11 | Kleine, blaue Kiste

2.7K 91 16
                                    

Today:
Gewidmet: sturm75

Ich saß in meinem absolut modischen Teddybär-Onepiece mit Kapuze und integrierten Ohren gemeinsam mit Dana in unserer Wohnküche, hielt eine dampfende Tasse Tee in der Hand und lugte möglichst unauffällig auf mein Smartphone. Natürlich hatte ich Dana sämtliche Details von meinem gemeinsamen Abendessen mit Max erzählen müssen, nachdem er verschwunden war.

„Das ist doch aber total toll! Ich freu mich ja so für dich.", platzte es aufgeregt aus meiner Mitbewohnerin heraus, die in den letzten Jahren auch meine beste Freundin geworden war. Ich schenkte ihr ein Lächeln. „Vielleicht kannst du ja jetzt endlich die kleine, blaue Kiste wegwerfen.", fuhr sie fort und nippte an ihrer blauen Teetasse.

Automatisch versteifte ich meine Muskulatur, als sie die blaue Kiste erwähnte. Ich hasste es, dass sie von dieser Kiste wusste. Doch irgendwie war es ihr in den letzten Jahren unserer engen Freundschaft gelungen, dass ich mich ihr anvertraut hatte. Diese Kiste war meine einzige, winzige Verbindung, die zu meiner Vergangenheit noch existierte. In diese Kiste hatte ich all jene Dinge verbannt, die mich auch nur ansatzweise an den bisher größten Schmerz meines Lebens erinnern konnten, von denen ich mich jedoch auch nach all diesen Jahren noch nicht trennen konnte. Das änderte jedoch nichts daran, dass ich sie nicht sehen und nicht an sie denken wollte, also verdrängte ich ihre Existenz die meiste Zeit.

Manchmal jedoch, wenn ich wieder einen meiner Tiefpunkte erreichte, konnte ich mich nicht mehr dagegen wehren und zog sie unter meinem Bett hervor. Dann öffnete ich sie, las die Briefe und schaute mir Bilder an, strich über diesen kleinen Fleck und tauchte für einen Moment in meine Welt vor acht Jahren ab. Anschließend verstaute ich die Kiste wieder unter meinem Bett und kehrte in die Gegenwart zurück.

„Schreib ihm.", riss die Stimme meiner Freundin mich aus meinen Gedanken. Sie schenkte mir ein ermutigendes Lächeln und schob das Smartphone zu mir herüber. Ich brauchte einen Moment zu verstehen, dass sie Max meinte. Bei dem Gedanken an ihn begannen meine Lippen sofort zu kribbeln. Noch immer spürte ich seinen Kuss, auch, wenn er bereits eine Stunde zurücklag.

„Was soll ich denn schreiben?" Sie lächelte. „Dass du ihn wiedersehen willst.", sagte sie selbstverständlich. Kurz überlegte ich ein wenig herum. Wann war es so schwer geworden, die passenden Worte zu finden? Mit seinem Kuss vielleicht? Ich wusste es nicht.

„Wann sehe ich Dich wieder?"

Ich schaute einen kurzen Moment gedankenverloren auf die fünf Worte. Dann schickte ich sie schließlich einfach ab, bevor ich mir zu viele Gedanken darüber machen konnte.

Als ich eine knappe Stunde später in meinem Bett lag und beinah eingeschlafen war, riss mich ein Klingeln aus dem Halbschlaf. Ich tastete müde nach meinem Smartphone. Das helle Display blendete mich kurz, doch als ich Max' Namen sah, musste ich trotzdem lächeln.

„Ja...", sagte ich leise. „Hey..." Max sprach sehr leise und ich fand das unheimlich angenehm. Ich drehte mich lächelnd auf den Rücken und starrte durch die Dunkelheit an die Zimmerdecke. „Wer ist da?", fragte ich und grinste frech. „Dein Date für morgen Abend.", erwiderte er selbstbewusst. Das gefiel mir.

Genau so selbstbewusst, wie er mich jetzt über meine Pläne für morgen Abend informierte, hatte er mich vorhin auch geküsst. Mit den Erinnerungen an seinen Kuss kehrte auch das angenehme Kribbeln zurück. „Elina?"

Max' Stimme holte mich jedoch augenblicklich ins hier und jetzt zurück. „Ja.", sagte ich. „Wann ist deine Schicht vorbei?" „Um drei.", antwortete ich. „Ich hole dich morgen so gegen sieben ab.", ließ er mich wissen. Er sagte es in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ich lächelte. „Okay.", sagte ich, „Was machen wir?"

„Lass dich überraschen.", erwiderte er. Ich hasste Überraschungen. „Kannst du mir einen Tipp geben? Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll.", versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. Max lachte. „Zieh dir was Warmes an. Wir gehen raus." Ich seufzte. „Okay.", sagte ich frustriert. Ich mochte wirklich keine Überraschungen, aber ich wollte jetzt auch nicht direkt beim zweiten Date die komplizierte Tussi sein. „Schlaf gut, Elina." „Du auch, Max.", sagte ich, dann legte er auf.

Pünktlich um sieben klingelte es am kommenden Abend an der Haustür. Ich schlüpfte in meinen roten Wintermantel und zog meine Bommelmütze auf. Dann flitzte ich in meinen dicken Winterboots die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Max stand lässig gegen die Hauswand gelehnt im Hauseingang. Er trug einen schwarzen Parka, eine dunkle Jeans und schwarze Timberlands. Als ich jetzt in die Kälte hinaustrat, lächelte er. Sofort begann es in mir zu kribbeln.

Ohne zu zögern, beugte sich Max zu mir herunter und drückte seine Lippen auf meine. Obwohl es nur ein kurzer Begrüßungskuss war, reichte er aus, um mich von innen zu wärmen. Ich schob meine Hände tief in die warmen Taschen meines Mantels. Als wir jetzt zusammen zu seinem Wagen liefen. „Hast du Bock auf Weihnachtsmarkt?", fragte er, als er mir die Beifahrertür aufhielt.

Ich ließ mich grinsend auf den Beifahrersitz fallen. „So richtig mit Crêpes und Glühwein?", hakte ich nach. „Wenn du brav bist, bekommst du sogar ein paar Kekse.", erwiderte Max gönnerhaft und grinste, warf dann die Beifahrertür zu und umrundete den Wagen.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde Fahrt stellte Max den Motor des Wagens ab. Dann öffnete er die Fahrertür und stieg aus. Ich tat es ihm gleich. Als wir uns schließlich auf der Höhe der Motorhaube trafen, legte er ganz selbstverständlich seinen Arm um mich und zog mich an sich heran. Passenderweise begann es gerade zu schneien, während wir durch einen schmalen, verschneiten Gang auf den Weihnachtsmarkt auf einem großen Kirchplatz zuliefen.

Ich schaute mich kurz um, als wir den Weihnachtsmarkt erreichten. Die verführerischen Düfte von Zimt, Koriander und Bratapfel lagen in der Luft. In einem großen Halbkreis waren um einen riesengroßen Weihnachtsbaum herum die unterschiedlichsten Stände auf dem Kirchplatz angerichtet und verliefen sich in die kleinen Seitengassen. Leise Weihnachtsmusik drang aus kleinen Boxen, überall hingen kleine Lichterketten in dem großen Weihnachtsbaum, in den Gassen und den kleinen Geschäften. Ich drehte mich lächelnd zu Max um, der mich aufmerksam beobachtete.

Dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und beugte sich zu mir herunter. Er legte seine Lippen auf meine, zog mich näher an sich heran und ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten. Augenblicklich waren sowohl das angenehme Brennen meiner Lippen als auch das Kribbeln in meiner Bauchgegend wieder da. Er wusste einfach, wie ein Mann eine Frau küssen musste, um sie schwach zu machen! Seine Zunge suchte die meine, spielte mit ihr, zog sich zurück, fand sie wieder, liebkoste mich zärtlich und fordernd zugleich. Max wusste ganz genau, was er wollte. Ich wehrte mich nicht, schlang stattdessen meine Arme um seinen Nacken und seufzte lautlos in unseren Kuss hinein. „Kontra!"

Max löste sich von mir, als eine mir seltsam bekannte, tiefe Stimme meine Aufmerksamkeit erregte. Er schaute sich kurz um, bevor sein Gesicht sich zu einem Lächeln verzog. Dann schaute er wieder in meine Augen. „Da sind ein paar meiner Jungs. Eigentlich hätte ich damit noch etwas gewartet, aber dann lernst du sie eben jetzt schon kennen. Komm mit.", sagte er und griff nach meiner Hand. Ich folgte ihm in Richtung der Stehtische an einem der vielen Crêpestände.

Als ich jetzt die vier jungen Männer sah, auf die er zusteuerte, wurde mir schlecht. Da stand er, zwischen Max' Freunden, im hellen, knielangen Wollmantel und einem modischen dunklen Schal, und beobachtete uns. Automatisch blieb ich stehen. Meine Beine schienen mich nicht weiter in seine Richtung tragen zu wollen. In meinem Kopf wurde mein Fluchtinstinkt wach, der bei meinem ersten Zusammentreffen mit Max ja nicht so hundertprozentig funktioniert hatte – er war also noch da!

Aber bevor ich mich überrascht abwenden und flüchten konnte, hatten seine braunen Augen mich bereits gesehen. Das war der Augenblick, in dem all diese do gut verschlossenen und verdrängten Gefühle über mir zusammenbrachen. Ich verkrampfte mich und drückte Max' Hand kräftig zusammen.

So. Langsam geht's dann auch los mit der Geschichte. Schluss mit lustig. Schluss mit rosarot und Romantik. Action ist angesagt. Mir soll ja niemand von euch einschlafen. Haha.
Danke an der Stelle für eure Votes für diese Geschichte :)

Secrets & Lies | Kontra KWhere stories live. Discover now