bahn.

>>Ich kann dir helfen, deine Eltern wieder zu finden.<<


Immergrün *pausiert* #TeaAward2018Where stories live. Discover now