Bibiane {1}

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Ich liege auf dem kalten Boden meines Zimmers und starre den klingelnden Wecker an. Los geht es. Ab in die Hölle 2.0. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich kann nicht. Ich muss trotzdem. Und so stehe ich auf, die Fenster sind weit geöffnet, wie immer. Ich atme tief durch und schleiche mich ins Bad und dusche mich. Ich genieße dieses warme Wasser immer wieder, da es die einzige Wärme ist, die ich wirklich gern haben kann.
Als ich das Wasser abstelle und mich abgetrocknet habe gehe ich schnell zurück in mein Zimmer und schließe mich ein, meine Eltern schlafen zum Glück noch. Ich stelle mich vor den Spiegel und betrachte mich. Mein ganzer Körper ist voll mit blauen Flecken und Narben. Ich mustere jede einzelne Stelle an mir. Überall sehe ich den Schmerz und mein Körperfett. Heute isst du nichts. Heute nicht. Du hast Kaffee, du brauchst kein Essen. Du brauchst es nicht. Du wirst nicht essen. Mein Magen beginnt zu Knurren und ich lege eine Hand auf meinen Bauch und sehe mich weiter so im Spiegel an, dann ziehe ich mir Unterwäsche an, binde meine Haare zu einem Zopf und fange an Sport zu machen. 100 Hampelmänner. 10 Liegestütz. 100 Situps. 100 Crunches. 40 Sekunden Planks. 40 Leg Lifts. 60 Kniebeugen. Ich mache es so lange weiter bis ich das Gefühl habe umzukippen, dann gehe ich wieder ins Bad und föhne meine Haare, ziehe mich dann richtig an, schminke mich und gehe zur Schule.
Ich halte in einer Hand eine Zigarette, welche ich immer wieder zu meinem Mund führe und nehme tiefe Züge von ihr, in der Anderen halte ich einen Becher Kaffee. Als ich aufgetaucht bin gehe ich in die Schule rein, setze mich in die Klasse. Die ersten paar Stunden sind okay. Alles ist noch okay. Doch dann klingelt es zur Pause, ich gehe aus dem Klassenraum und will auf den Gang, aber Zayn rempelt mich an. Ich weiß, dass er es mit Absicht getan hat, denn er tut es gerne mal.
'Hey pass doch auf!', sage ich und versuche mutig zu klingen, doch er wird nur wütend und geht wieder auf mich los, ich weiß nicht mal wirklich was ich getan habe. Ich versuche nicht mal mich zu verteidigen. Ich tue es nie. Ich kann mich nicht wehren und werde es nie können, also versuche ich es nicht. Ich bin zu schwach, ich weiß es. Mir würde es oft genug gesagt. Als er von mir ablässt, mich anspuckt und geht bleibe ich einfach auf dem Boden liegen. Es bilden sich Tränen in meinen Augen, welche langsam über meine Wangen laufen. Ich bin es gewohnt zu weinen und Schmerzen zu spüren, also ist es nichts Neues für mich. Es ist das Selbe wie immer. Ich sehe mich verzweifelt nach meiner besten Freundin um, doch ich kann sie nicht sehen. Ich stehe auf und fange an sie zu suchen, doch ich sehe sie nicht. Also gehe ich zu den Mädchentoiletten. Mir ist schwindlig und ich habe das Gefühl umzukippen. Ich betrachte mich im Spiegel, während ich mir die Spucke aus dem Gesicht wasche. Hättest du doch nur nichts gesagt. Warum bist du so dumm?
Ich denke über seine Worte nach und entdecke blaue Flecken in meinem Gesicht. Wieder wird mir schwindelig und ich halte mich am Beckenrand fest, doch es nützt nichts und ich Kippe im, verliere das Bewusstsein und kann es nicht ändern.

Als ich wieder aufwache blendet mich grelles Licht und ich sehe mich um, ich bin zuhause in meinem Zimmer, das Licht ist an, was selten ist.
"Du bist wach.", höre ich die furchtbar tiefe Stimme neben mir sagen und Panik steigt in mir auf, ich versuche wegzurücken, doch er hält mich am Handgelenk fest.
"Wo willst du denn hin Kleines?", fragt er und ich kneife nur meine Augen zusammen.
"Wolltest wohl abhauen, was? Aber ich dachte wir wollten heute unseren Spaß haben?", er lacht hämisch und ich spüre wieder diesen furchtbaren Schmerz. Ich bekomme Tränen in den Augen, doch er lacht noch mehr als sie über meine Wangen laufen.
"Warum weinst du denn? Ich weiß, dass es dir gefällt und, dass du das auch gerne mit den Jungs in deiner Schule machst, lüg mich nicht an. Du sollst ehrlich zu deinem Vater sein.", doch ich schüttle den Kopf. Ich mache das nicht gerne, ich will es nicht. Ich mache das mit niemandem, außer mit ihm, wegen seinem Zwang. Er stützt sich über mich, ich sehe ihn nicht an, habe die Augen geschlossen, doch ich weiß, dass er über mir ist. Ich spüre sein Gewicht und rieche seinen Schweiz, sein Aftershave, ich spüre seinen Atem und in mir steigt mehr Panik, zum ersten Mal seit langem versuche ich ihn wegzudrücken, doch mein Versuch scheitert. Ich trete um mich, doch er schlägt mich.
"Du hörst damit auf verdammte Scheiße wenn du das auch mit Anderen machst, dann erst recht mit mir! Du gehörst mir!", doch ich mache es nicht mit anderen. Ich schwöre es doch. Ich beginne richtig zu weinen und er reißt einfach mein Oberteil hoch und sieht meine Narben, wieder schlägt er mich.
"Hast du dummes Stück wieder deinen Körper verstümmelt?!", schreit er etwas lauter. Und ich weiß, dass meine Mutter nebenan ist. Sie hat den Fernseher an. Sie tut immer so als wäre alles gut. Sie sieht wieder ihre Serien und weiß genau was hinter der verschlossenen Tür passiert. Sie weiß es und wird es immer wissen.
Warum tut sie nichts?! Warum hilft sie nicht?! Hilfe! Hilfe!, schreie ich im Kopf, doch ich werde es nie verstehen.
Inzwischen ist mein Oberkörper von keinem Kleidungsstück mehr bedeckt.
"HILFE! MAMA HILF MIR!", schreie ich vergeblich ins Nichts, doch sie hilft mir nicht, er hält mir den Mund zu.
Nach kurzer Zeit bin ich vollkommen entblößt und er beginnt sein widerliches Spiel.
Mein Körper ist verkrampft und ich spüre starke Schmerzen, meine Augen sind die ganze Zeit geschlossen. Ich weine und versuche wenigstens sein Stöhnen zu überhören, doch es brennt sich in meinen Kopf.
Ich schreie erneut um Hilfe, doch niemand reagiert darauf, er drückt nur meinen Mund zu und macht weiter.
Ich lasse es aus Erschöpfung irgendwann einfach nur noch über mich ergehen, bis er von mir ablässt, sich anzieht und aufsteht.
"Du solltest dich wieder rasieren und hör auf zu heulen und zu schreien, sonst tut es dir nächstes Mal weh. Ich kenne dein Spiel. Du tust so als wäre es nicht gut, doch innerlich hast du Spaß.", er lässt diese Worte im Raum stehen und verschwindet dann. Er lässt mich einfach geschunden dort liegen, mit meinen Tränen und meinem Schmerz. Ich fange schnell an mich anzuziehen und stehe zügig auf. Ich laufe aus meinem Zimmer, an meiner Mutter vorbei.
"Wohin gehst du mein Schatz?", fragt sie und lächelt mich an. Wie konnte sie noch lächeln? Wie konnte sie mich noch ihren Schatz nennen, nach allem was er mir angetan hatte, was sie alles ignorierte?
Ich sage nichts, schüttle stumm meinen Kopf und gehe raus aus dem Haus. Ich laufe über die Straßen, mein Blick ist leer, meine Schenkel und mein Unterleib tun weh. Ich sehe auf den Boden und überquere die Straße, laufe langsam und bleibe einfach stehen.
Ein Autofahrer hält an und hupt, was so laut ist, dass ich zusammenzucke und wieder beginne zu weinen, er wartet bis ich weiterlaufe und fährt dann wieder los. Ich laufe in die Sackgassen rein, ich habe keine Angst, denn hier könnte mir nichts passieren, was mir nicht schon passiert ist. Unser Viertel ist kein Gutes, die Leute sind bekannt für ihre Drogengeschäfte und ich gehe zu einem Bekannten, lasse mir vom ihm Stoff geben, er spendiert mir etwas, da er weiß, dass es mir seelisch nicht gut geht. Er weiß, dass ich nicht mehr kann.
"Du kriegst den Stoff nur von mir Kleine, damit du irgendwie am Leben bleibst, verstanden? Ich will nicht, dass du tot bist.", sagt er mit seiner rauen Stimme.
"D-Danke Adam.", höre ich mich leise sagen und er lächelt sanft.
"Du musst mir nicht danken."
Dann gehe ich, werfe auf halbem Wege ein paar der schönen kleinen Tabletten ein, schlucke sie runter und lasse sie wirken. Die Schmerzen verschwinden langsam und meine Fantasie lässt sich freien Lauf. Ich weine immer noch und nehme die Klingen aus meiner Jackentasche, führe sie über meine Haut und sehe mir das Blut an. Ich lache während ich es sehe, weil ich weiß, dass ich meinen Schmerz niemals richtig auslassen kann.
Ich ziehe die Klingen immer wieder über meinen Arm, ich habe einen regelrechten Ausraster. Ich tue es immer schneller, immer wieder, ziehe sie über meine Pulsadern, versuche immer wieder die Klinge tiefer in meine Haut zu drücken. Aber ich versage, wie immer. Die Ader will nicht durchgehen. Stattdessen lache ich weiter während ich mir das Blut ansehe. Es wird niemals wirklich meinen ganzen Schmerz widerspiegeln können und ich weiß es genau, doch ich kann es nicht ändern.
Ich ziehe meinen Ärmel über meinen offenen Arm, das Blut sickert durch. Es ist schon nachts, aber ich laufe weiter über die Straßen, bis ich mich irgendwann einfach hinsetze. Mitten auf die Straße. Ich warte auf die Autos, die mich endlich befreien. Ich warte auf alles.

@http.hurensohn
Danke für alles was du je für mich getan hast. Danke, dass du mein Herz berührt und an dich genommen hast. Ich habe Gefühle bekommen, welche mehr als Freundschaft zu scheinen sein. Ich danke dir dafür, dass ich kennenlernen durfte wie sowas ist. Ich danke dir dafür, dass du für mich da warst und dafür, dass ich dir vertrauen durfte.
Meine Zeit auf dieser Erde ist aber jetzt um. Ich kann es nicht mehr. Er hat es wieder getan. Ich habe Schmerzen, ich bin High, ich sitze auf der Straße.
Danke. Danke für alles, hoffentlich sehen wir uns irgendwann da oben. :)

Ich schicke die Nachricht unter Tränen an. Ich weine und lache zugleich. Ich lache mich aus, weil ich dachte ich könnte mich wehren. Ich weine, weil ich es nicht konnte und weil es so unendlich weh tut.
Und so hofft das kleine, dicke Mädchen von dieser Welt zu gehen.

Sue: Bleib sitzen.
Ana: wenigstens gehst du mit leerem Magen.
Cat: Das Blut bleibt bestehen, wenn du überlebst wird das Blut immer wieder kommen, ich freue mich schon.
Dep: Wenn du nicht überlebst, hast du den Scheiß endlich hinter dir. Diese Schmerzen sind weg, aber du schaffst es eh nie etwas richtig zu machen.
Izzy: Wenn du mal wieder scheiterst, werde ich dich wieder so lange wach halten. Viel Spaß.

Und ich bleibe sitzen, warte und hoffe.
In meinem Kopf sieht alles so bunt aus, meine Augen schließen sich wie von selbst und ich lege mich zurück und warte weiter auf ein Auto, welches mich endlich erlösen wird. Und ich bleibe sitzen, warte und hoffe.
Gleich ist alles gut, gleich bist du frei und niemand tut der mehr weh. Niemand wird mehr schreien, niemand wird dich je wieder schlagen. Niemand wird über dich herfallen. Niemand wird dich anspucken und vor allen anderen demütigen. Du wirst nie wieder diese Schmerzen spüren müssen. Du wirst nie wieder weinen müssen. Alles wird endlich schön und gut. Du musst nur hier warten bis ein Auto kommt.

Doch es kommt kein Auto. Sie fahren an mir vorbei und irgendwann nimmt irgendwas neben mir meine Hand. Ich traue mich nicht hinzusehen, ich nehme nur meine Hand wegen den Berührungsängsten weg. Ich habe Angst vor den Schmerzen die mich erwarten könnten, falls ich mich traue hinzusehen wer die Person, die meine Hand hält ist.

"Steh auf mein Schatz, alles wird gut, aber steh auf. Ich helfe dir. Wir gehen heim und dein Vater und ich nehmen dich in den Arm, dann sagst du uns warum du hier liegst und was das alles soll. Was die Schreie und Hilferufe sollen, okay?", höre ich die sanfte Stimme meiner Mutter sagen und erst da öffne ich meine Augen.
"N-nicht a-anfassen.", bringe ich nur hervor und setze mich dann auf, sie holt mich von der Straße.
Und in dieser Nacht merkte ich, dass meine Mutter nicht realisieren will was die Wirklichkeit ist.



{Danke für das Lesen, die Abkürzungen stehen für:
Sue: Für Suizid/Gedanken
Ana: Anorexie
Cat: Selbstverletzung
Dep: Depressionen
Izzy: Schlafstörungen.}

Suicide Room.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt