Kapitel 1

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Ich:

 

Ding! Ding! Ding! 

Mit genervtem Gesichtsausdruck fingerte ich mit einer Hand in meiner Handtasche herum, auf der Suche nach meinem klingelnden Handy. Diese blöden Dinger waren nie zu finden, wenn man sie brauchte! Bis ich es endlich gefunden und aus der Tasche gezogen hatte, war es natürlich schon wieder verstummt. Meine ohnehin schon miserable Laune verschlechterte sich noch weiter, als ich sah, dass es ein Anruf meiner Mutter gewesen war. Sie hasste es, wenn ich nicht an mein Handy ging und ich hasste es, wenn sie sich deswegen aufregte. Um uns beiden unnötigen Stress und Kopfschmerzen zu ersparen, schickte ich ihr schnell eine SMS, dass ich schon auf dem Weg nach Hause sei und in ein paar Minuten da wäre.

Damit beschäftigt auf mein Handy zugucken, achtete ich nicht darauf, wo ich hinlief und stieß auch prompt mit einer mir entgegenkommenden Person zusammen. 

"Sorry", murmelte ich ohne aufzuschauen und wäre ohne ein weiteres Wort weiter gegangen, wenn ich nicht aus dem Augenwinkel bemerkt hätte, dass die andere Person stehengeblieben war und auf irgendwas zu warten schien. Anscheinend war ihr meine Entschuldigung nicht gut genug gewesen. "Tut mir leid. Ich habe nicht darauf geachtet wo ich hinlaufe", versuchte ich es nochmal und schaute endlich auf. 

Vor mir stand ein Junge um die 19 Jahre, mit auffälligen brauen Locken. Er trug schlichte aber eindeutig teure Kleidung und seine Augen wurden von einer dunkel getönten Sonnenbrille verborgen.

"Schon gut", erwiderte er mit einem kleinen Lächeln und zog zu meiner Verwunderung einen Stift aus der Tasche. "Also wo willst du es hinhaben?"

Wie bitte? Ich hatte keine Ahnung wovon der Junge sprach.

"Das Autogramm. Wo soll ich es hinschreiben?", ergänzte er, als er meine Verwirrung bemerkte. Ich hörte den Anflug eines ungeduldigen Untertons in seiner Stimme und war sicher, dass er genervt die Augen verdrehte, auch wenn ich sie hinter der Brille nicht sehen konnte.

Ich hatte immer noch keine Ahnung, wovon der Junge eigentlich sprach und schaute ihn deswegen weiterhin nur stumm an.

"Hör zu", sagte er schließlich, inzwischen eindeutig genervt, „ich habe echt nicht viel Zeit. Also entweder sagst du mir jetzt, wo ich unterschreiben soll, oder ich gehe weiter. Ich hatte heute einen echt anstrengenden Tag." Während er sprach, nahm er seine Sonnenbrille ab und rieb sich müde über die Augen. Für einen kurzen Moment überkam mich das seltsame Gefühl, dass ich ihn schon mal irgendwo gesehen hatte. Aber der Eindruck verschwand so schnell wieder, dass ich ihm keine weitere Beachtung schenkte. Dafür wurde das Gefühl, verarscht zu werden, immer stärker, sodass ich beschloss einfach mitzuspielen, um dem endlich ein Ende zu setzten.

"Ach so, ja klar ein Autogramm", sagte ich, als wäre es total selbstverständlich, dass Fremde auf offener Straße einfach so Autogramme verteilen. Da ich nicht die Art von Mensch war, die immer einen Notizblock mit sich herum trug, hatte ich allerdings kein vernünftiges Papier zu Hand und zog deswegen schließlich als Notlösung einen alten Kassenbon aus der Hosentasche. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken reichte ich ihm den Bon. Der Junge zog kurz eine Augenbraue hoch, bewahrte aber ansonsten ein perfektes Pokerface. Schien so, als hätte er Übung darin, nicht zu zeigen, was er dachte. Mit einer fließenden Handbewegung unterschrieb er auf der Rückseite des Bons und gab ihn mir dann zurück. "Hier. Bitteschön."

Ich nahm mein Autogramm entgegen und musste mich inzwischen anstrengen, ein Lachen zu unterdrücken. Die Situation kam mir immer absurder vor, vor allem da der Junge das alles todernst zu meinen schien. "Danke Harn.. Horr... Harrl.." Verzweifelt versuchte ich seinen Namen auf dem Papier zu entziffern. Dieses Gekritzel war echt unzumutbar.

"Harry." Irgendwas schien sich in seinem Blick zu verändern.

"Okay danke, Harry", beendete ich endlich den Satz und wandte mich um zum Gehen.

"Du weißt nicht, wer ich bin", stellte Harry fest, nachdem ich schon ein paar Schritte gegangen war. In seiner Stimme schwang Verwunderung, Neugier und seltsamer Weise ein Anflug von Faszination mit.

"Nein, tut mir leid", stimmte ich ihm zu, ohne mich noch einmal umzudrehen. Dieser Junge war eindeutig verrückt. Ich war froh, als ich endlich um die nächste Straßenecke bog und nicht mehr Harrys durchdringenden Blick im Rücken spürte. Ich atmete einmal tief durch und machte mich dann endlich auf den Weg nach Hause. 


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