Kapitel 17

24.2K 1.2K 28
                                    

Harry:

Der traurige Ausdruck in ihren Augen war so unerträglich, dass ich den Kopf abwenden musste. Es war meine Schuld. Diese ganze Situation war meine verdammte Schuld. Ich hätte es niemals soweit kommen lassen dürfen.
„Tut mir leid. Ich kann das nicht." Mir viel selbst auf wie lahm das klang. Ich wollte so viel mehr sagen. Erklären, warum ich sie so kalt zurück gewiesen hatte und ihr sagen, wie gerne ich sie ebenfalls küssen wollte. Doch stattdessen wich ich ihrem Blick aus und starrte auf meine Hände.

„Kein Problem. Ich versteh schon." Ihre Stimme klang gleichgültig und beherrscht, doch ihr Gesicht zeigte wie verletzt sie wirklich war. Sofort stieg der vertraute Selbsthass wieder in mir auf gemischt mit unbändiger Wut auf mich selbst.
„Nein du verstehst es nicht! Du hast verdammt noch mal keine Ahnung!" Mit aller Kraft schlug ich gegen die Betonwand des Beckenrandes. Am liebsten hätte ich meinen Kopf ebenfalls dagegen gehauen. „Louis hatte Recht. Es war von Anfang an eine scheiß Idee gewesen! Ich bin so ein verdammter Idiot!" Irgendwo hinter all der Wut war mir bewusst, dass ich gerade mehr preisgab als ich sollte, aber das war mich im Moment egal. Ich hatte genug von all den Lügen!
Anna zuckte erschrocken bei meinem Wutausbruch zusammen, hatte sich jedoch schnell wieder gefasst. Statt wie erwartet vor mir zurück zu weichen, lehnte sich zögerlich in meine Richtung und schaute mich mit einem seltsamen Blick an. Es dauerte einen Moment bis ich kapierte, was dieser zu bedeuten hatte. Verdammt, hatte Anna etwa Mitleid mit mir?! Die Ironie der Situation kam mir wie ein schlechter Witz vor. Wenn Anna wüsste was wirklich los war, würde ihr klar sein, dass ich ihr Mitleid kein bisschen verdient hatte. Ich hatte mich selber in diese Situation gebracht und deswegen musste ich mich auch selber wieder daraus befreien. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste ihr die Wahrheit sagen. Jeden Tag, den ich es mehr heraus zögerte, machte es im Endeffekt nur noch schlimmer.
„Anna, ich muss dir etwas erzählen" Ich sprach langsam und mit Bedacht. Jedes einzelne Wort könnte möglicherweise darüber entscheiden, ob Anna mir verzeihen würde oder nicht. Ich dufte jetzt bloß keinen Fehler machen, bloß nicht das Falsche sagen.

„Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich bin..."

In diesem Moment ging das gesamte Licht im Schwimmbad an und auf dem Gang waren laute Schritte und Stimmen zu hören. Annas Augen weiteten sich vor Schreck und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Harry...", setzte sie an, doch ich legte ihr schnell einen Finger auf die Lippen.
„Shh. Beruhig dich. Alles wird gut", flüsterte ich leise und so überzeugend wie ich konnte.  Ich sah den Zweifel in ihren Augen aufblitzten, doch beschloss es zu ignorieren. Ich würde uns beide hier raus bringen. Ich konnte es nicht zulassen, dass Anna meinetwegen in Schwierigkeiten kam.
Schnell, aber so leise wie möglich, kletterte ich aus dem Schwimmbecken und zog Anna mit mir. Die Schritte auf dem Gang kamen immer näher und es war nur noch eine Frage von Sekunden bis sie die Schwimmhalle betreten würde. Nun konnte man auch die Stimmen deutlicher verstehen und es war klar, dass es sich entweder um die Betreiber des Schwimmbades oder um Polizisten handelte. Beides nicht gerade Personen die man treffen wollte, wenn man nachts in ein Schwimmbad einbrach. Leise vor mich hin fluchend schaute ich mich in der Halle um. Irgendwo musste es doch noch einen anderen Ausgang geben. Anna neben mir fing an zu zittern. Ich war nicht ganz sicher ob es an der Angst entdeckt zu werden lag oder daran, dass ihr in ihren nassen Anziehsachen kalt war. Ohne lange nachzudenken, griff ich nach meinem T-Shirt, das immer noch neben der Bank lag und warf es ihr zu. Sie fing es auf, machte allerdings keine Anstalten es sich über zuziehen. Stattdessen waren ihre Augen starr auf die große Eingangstür gerichtet, die im nächsten Moment kraftvoll aufgestoßen wurde. Ich wartete gar nicht erst ab um zu sehen wer die Halle betreten würde, sondern griff hastig nach Annas Hand und rannte mit ihr zusammen zum, mit „Exit" markierten, Notausgang, den ich gerade noch rechtzeitig aus dem Augenwinkel entdeckte.
„Stehen bleiben!", rief eine ärgerlich Männerstimme hinter uns, was mich allerdings nur dazu veranlasste noch schnell zu rennen.
Endlich erreichten wir den Notausgang und ohne Abzubremsen warf ich mich gegen die Tür um sie zu öffnen. Diese bewegte sich allerdings kein Stückchen, sodass ich hart dagegen prallte und zurück geschleudert wurde. Mein linkes Handgelenk gab beim Aufprall ein seltsames, knackendes Geräusch von sich und sofort schoss ein stechender Schmerz durch meinen ganzen Körper. Ich hoffte inständig dass es nicht gebrochen war. Stöhnend presste ich die Zähne auf einander und versuchte erneut die Tür zu öffnen. Vergeblich. Warum zur Hölle war der Notausgang abgeschlossen? Gab es nicht irgendwo ein verdammtes Gesetzt, dass sie immer offen sein müssen? Verzweifelt versuchte ich mir alles ins Gedächtnis zu rufen, was ich über Notausgänge wusste. Auf einmal zog Anna neben mir überrascht die Luft ein.
„Ich habe eine Idee", flüsterte sie, obwohl wir eindeutig nicht mehr leise zu sein brauchten. „Ich habe mal irgendwo gelesen, dass sich Notausgänge automatisch entriegeln, wenn der Feueralarm ausgelöst wird." Mit dem Kopf deutete sich auf einen Feuermelder Knopf, der nur ein paar Meter von uns entfernt an der Wand angebracht war.

SecretsWhere stories live. Discover now