Kapitel 22

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Ich:

„Also worüber wolltest du reden?“, fragte Harry und blieb in einigem Abstand mir gegenüber stehen. Die letzten Minuten hatten wir schweigend verbracht, jeder seinen Gedanken nachhängend. Harry war in meinem Zimmer auf und ab gelaufen, während ich auf dem Bauch liegend, ausgestreckt in meinem Bett, jede seiner Bewegungen verfolgte. Ich wusste nicht wieviel Louis und Liam ihm erzählt hatten und wieviel er sich inzwischen selbst zusammen gereimt hatte und das machte mich unglaublich nervös.
„Louis und Liam sind an dem Abend nach dem Schwimmbad vor meiner Tür aufgetaucht“, fing ich an, nur um sicher zu gehen, dass wir auf dem gleichen Stand der Dinge waren.
„Ich weiß“, erwiderte Harry und seine Miene verhärtete sich kaum merklich.

Die angespannte Stimmung im Raum nahm noch weiter zu, sodass ich mich aufrichtete und auf den Platz neben mich deutete.
„Kannst du dich bitte hinsetzten? Dein Rumgelaufen macht mich ein wenig nervös.“
Harry lächelte entschuldigend und ließ sich neben mir nieder.
„Louis war ganz fixiert darauf mir irgendetwas über dich zu erzählen. Ich weiß immer noch nicht genau worum es ging, aber es schien ihm echt wichtig zu sein.“
Harry sagte nichts, aber an seinem Blick konnte ich erkennen, dass auch das nichts Neues für ihn war.
Ich holte tief Luft und sprach dann weiter.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht wissen will. Es ist dein Geheimnis und daher solltest du derjenige sein, der es mir erzählt…“
Ich machte eine Pause und hoffte, dass Harry verstand worauf ich hinaus wollte.
Dieser fuhr sich mit der Hand durch die Haare und erwiderte meinen Blick mit unleserlichen Miene.
„Du willst, dass ich dir sagen, was es ist“, stellte er mit emotionsloser Stimme fest.
Angestrengt versuchte ich herauszufinden, was er dachte. Aber wie mir schon bei unserem ersten Treffen aufgefallen war, war er extrem gut darin nicht zu zeigen was in seinem Kopf vorging. 
Schließlich gab ich es auf und nickte. „Ja.“

Harry schloss für einen Moment die Augen, so als hätte er mit der Antwort gerecht, wollte sie aber nicht wahrhaben.

Als er sie wieder öffnete, lag so viel Zerrissenheit und Verletzlichkeit in seinem Blick, dass ich unwillkürlich den Kopf abwandte.
„Das kann ich nicht“, antwortete Harry kaum hörbar.
Bewegungslos starrte ich auf meine Hände, während ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es tat weh zu wissen, dass er mir immer noch die Wahrheit verweigerte, selbst wenn ich ihn von Angesicht zu Angesicht darauf ansprach.  Vertraute er mir echt so wenig?

„Wieso?“, fragte ich schließlich, den Blick immer noch auf meine Hände geheftet.
Harry atmete hörbar aus und ich zwang mich dazu ihn wieder anzuschauen.
„Wieso, Harry? Habe ich dir jemals einen Grund gegeben mir nicht zu vertrauen? Wenn das so ist dann sag mir wenigst…“
„Darum geht es nicht“, unterbrach Harry mich. Seine Stimme war immer noch leise und ruhig, aber ich bemerkte einen scharfen Unterton. „Bitte lass es einfach gut sein.“

Ich schüttelte stur den Kopf. „Wie kannst du von mir erwarten, dass ich alles was du sagst und tust einfach so hinnehme ohne auch mal Antworten zu verlangen? Ich habe es satt von dir angelogen zu werden! Du denkt ich merke es nicht, aber seit wir uns kennengelernt haben tust du nichts anderes als lügen.“
Harry öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
„Zum Beispiel deine „Wette“ mit Liam, durch die wir uns überhaupt erst kennengelernt haben. Als ich ihn darauf angesprochen habe, hatte er ganz offensichtlich nicht die geringste Ahnung wovon ich sprach. Und die Story über deine angebliche Ex-freundin, vor der ich dich retten musste, klingt auch immer ungläubiger so länger ich darüber nachdenke. Ich will gar nicht wissen was für andere Lüge du mir sonst noch aufgetischt hast…“
Wütend presste ich die Lippen aufeinander und wartete darauf, was Harry zu seiner Verteidigung zu sagen hatte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mich das alles belastet hatte, bis ich es endlich einmal ausgesprochen hatte.
Erst schien es so, als würde Harry gar nichts sagen, doch dann drehte er sich mit einem Ruck weiter zu mir herum, sodass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war.
„Hör mir zu, Anna“, sprach er mit eindringlicher Stimme und sein Blick nagelte mich regelrecht fest. „Ich weiß, das ist viel verlangt, aber du musst mir vertrauen. Ja, ich habe gelogen und werde es aller Wahrscheinlichkeit nach wieder tun, aber das tue ich alles nur, weil die Wahrheit dich noch viel mehr verletzen würde, als es die ganze Lügen tun. Bitte vertrau mir.“ Bei den letzten Worten nahm seine Stimme einen flehenden Klang an.
Ich blinzelte eine Träne weg, die sich aus meinem Augenwinkel stehlen wollte und schaffte es endlich wegzuschauen.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, flüsterte ich mit brüchiger Stimme.
Doch so schnell schien Harry nicht aufgeben zu wollen. Mit der rechten Hand fasste er mir unters Kinn und hob meinen Kopf so weit an, dass ich gezwungen war ihm in die Augen zu schauen.
„Okay, du musst mir nicht vertrauen. Es reicht, wenn du akzeptieren kannst, dass es da etwas gibt, dass ich dir nicht sagen kann. Glaub mir, ich halte es nur vor dir geheim, weil es das Beste für dich ist.“
In seiner Stimme lang ehrliche Verzweiflung, so dass ich schließlich langsam nickte
„Versprich mir, dass das der einzige Grund ist, wieso du es vor mir geheim hältst und dass es nichts an unsere Freundschaft ändern wird, wenn ich es doch herausfinde.“
Harry zögerte einen Moment. „Ich glaube nicht dass d…“
„Versprich es!“, wiederholte ich mit mehr Nachdruck. Mir war bewusst wie lächerlich es war auf so ein bedeutungsloses Versprechen zu beharren, aber es würde mich wenigstens ein wenig besser fühlen lassen.
„Okay“, sagte Harry langsam und ließ mein Kinn los. „Versprochen.“
Mir viel auf, dass er mich dabei nicht anschaute, aber ich beschloss es darauf beruhen zu lassen. Mir war klar, dass wir durch dieses Gespräch das Problem nur aufgeschoben aber nicht gelöst hatten. Früher oder später würden wir uns nochmal richtig mit der ganzen Sache auseinander setzten müssen. Aber für heute hatte ich genug davon mit Harrys zu diskutieren und wohlmöglich einen Streit zu provozieren. Also sagte ich nichts mehr und hoffte, dass sich Harrys Geheimnis einfach irgendwann von selbst in Luft auflösen würde.  
Eine Weile lang herrschte ein unangenehmes Schweigen zwischen uns, das mich unruhig auf dem Bett hin und her rutschen ließ.

„Da gibt es noch etwas anderes, worüber ich mit dir reden will“, brach ich schließlich die Stille  und fing an verlegen auf meiner Unterlippe herum zu kauen.
Harry blickte alarmiert auf. „Haben Liam und Louis noch etwas zu dir gesagt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es geht um etwas ganz anderes.“ Ich schluckte und spürte wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Ich wollte nur die Sache mit dem Kuss im Schwimmbad nochmal klar stellen. Ich habe keine Ahnung, wieso ich das getan habe. Meine Hormone haben an dem Tag irgendwie verrückt gespielt. Ich bin sicher, dass ich dich nur als einen Freund sehen.“
Harry lachte erleichtert auf. „Ach so, kein Problem. Ich war eh überrascht, dass du es geschafft hast meinem Charme so lange Zeit zu wiederstehen.“ Er zwinkerte mir verschmitzt zu.
Ebenfalls lachend boxte ich ihn gegen den Arm. „Bilde dir bloß nichts drauf ein. Wie gesagt, es war eher ein Unfall.“
Harry zog spielerisch eine Augenbraue hoch. „Unfall? Ich wurde ja schon als vieles bezeichnet, aber das ist neu.“
Ich streckte ihm als Antwort grinsend die Zunge heraus. Es fühlte sich gut an wieder ganz ungezwungen mit Harry herumzualbern. Auf einmal war ich mir beinahe sicher, dass ich über Harrys Verschlossenheit hinwegsehen und eine ganz normale Freundschaft mir ihm haben konnte.
Denn, sein wir mal ehrlich, wie schlimm konnte sein Geheimnis schon sein?
„Ich habe eine Idee“, meine Harry auf einmal und in seinen Augen blitzte das vertraute Funkeln auf. „Ich glaube wir sind uns einig, dass wir einen seltsamen Start hatten und alles andere danach auch nicht gerade normal verlaufen ist.“
ich nickte zustimmend.
Harrys Lächeln wurde noch ein wenig breiter.
„Was hältst du davon, wenn einfach vergessen was bisher alles passiert ist und nochmal ganz von vorne anfangen?“
Ich starrte ihn verwirrt an. Erst wollte ich seine Idee als verrückt abtun, aber je länger ich darüber nach dachte desto einladender kam sie mir vor.
Ein kompletter Neuanfang war genau das, was wir beide brauchten. Wir konnten einfach so tun, als wäre nicht bisher passiert. Kein peinlich Kuss, keine Freunde die mitten in der Nacht mit einem reden wollen, nichts von all den seltsamen Dingen, die bisher passiert waren.
Meine Lippen verzogen sich ebenfalls zu einem Lächeln und ich streckte Harry  meine Hand entgegen.
„Hi. Mein Name ist Anna Ryan. Freut mich dich kennen zu lernen.“
Harry lachte leise und schüttelte meine Hand. Seine Hände waren warm und trocken und seine Augen blickten mich warm unter seinen dunklen Locken hervor an. 
„Die Freude ist ganz meinerseits. Mein Name ist Harry. Harry Styles.“

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