Kapitel 22

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Ich trat einen Schritt zurück. Dann noch einen. Wie konnte er so etwas sagen? Ich empfand mich zwar selbst als unfähig ein Land zu regieren, aber es von jemand anderem, vorallem von Kaden, zu hören, war dann doch etwas anderes. Verletzt schaute ich auf den Boden und ballte die Hände zu Fäusten.

Und ich hatte gedacht, er mochte mich und der Tanz hätte auch ihm Spaß gemacht, so wie mir. Offensichtlich hatte ich mich geirrt und die sanften Blicke und das Herzklopfen hatte ich mir wohl eingebildet.

Als ich den Kopf wieder hob, drohten mir Tränen in die Augen zu steigen, doch ich unterdrückte sie.

>>Weißt du eigentlich wie das ist, wenn dein Leben komplett umgekrempelt wird und alles anders ist, als es bisher schien? Dass du nicht der, oder wohl eher das bist, was du immer dachtest zu sein?<< Meine Stimme zitterte leicht und ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, der sich gebildet hatte, bevor ich weiter sprach. >>Ich hatte bis vor ein paar Tagen geglaubt, dass ich ein ganz normales Mädchen mit normalen Problemen bin. Sicher, es passierten Dinge, die ich mir nicht erklären konnte, aber ich hätte nicht im Ansatz vermutet, dass ich so etwas wie eine Elfe sein könnte, aber ich bin eine. Und als wäre das alles noch nicht genug, setzt man mir auch noch ein Krönchen auf den Kopf. Doch das Härteste, war zu erfahren, dass meine Eltern vielleicht noch lebten. Man hatte mir immer erzählt, dass sie bei einem Autounfall gestorben sind, als ich klein war.<<, sagte ich und konnte die Tränen kaum noch aufhalten, die sich endgültig in meine Augen geschlichen hatten. >>Ich würde mich am liebsten sofort auf die Suche nach ihnen machen, doch ich wüsste ja gar nicht, wo ich anfangen sollte, da ich mich hier nicht auskenne. Außerdem muss ich ja hier bleiben und lernen wie ich ein Land regiere, das ich nicht kenne. Du hast Recht, ich bin völlig ungeeignet dafür. Aber ich werde mein Bestes tun. Für meine Eltern und für meine Tante.<< Zum Schluss hatte ich nur noch geflüstert und mein Blick war verschwommen von den vielen Tränen. Ich sah Kaden an, doch seine Augen waren ausdruckslos und kalt. Ich konnte hier nicht mehr sein. Plötzlich schien es, als würde sich das Korsett sich noch enger um meine Brust zusammenziehen und ich bekam kaum noch Luft. Ich konnte den Saal und die vielen Elfen darin nicht mehr ertragen. Die Wände schienen näher zu kommen und der Boden drehte sich.

Oh nein, bitte kein Panikanfall! Ich musste raus hier. Nur wohin? Hektisch sah ich mich um und entdeckte eine Glastüre am anderen Ende des Saals.

Mit einem letzten Blick auf Kaden, drehte ich mich auf dem Absatz um und rannte, so schnell es auf den hohen Schuhen ging, durch den Saal. Die Tränen liefen mir nun frei über die Wangen und verschmierten meine Schminke, mit der sich meine Zofen so viel Mühe gemacht hatten. Doch es war mir egal. Es war mir auch egal, dass alle mich anstarrten, als ich mich zwischen sie drängte. Ich wollte nur noch raus hier. Raus aus Ankaria und raus aus Anderland. Doch es ging nicht. Jedenfalls vorerst nicht.

Ich war nur noch wenige Meter von der Tür entfernt und rannte schneller. Mit verschleierter Sicht rempelte ich einen Gast an und murmelte eine Entschuldigung.

Endlich erreichte ich die Glastür und stieß sie erleichtert auf.

Die Nachtluft war erstaunlich kühl. Doch sie war eine Wohltat für meine glühende Haut. Tief ließ ich die Luft in meine Lunge einströhmen und schloss die Augen, um mich zu beruhigen. Als ich die Augen wieder öffnete und sich mein Blick einigermaßen klärte, entdeckte ich eine Wache, die verdutzt an einer Säule stand. Meine Wange glühten vor Scham. Ich sah bestimmt schrecklich aus mit den verheulten Augen und der roten Nase. Verlegen salutierte er und ich fragte ihn, ob er mich alleine lassen würde. Ich versicherte ihm, dass mir schon nichts passieren würde.

Kurz zögerte er, verließ aber dann seinen Posten. Als er in den großen Saal ging und die Balkontür leise hinter sich anlehnte, atmete ich erschöpft aus. Endlich war ich ungestört. Langsam trat ich an die steinernde Brüstung und ließ ungehemmt meine Tränen die Wangen hinunter laufen. Als keine Tränen mehr kamen, ließ ich die im Dunkeln liegende Landschaft auf mich wirken. Ich hickste. Mist, jetzt bekam ich auch noch Schluckauf. Das passierte immer, wenn ich geweint hatte. Hicksend betrachtete ich den geflegten Garten und die hohen Bäume am Horizont. Der Mond ließ die Baumkronen silbern schimmern und erleuchtete die tiefschwarze Dunkelheit ein wenig. Ich stützte mich auf die Brüstung und schaute hinauf in den Himmel. Tausende Sterne funkelten am Himmel, wie Diamanten an den Kleidern mancher Hofdamen im Saal. Ihre Konstellationen wirkten unvertraut und vermutete, dass es daran lag, dass ich hier in einer ganz anderen Welt war. Ich ließ meine Gedanken schweifen und grübelte über Welten und Universen nach, während ich den Vollmond betrachtete. Allerdings schmückte nicht nur einer das Himmelszelt, sondern gleich drei. Die anderen zwei kleineren Monde, standen gerade in unterschiedlichen Phasen. Nur der größe erstrahlte als Vollmond.

Ich seuftzte tief. Wie sollte ich das alles hier nur überstehen? Kaden hatte Recht. Ich taugte nicht als Prinzessin. Ich malte mir aus, was mir alles noch bevorstand und zog meine Laune immer weiter runter. Nach einer Weile schaute ich nur noch finster zu den Sternen herauf. Als eine Sternschnuppe über den dunklen Himmel zog, wollte ich gerade einen stillen Wunsch nach oben schicken, als ich etwas unterhalb der Balkonbrüstung vorbei huschen sah. Als ich genauer hin schaute war es verschwunden. Wahrscheinlich hatte ich es mir nur wieder eingebildet, genau wie vor dem Ball in dem Korridor. Ich zuckte die Achseln und richtete meine Augen wieder gen Himmel. Jetzt war es wohl zu spät für einen Wunsch. Seufzend stützte ich mein Kinn auf meinen Arm und schaute gedankenverloren auf den Rasen knapp unter mir. Die Grashalme wiegten sich friedlich in der sanften Brise, die auch mein Gesicht kitzelte. Es war so beruhigend, dass meine Lider schwer wurden und ich sie nur mit Mühe aufhalten konnte. Ich schloss für einen Moment die Augen und driftete ab. Als ich sie wieder öffnete, war irgendetwas anders.

Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben und verdunkelte die Landschaft. Nur noch das goldene Licht, das aus dem Saal nach draußen schien und ein winziges Windlicht, das aber kaum Licht spendete, erhellten den Balkon. Allerdings kaum die Wiese unter mir und die erregte gerade besonders meine Aufmerksamkeit. Die Halme innerhalb einer kleine Stelle, fast direkt unter mir, bewegten sich nicht mit den Anderen. Ich lehnte mich weiter über die Brüstung und versuchte angestrengt besser etwas zu erkennen. Das Gras erschlaffte und wurde dunkler. Wie als würde etwas sie welken lassen.

Nur was? Plötzlich bewegte sich dort unten etwas.

Zuerst sah es so aus, als würde sich die Erde verdünnen, wie wenn es stark regnete, und zu Schlamm werden, doch es war dunkler und es schien direkt aus dem Boden zu kommen. Was auch immer es war, es waberte unheimlich über das welke Gras und um jeden Zentimeter, das es sich ausbreitete, welkten auch die Grashalme.

Von einem Moment auf den anderen erhob sich die tiefschwarze Masse und heraus bildete sich...

Eine Hand, die ihre langen spinnenartigen Finger nach mir ausstreckte.

Ruckartig schreckte ich zurück und brachte ein paar Zentimeter abstand zwischen mir und dem Geländer.

Ich atmete heftig ein und aus. Das hast du dir bloß eingebildet, Rya! Da war nichts. Die Nacht hat dir bestimmt nur einen Streich gespielt... oder du bist versehentlich eingenickt und hast etwas geträumt. Ja, das musste es sein.

Vorsichtig trat ich wieder an die, gerade mal hüfthohe, Brüstung und spähte mit rasenden Herzen nach unten. Doch da war nichts. Nur ein Fleck verdorbenes Gras. Ich atmete tief ein, um mein Herz zu beruhigen und redete mir ein, dass es nur ein Zufall war, dass das Gras an dieser Stelle verwelkt war. Trotzdem war es mir hier definitiv zu gruselig. Außerdem fröstelte ich langsam, weswegen ich wohl besser rein ging. Jedenfalls redete ich mir ein, dass das der Grund war.

Ich drehte mich um.

Der Schreck fuhr mir durch Mark und Knochen.


Immergrün *pausiert* #TeaAward2018Where stories live. Discover now