Kapitel 11

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  Draußen tobt ein Wirbelsturm. Ich schrecke aus meinem Halbschlaf auf und bemerke, dass die weiche Decke, die mir Damien gegeben hatte, auf dem Marmorboden liegt. Natürlich ist es kein Wirbelsturm, aber es hört sich wie einer an. Das Zischen des Windes zieht an der hohen Fensterfront des Apartments vorbei und der Regen hämmert gegen die Scheiben. Ich bin fasziniert von der Gewalt der Natur und starre in den dunklen Himmel, bevor dieser plötzlich für einen  kurzen Moment von einem Blitz erhellt wird. Meine Augen weiten sich, aber ich fühle mich magisch vom Sturm angezogen. Vorsichtig stehe ich auf. Meine Füße berühren die Fliesen und Schritt für Schritt nähere ich mich dem Unwetter. Ich sollte mich zurück auf die Couch legen und versuchen zu schlafen. Aber ich weiß ganz genau, dass ich das nicht könnte. Nicht bei diesem Krach. 

  Ich sehe mich in der Fensterscheibe. Meine geweiteten Augen mustern mich. Meine Haare sind zerzaust. Dann blitzt es erneut, gefolgt von einem lauten Donnern, als würde jemand mit einem Stock auf ein Blech schlagen. Ich schrecke zusammen, sehe in die Ferne. Nur die Glasscheibe trennt mich von diesem Chaos dort draußen. Es fasziniert mich, wie eine dünne Scheibe mir einen derartigen Schutz bieten kann. Ich verfolge die Regentropfen, die sich vor meinen Augen ihren Weg nach unten bahnen. Irgendwann sind es zu viele, sodass ich den Überblick verliere. 

  Eigentlich bin ich richtig müde und sollte besser die Nacht zum Schlafen nutzen, aber ich bekomme mich einfach nicht dazu, mich zurück auf die Couch zu legen. Doch als sich auf einmal das Licht im Flur in der Scheibe spiegelt, drehe ich mich neugierig um. Hinter einer der Säulen tritt Damien mit einem grauen T-Shirt mit dem Schriftzug "CK" und einer engen Boxershort hervor. Seine Haare sind mindestens genauso zerzaust, wie meine, wenn nicht sogar noch einen Ticken schlimmer. Ich schenke ihm ein unsicheres Lächeln, als er mich fragt, ob ich auch nicht schlafen konnte. Dann drehe ich mich wieder um und verschränke meine Arme vor der Brust. Meine Finger sind ganz kalt und ich erschaudere. Damien geht in die Küche und holt sich ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank. Das weiß ich, weil ich ihn in der Scheibe beobachte. Seinen kurzen, raschen Bewegungen kann man kaum folgen. Er dreht sich um und ich blicke wieder in den stürmischen Nachthimmel. Ein weiterer Blitz durchleuchtet für einen Moment den Wohnbereich. Damien setzt sich auf die Couch. Ich bleibe an der Fensterfront stehen. 

  "Also ich finde Gewitter ja eigentlich ziemlich faszinierend.", höre ich ihn murmeln und es hätte auch aus meinem Mund kommen können. Ich sage nichts, erspähe zwei Regentropfen, die sich auf halben Wege kreuzen und zu einem größeren Tropfen werden. Aus irgendeinem Grund muss ich deswegen grinsen. "Es erstaunt mich jedes Mal, wie schnell und einfach sich die Natur ihre Erde zurück erzwingen kann." Damien nimmt einen Schluck von seinem Wasser und ich nicke, bevor ich mich ihm wieder zuwende und ebenfalls auf der Couch niederlasse. Als ich sehe, dass er mir ebenfalls ein Glas Wasser hingestellt hat, muss ich verlegen lächeln. 

  "Danke.", sage ich und nehme einen Schluck. Ein Blitz blendet uns und ich kneife meine Augen zusammen und wette, dass Damien dasselbe tut. "Wenn ich durstig war und gerade kein Wasser mehr übrig hatte oder zu wenig Geld, um in der Nacht bei einer teuren Tankstelle einzukaufen, dann habe ich immer meinen Pappbecher von Bolder's Gasstation raus in den Regen gestellt und gehofft, er würde sich zumindest bis zum nächsten Morgen füllen.", erzähle ich Damien, der mich von der Seite ansieht. Sein Blick haftet an mir und ich greife nach der Decke, um sie vom Boden aufzuheben. Dann gähne ich und halte mir meine Hand vor den Mund. 

  "Warum bist du nicht einfach in irgendeine öffentliche Toilette gegangen?" Ich sehe verwirrt zu ihm rüber. 

 "Weil keine Toillette in der Oxford Street um dieser Uhrzeit geöffnet hatte." Damien formt ein O mit seinen Lippen, als er begreift, dass ich keine andere Möglichkeit hatte, als mit dem, was ich hatte, meine Probleme zu lösen. 

  "Du musst schon viel durchgemacht haben, habe ich Recht?" Seine Stimme ist tief, aber weich wie Butter. Ich zucke mit den Schultern. "Wenn du nicht darüber reden möchtest, dann kann ich das verstehen. Erzähle mir das, was du erzählen willst, wenn du bereit dazu bist." Daraufhin schenke ich ihm nur ein halbherziges Lächeln. Er weiß, dass ich meinen Bruder und meine Familie auf der Straße verloren habe. Er weiß noch nicht viel von meinem Leben, bevor sich der Tod in meinen Alltag geschlichen hatte, aber ich weiß nicht, ob ich dafür schon bereit bin, ohne ein Chaos innerlich und äußerlich, wie das des Gewitters hinter der Glasscheibe, auszulösen. Damien legt seinen Arm auf die Kopflehne hinter mir und ich lehne mich zurück, sodass seine heiße Haut die meines Nackens berührt. Die Hitze schießt durch meinen ganzen Körper und meine Wangen glühen. 

  "I-Ich finde es auch immer faszinierend, wie viel die Natur anrichten kann und wie sehr wir sie bereits zerstört haben.", gebe ich zu und blicke zu ihm auf. Zwischen uns ist ein Spalt, der gerade mal groß genug ist, sodass sich unsere Oberschenkel nicht berühren. Damien wirkt unsicher und unentschlossen zugleich. Er kaut ungeduldig auf seiner Unterlippe.

  "Darf ich dich etwas fragen?" Das Adrenalin breitet sich in meinen Adern aus und plötzlich bekomme ich ein klein wenig Angst, vor dem, was er mich fragen möchte. Dennoch nicke ich zustimmend. "Darf ich dich in den Arm nehmen?" Damit hätte ich nicht gerechnet. Obwohl er mir gerade erst gesagt hatte, dass ich entscheide, was ich ihm wann erzähle, hätte ich trotzdem erwartet, dass er mich etwas über meine Vergangenheit fragt. Viel zu schnell nicke ich erneut, wahrscheinlich nur, weil ich froh bin, ihm nichts beantworten zu können und ein bisschen, weil ich gerne in seinen Armen sein würde. Ein erleichtertes Grinsen breitet sich auf seinen unsicheren Gesichtszügen aus und der Arm hinter mir schlängelt sich um meine Schultern, um mich an sich zu ziehen. Ich lege meinen Kopf auf seine Brust und lausche dem ruhigen Herzschlag, der mit den prasselnden Regentropfen an der Scheibe eine Mischung erzeugt, die mich auf eine gewisse Art beruhigen kann. Ich gähne erneut und halte mir wieder die Hand vor den Mund. Doch als ich sie wegnehme, greift seine nach meiner und unsere Finger umschließen sich. Ich schließe meine Augen. "Ich glaube, jetzt kann ich endlich beruhigt einschlafen.", höre ich ihn murmeln, aber ich bin zu erschöpft, um ihm zu antworten, zu müde um zu verstehen, was er mir gerade damit sagen möchte und ich falle in einen tiefen Schlaf, umgeben von vielen kleinen Regentropfen und Damiens Herzschlag.

The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Where stories live. Discover now