Kapitel 3

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Ich wache mit Kopfschmerzen und einem trockenen Hals auf. Schnell greife ich nach dem Glas Orangensaft, das auf dem Nachtisch steht. Ann-Kathrin muss es dort hin gestellt haben, bevor sie gegangen ist, denn im Zimmer ist sie nicht mehr. Neben dem Glas liegt auch das Bild von Marco und mir. Sofort übermannt mich der Schmerz wieder. Wie soll ich nur ohne ihn weiter machen? Wie soll ich ihn vergessen? Wie soll ich jemals nochmal Fußball spielen? Er hat mir zu meiner Form geholfen. Gegen seine Mannschaft muss ich spielen. Im DFB Team muss ich ihm begegnen. Das Leben muss mich wirklich hassen, dass es mir das antut.
Ich nehme das Bild und drücke es an mein Herz. Es ist albern, aber ich fühle mich Marco so viel näher. Es ist fast, als könnte ich unser gemeinsames Lachen hören. Ich kann eintauchen in meine heile Welt, meine Erinnerungen und meine Träume. Für einen Moment all meinen Schmerz und all meine Sorgen vergessen, die viel zu schnell und zu stark wieder über mich ein prasseln. Wimmernd ziehe ich die Knie wieder an die Brust. Kein körperlicher Schmerz könnte so groß sein, wie der Schmerz meines Herzens. Gerade als ich wieder drohe ganz in den Kummer und die Schwärze zu fallen, klopft es laut an der Tür. Warum kann wer auch immer mich nicht in Ruhe lassen? Ist es so schwer einfach mal ein paar Minuten seine Ruhe haben? In Ruhe meinem Schmerz nachgeben? Scheinbar ja, denn die Person klopft einfach weiter. Lauter dieses Mal.

Einfach weiter ignorieren. Es wird schon irgendwann aufhören. Aber da irrte ich mich leider, denn das Klopfen will einfach nicht verstummen. Als es dann doch aufhört will ich erleichtert wieder die Augen schließen, als von draußen gebrüllt wird: "Verdammte Scheiße, Mario mach sofort diese Tür auf!Wir müssen zum Treffen mit den Anderen! Jogi tötet uns, wenn wir zu spät kommen! Also beweg jetzt deinen Arsch zu dieser Tür uns mach sie auf!" Es ist Mats, der mich so anbrüllt. Einen kurzen Moment überlege ich ihn weiter zu ignorieren. Immerhin müsste ich Marco und den Anderen gegenüber treten, wenn ich mit Mats gehen. Und dafür bin ich eindeutig noch nicht bereit. Vermutlich wird Marco schon allen erzählt haben, dass ich schwul bin und auf ihn stehe. Und die Anderen werden mich genauso verachten, wie er. Bei dem Gedanken strömen mir bereits wieder die Tränen über die Wange. Nein, das schaffe ich nicht auch noch.

"Verschwinde Mats. Ich will nicht mitkommen. Spielt ohne mich. Dann seit ihr besser dran." Während ich rufe werde ich immer wieder von meinen Schluchzern unterbrochen. Hoffentlich versteht er es. Hoffentlich verschwindet er jetzt. Ich lausche angestrengt und als sich tatsächlich Schritte entfernen, atme ich erleichter auf. Ich schäme mich über mich selber. Früher konnte mich nichts am Spielen hindern und jetzt, jetzt habe ich Angst vor meinen eigenen Kameraden. Da kommt mir ein schrecklicher Gedanke. Was ist, wenn Marco sich an die Presse gewandt hat? Ich fange an zu zittern. Das wäre mein Todesstoß. Ich könnte doch nie wieder irgendwo in der Öffentlichkeit auftauchen. Die Menschen werden nicht gerade positiv auf einen schwulen Fußballer reagieren. Kein Verein wird mich jemals mehr nehmen. Da könnte ich mir auch gleich die Kugel geben. Vielleicht wäre es eh besser, wenn ich nicht mehr da bin. Ich müsste diese Schmerzen nicht ertragen und alle anderen brauchen nicht mit jemanden umgehen, der sie anwiedert. Denn genau das würde passieren. Ich würde alle anwiedern. Der Tod klingt auf einmal mehr als nur verlockend. Für alle der bessere Weg. Aber noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, wird die Tür aufgerissen und ein wütender Mats baut sich vor meinem Bett auf.

Wie konnte es so weit kommen?Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon