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Der Tag fing für mich wie immer an. Die Wohnung roch nach Whisky,  Gorbatschow und alten Kippen. Zugegebener Maßen war ich am Gestank der Kippen nicht ganz unbeteiligt.
Wie immer ging ich mich erst mal waschen, sah mir dabei die frischen Wunden des letzten Abends an. Wenn ich mir ansah an welchen Stellen mein Vater seine Zigaretten an mir ausdrückte, wunderte es mich, dass ich immer noch keinen Anlass fand mit dem Rauchen aufzuhören.
Ich zog mich an, nahm meine Sachen, dann brachte ich meine Schwester in den Kindergarten. Anschließend ging ich zur Schule.
Louis stand im Flur und wartete dort schon auf mich. Ich ging zu ihm, kaute dabei auf meiner Lippe.
"Woher ist das blaue Auge?", fragte er und sah zu mir auf.
"...von meinem Vater. Wie verdammt noch mal jede Wunde.", Louis war der Einzige, dem ich die Wahrheit sagen konnte. Doch dann nahm ich das zierliche Mädchen, welches an ihren Spind stand hinter ihm.
Bibiane. Sie dürfte es nicht wissen. Mein Ruf wäre am Ende, wenn sie jemandem die Wahrheit sagen würde! Das Jugendamt würde mich von meiner Schwester trennen. Alles wäre aus.
"Bibiane!", knurrte ich, dann sah sie auf. Vor Schreck fielen ihr die Sachen runter.
"Komm her, sofort.", sie schüttelte ihren Kopf.
"Komm."
Sie reagierte nicht auf mich, sondern begann wegzurennen. Manchmal tat sie mir leid, aber ich kann das alles nicht riskieren. Ich rannte ihr hinterher. Verdammt wie konnte ein Stock wie dieses Mädchen nur so schnell rennen?
Scheiß Raucherlunge, dachte ich, als meine Lungen anfingen mir die Luft zu nehmen.
Eins. Zwei. Drei. Ich warf mich auf sie.
Jetzt hatte ich sie. Ich drückte sie runter. Sie sah so hilflos aus...irgendwie war sie ja auch niedlich dabei.
"Du hast gelauscht.", zischte ich. Sie zitterte. Anscheinend machte ich ihr so große Angst.
"Bleib jetzt verdammt noch mal liegen." Und dann geschah etwas, was ich tatsächlich nicht dachte. Das Mädchen drehte sich um, verpasste mir einen Leberhaken und rannte weg.
Scheiße wo kam diese Kraft her? Ich dachte so dürr wie die ist könnte die grade mal ihre Arme heben. Heilige Scheiße...um ehrlich zu sein stand ich auch ein bisschen auf diese Seite an ihr. "Scheiß drauf", dachte ich. "Ich gehe einfach nach der Schule zu ihr und bringe ihr irgendwelchen Schuldreck. Ihren Eltern sage ich, dass ich ihrer Tochter nur Zeug bringen will, dann lassen die mich rein und dann sorge ich dafür, dass die ihren Mund halten wird. "
Nach der Schule ging ich also mit meinen Heftern zu ihr. Tatsächlich hatte ich mal Blätter eingeheftet. Sie darf einfach nichts verraten. Kein Wort. Sonst sehe ich meine Schwester nie wieder.
Angekommen klingelte ich. Ihre Mutter öffnete mir die Tür. Sie sah anders aus als erwartet. Irgendwie sah sie heruntergekommen aus. Einfach nicht so wie ich es erwartet hatte.
"Hallo, Ma'am. Ich wollte ihrer Tochter ein paar Blätter von der Schule bringen. Ihr ging es vorhin wohl nicht gut.", ich lächelte so freundlich ich konnte.
"Ist grad beschäftigt. Komm wann anders wieder.", sie sprach mit einem Akzent.
"Aber manche Aufgaben sind zu morgen. Es wäre wichtig, dass sie alles bekommt."
"Bin mir nicht mal sicher ob ich die morgen rauslasse. Vielleicht bleibt die hier. Dann is' auch gut."
Im Hintergrund waren Schreie zu hören, Gestöhne und ein Junge kam an die Tür, der zu seiner Mutter aufsah.
"Maman, bitte. Mach doch was.", sagte er. Er sah verzweifelt aus und ich runzelte die Stirn. Sie ohrfeigte ihn einfach.
"Was habe ich dir gesagt, Étienne?! Geh in dein Zimmer!", zischte sie. Er schüttelte den Kopf.
"Mach was!"
Und wieder hörte man einen Schrei. Langsam war ich mir sicher, dass die es war. Am Anfang als ich anfing sie in der Schule runter zu machen schrie sie manchmal. Inzwischen hatte sie aufgehört. Dann sah ich zu ihrer Mutter und ging einfach rein in die Wohnung.
"Verpiss dich aus meiner Wohnung!", schrie die Mutter und versuchte mic zurück zu ziehen, aber ich schüttelte sie ab. Dann fand ich das Zimmer aus dem das Keuchen kam.
Die Tür war geschlossen, aber ich drückte mich dagegen bis sie auf ging. Und da sah ich sie. Nicht ein mal halb so wehrlos wie ich sie jemals machte. Vollkommen blau und tränenunterlaufen. Ein Mann über ihr, die Hand würgend um ihren Hals, die Andere auf ihrem Mund um sie endlich ruhig zu bekommen. Keiner von beiden hatte etwas an. Er tat ihr weh. Er tat ihr weh wie ich es niemals getan hätte und ich verstand plötzlich was für ein grausamer Mensch ich war und was für ein leidendes Wesen sie war. Sie versuchte sich irgendwie zu verstecken, was einfach nicht ging. Niemand gab ihr die Möglichkeit. Nicht mal richtig Luft konnte sie holen.
Und alles überkam mich.
"Du Wichser verpiss dich hier!", er löste seine Hände von ihrem Hals und ihrem Mund, nahm etwas und warf es in meine Richtung.
Und sie weinte immer mehr. Ich konnte es nicht mehr ansehen. In diesem Moment drehte ich durch.
Ich zog mein Taschenmesser und zog ihn von ihr runter. Er find an mich zu schlagen und schon war es geschehen.
Mein Messer traf ihn. Mehrmals. Eine Hände füllten sich mit Blut. Und sein Wehren hörte auf. Jetzt war er der Wehrlose.
Ich sah zu wie er am bluten war. Wie es aus ihm kam und er um sein Leben rang. Es dauerte gute drei Minuten und dann hörte alles aus.
"Bibiane, zieh dich an.", sagte ich während ich den leblosen Körper vor mir anstarrte. Ich zog meine Sweatshirtjacke aus und warf sie nach ihr, sie find an sich anzuziehen. Sie sagte nichts. Ich hörte nichts von ihr. Ihre Mutter begann zu schreien und zu weinen. Warum weinte man um so einen Menschen?
Dann sah ich zu Bibiane. Sie war blass, unbekleidet war sie noch dürrer als sonst. Meine Jacke war ihr viel zu groß. Sie sah so kaputt aus. Ich wollte sie einfach nur aus ihrem Leid befreien. Dann sah ich zu ihrem Bruder. "Fahr zum St. Patrick Kindergarten. Hol Safaa ab."
Ich nahm einen Zettel und schrieb schnell die Adresse meiner Tante auf.
"Sag ihr ich werde sie bald holen. Und sie soll ihrer Tante sagen was ihr Vater tat."
Dann hob ich Bibiane einfach hoch. Vollkommen verzweifelt. Ich wusste nicht mal wohin ich gehen sollte. Ich rannte einfach mit ihr raus.
Mit ihr an Leuten vorbei. Sie sahen uns nach, aber irgendwie interessierte es mich nicht. Ich musste Louis finden.. Er würde wissen was ich jetzt tun soll. Wo ich jetzt hin soll. Er würde mitkommen. Er würde mir helfen. Er würde mir sagen was ich mit ihr tun sollte. Inzwischen hörte sie auf zu weinen.
Sie hielt sich etwas an mir fest.
"Ich werde dir nie wieder etwas tun", murmelte ich nach einer Weile. In diesem Moment wusste ich einfach, dass ich diesem Mädchen nie wieder etwas tun würde. Nie wieder in meinem ganzen Leben.
Und sie bleib eine ganze Weile danach noch still.
Und dann sah sie mich an.
"Danke, Zayn.", sagte sie in einer leiden Stimme. Dann schloss sie ihre Augen und ich suchte weiter nach Louis. Zehn mal hatte ich inzwischen versucht ihn zu erreichen.
Louis? Wo zur verdammten Hölle bist du jetzt, wo ich ich ein mal im Leben wirklich verdammt dringend brauche?
Ich wurde nervöser und nervöser. Meine Hände waren immer noch blutig.
Sie öffnete wieder ihre Augen, sah zu meinen Händen und legte die Jacke über meine Hände, damit man nicht mehr sah, dass das Blut daran klebte. Ich hatte jemanden umgebracht. Ich hatte einen schrecklichen Menschen das Leben genommen. Ich habe jemand vollkommen fremden meine kleine Schwester überlassen. Ich habe ein Leben genommen.
Aber es war ein schlechter Mensch. Ich redete mir das immer wieder ein. Das milderte mein schlechtes Gewissen. Aber mein Gewissen wurde nun davon geplagt was ich dem Mädchen, das ich gerade trug die letzten Jahre über täglich angetan hatte.
Das hätte ich niemals im Leben tun dürfen.

Suicide Room.Where stories live. Discover now