Kapitel 09

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  Song für das Kapitel: "Birdy -- Lifted" & "Let it All Go -- Birdy, Rhodes" (Link zur Playlist findet ihr im Externen Link)

  Die funkelnden Sterne spiegeln sich in der Fensterfront von Hamilton & Sons Inc. Ich lehne mich zurück, beiße auf die Innenseiten meiner Wangen und fange an, jeden einzelnen zu zählen. Ich muss meine Gedanken davon abbringen, nach zwei Tagen schon wieder zu Damien zurückzukehren. Er darf auf keinen Fall denken, dass er mich mit einem einzigen Fingerschnipsen zurückgewinnen kann. Mein Herz hat sich bereit entschieden, aber mein Kopf beschäftigt sich noch mit dem Gedanken, ob es wirklich das Beste wäre, dem Mann, der mich so verletzen konnte, eine zweite Chance zu geben. 

  Ich stelle mir vor, wie seine schwarze Karre mit den verdunkelten Scheiben bei Hamilton & Sons Inc. vorfährt und ein großer, gut gebauter Geschäftsmann mit seinem Smartphone am Ohr aus dem Wagen steigt. Damien Hamilton. Damals, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hätte ich es mir niemals erdenken können, dass es einmal so weit kommen würde, dass er meine Gefühle verletzt, um mir Wochen später zu sagen, dass es der größte Fehler seines Lebens war.

  Während die warme Brise der Sommernacht über mein Gesicht fegt und die kleinen Härchen meine Stirn kitzeln, stelle ich mir eine entscheidende Frage:Wenn ich Damien eine zweite Chance geben kann, warum dann nicht auch mir selbst? Seit ich denken kann, lebe ich auf der Straße. Meine Mutter hat mich und meinen Bruder zwischen alten Tankstellen und Einkaufswagen großgezogen. Wenn ich Damien eine zweite Chance gebe, dann gebe ich auch meinem Leben eine zweite Chance. Ich weiß, dass meine Mutter nur das Beste für mich gewollt hätte. Ich habe lange nicht mehr an sie gedacht und es tut mir in der Seele weh, dass ich sie so aus meinem Gedächtnis verdrängt habe. Ich senke meinen Kopf. Damien wäre in ihren Augen der typische Geschäftsmann gewesen, den sie bis aufs Blut verachtet hätte. Aber auf der anderen Seite hätte er sie mit seinen starken Gefühlen für seine kleine Schwester und der Ehrlichkeit mir gegenüber überrascht. Die leichte Brise wird zum kühlen Sommerwind. Die Temperaturen sinken. Ich würde mir wirklich nichts anderes mehr wünschen, als dass sie Damien hätte kennen lernen können. Im ersten Moment hätte sie sich mit Sicherheit geweigert, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln -- so wie ich --, aber mit der Zeit hätte auch sie eingesehen, dass es ein Fehler war, die gesamte Geschäftswelt zu verurteilen. Verdammt, ich wünschte mir wirklich nichts mehr, als ihre Einverständnis. Ich möchte mir nicht denken, dass es okay für die wäre. Ich möchte es wissen.

  Das Schlürfen eines Schuhs auf dem Asphalt lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken und ich zucke zusammen, als sich jemand neben mich auf den Boden setzt. Unsere Schultern streifen sich, während die Person ihre langen Beine übereinander legt. Vorsichtig hebe ich meinen Blick wieder und das Eisblau trifft mich unerwartet. Das würzige Aftershave steigt mir in die Nase, als er das graue Jackett auszieht und mir über die Schultern legt. Mein Körper kann nicht reagieren, ich bin wie erstarrt. Gefangen im Moment. Damien schaut auf mich herab, obwohl wir dicht nebeneinander sitzen. Er wird immer größer und erfolgreicher sein als ich. Aber wenn ich ehrlich bin, dann ist das auch okay, solange er nicht damit aufhört, mich anzusehen. "Ich bin nicht hier, um dich nach deiner Entscheidung zu fragen.", haucht er, derweil krempelt er die Ärmel des schwarzen Hemdes bis zu seinen Ellenbogen. Ich habe ihn noch nie in einem schwarzen Hemd gesehen. Zumindest kann ich mich nicht an eines erinnern. "Ich wollte dich bloß sehen. Sonst nichts. Na ja, und sicher gehen, dass es dir gut geht." Irgendwie bekomme ich meine Finger dazu, sich zu bewegen, bis meine Hand seine findet. Ich spüre das Pochen in meiner Brust und die Gänsehaut, die sich auf meinem ganzen Körper ausbreitet. "Ich würde dir wirklich immer und immer wieder sagen, dass ich damals einen großen Fehler begangen habe, aber ich glaube, dass ich dich irgendwann nur noch damit nerven würde.", gibt er zu und ich muss schmunzeln. 

  "Um ehrlich zu sein, finde ich das gar nicht mal so schlimm.", antworte ich grinsend und bringe ihn zum Lachen, aber ich merke sofort, dass ihn etwas bedrückt, und ich weiß auch was. Er wartet auf meine Entscheidung. Keine Frage. Und das kann ich verstehen. Ich selbst musste mich mit dem Zählen von Sternen ablenken, um nicht zum Apartment zu laufen und ihn direkt in die Arme zu fallen, was wahrscheinlich sogar eine Untertreibung ist. Mein Körper hätte mir tausend Streiche gespielt. Ich hätte mich als Vollidiot und verzweifelt dargestellt. Aber er ist zu mir gekommen. Er ist ein Vollidiot, ein gut aussehender Vollidiot, und verzweifelt. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung und ich hoffe, dass er ahnen kann, wie viel mir das bedeutet, denn ich würde mich nicht dazu überwinden können, das jetzt laut auszusprechen. Stattdessen lehne ich meinen Kopf gegen seinen Oberarm und lasse seinen Daumen über meinen Handrücken streichen. Immer und immer wieder. 

  "Ich glaube an eine zweite Chance.", wispere ich mit geschlossenen Augen. Die Dunkelheit gibt mir ein Gefühl der Unantastbarkeit, obwohl ich seine Berührungen nach wie vor spüren kann.

  Ich höre, wie sich sein Mund öffnet und spähe augenblicklich zu ihm auf. "Du gibst mir eine zweite Chance?" Sein hoffnungsvoller Blick geht mir unter die Haut. 

  "Ich meine, wenn du schon deine feine Anzughose für mich ruinierst.", scherze ich. Es ist ein hoffnungsloser Versuch, die Nervosität zu überspielen, die nun jeden Zentimeter meines Körpers erreicht hat. Damien grinst mich verschmitzt an, lehnt sich zu mir vor und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann fühle ich, wie seine Hand meine leicht drückt und er erleichtert aufatmet.

  "Ich kann mir ja eine Neue kaufen.", antwortet er, als wäre es nichts Dramatisches und sofort bereue ich meine Entscheidung. Er ist so arrogant. Aber was habe ich auch von ihm erwartet? "Ich meine, für mein Meeting morgen, werde ich mir wohl eine Neue kaufen müssen, das ist nämlich mein bestes Stück, hat mir immer Glück gebracht. Ich denke, spätestens jetzt wird es Zeit für einen Ersatz.", korrigiert er sich. "Und ich bin mir sicher, dass kein Meeting der Welt mich je so nervös machen könnte, wie das hier. Es war eine gute Entscheidung, das beste Stück für heute aufzubewahren. Ich hoffe, dass es das letzte Mal ist, dass ich sie gebrauchen werde." Er klopft sich mit der flachen Hand auf den linken Oberschenkel. Ich betrachte den Stoff der Hose, auf der bereits Spuren des Asphalts sich verewigt haben. Ich kann ihm einfach nicht böse sein.


Frage des Kapitels: Welches Lied ist euer Lieblingslied aus der "The Rain Upon Us-Spotify-Playlist"? Falls ihr noch nicht reingehört habt, könnt ihr das natürlich hier (https://open.spotify.com/user/11179958533/playlist/62meueluymt55BjUw8kmYr) machen oder der Externen Link klicken.

 Mich inspirieren natürlich alle Lieder, aber meine Top 5 sind: Lifted - Birdy, Please Don't Stop The Rain - James Morrison, Sedated - Hozier, Sleep Beneath Your Beautiful - Labrinth/Emeli Sande und Ruin -Shawn Mendes.

The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Where stories live. Discover now