52 | Nicht beeindruckt

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52 Nicht beeindruckt

Für Anniiix00

Ich war mir sicher: Höflich war etwas Anderes. Aber ich fand es einfach ziemlich ätzend, wie Elinas Mutter vor den „Gästen" am Tisch auf ihr herumhackte. Wieso sollte ich also höflich und respektvoll bleiben, wenn sie es nicht tat und ihre Tochter versuchte, auf so eine Art vor mir bloßzustellen? Ich konnte nicht abstreiten, dass es mir sogar ein wenig Spaß bereitete, ihre Mutter auf diese Art zu quälen.

Ihre Gesichtszüge entgleisten nun endgültig, als sie mich mit Yasin in Verbindung brachte. Wahrscheinlich sah sie bereits, wie sich die Vergangenheit vor ihrem geistigen Auge wiederholte – nur das ich diesmal die Hauptrolle in ihrem Alptraum spielte. Doch Elinas Mutter fing sich schnell wieder und setzte ihr Vorzeigemutter-Gesicht auf.

„Ja, ich erinnere mich an Yasin.", sagte ihre Mutter gefasst, „Ein unheimlich verzogener junger Mann. Glücklicherweise haben beide eingesehen, dass diese Beziehung keine Chance hatte. Denn sonst würde sie ja nun nicht mit ihnen hier an diesem Tisch sitzen.", sagte sie übertrieben freundlich. Ich biss mir auf die Zunge. Wie konnte Elinas Mutter – nach allem, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht hatte – auch noch so kalt über Elinas damalige Trennung mit Yasin sprechen? Sie stellte es so dar, als hätte Elina sich aus freien Stücken dazu entschieden, Yasin nicht mehr zu sehen.

Ich warf Elina einen flüchtigen Blick zu und überlegte, ob ich mich auf ein Wortgefecht mit ihrer Mutter einlassen sollte. Ich wollte Elina sicherlich nicht unbedingt an dem Abend vor ihren Eltern blamieren, an dem sie mich ihnen vorstellte. Ihr Vater schien ein korrekter Typ zu sein; so ganz anders als ihre Mutter. Nur aus Respekt vor ihm hielt ich mich nun zurück und warf Elinas Mutter nicht das an den Kopf, was ich gerade dachte.

Elinas Räuspern riss mich aus meinen Gedanken. Sie stand auf. Ihre Mutter sah sie mit großen Augen erwartungsvoll an und ließ ihr Besteck auf den Tisch sinken.

„Elina?", fragte sie und legte den Kopf schief. „Ich komme gleich wieder.", sagte Elina höflich, doch ich konnte ihr ansehen, dass es ihr schwerfiel. Elinas Mutter nickte. „Aber beeil dich bitte, Elina. Es gibt gleich noch Dessert."

Elina nickte, dann verließ sie den Raum. Ich ließ meinen Blick zu Loan schweifen. Der senkte nur beschämt seinen Blick. Auch Lennja wusste offensichtlich nicht, wie sie sich verhalten sollte. „Sagen Sie, Max...", fragte Mariann, „Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?"

Ich warf einen Blick zur Tür, doch Elina kehrte nicht zurück. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich gerade brauchte. Außerdem konnte ich ihrer Mutter keine zufriedenstellende Antwort auf ihre Frage geben. Was hätte ich sagen sollen? Dass ich ihre Tochter beinah überfahren, sie mit zu mir nach Hause genommen und sie in mein Bett eingeladen hatte? Ihren überaus begeisterten Gesichtsausdruck konnte ich mir bereits vorstellen.

„Ganz traditionell, auf der Straße. Ich habe sie gesehen und wusste, ich will sie kennenlernen.", antwortete ich beiläufig, war mit meinen Gedanken jedoch bei Elina. „Ein Mann, der weiß, was er will. Das gefällt mir.", sagte Elinas Vater und warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu.

„Entschuldigen Sie mich bitte kurz...", sagte ich und stand einfach auf. Elinas Mutter sah mich mit großen Augen entsetzt an, setzte dann jedoch direkt wieder ihre Maske auf. Elinas Vater nickte mir aufmunternd zu. Ich verließ das Esszimmer und machte mich auf die Suche nach Elina.

Es war ein seltsames Gefühl, einfach so dieses große Haus nach Elina abzusuchen. Ich startete in dem mir bereits bekannten Wohnzimmer, dann schaute ich in die Küche. Doch ich fand sie nicht.

„Elina?", rief ich in die Stille hinein, doch sie antwortete mir nicht. Seufzend sah ich in einen Wandschrank und eine Gästetoilette, bis ich schließlich aus dem oberen Bereich Geräusche hörte.

„Ich bin hier oben.", hörte ich Elinas leise Stimme. Mein Blick schweifte die Treppe hinauf und blieb am Treppenabsatz haften. Elina stand am Treppenabsatz und ließ entmutigt die Schultern hängen. Ich ging ihr entgegen und breitete fragend die Arme aus.

„Was ist los?", fragte ich sie leise als ich den Treppenabsatz erreichte. Elina seufzte nur und griff dann nach meiner Hand. Kurz erfasste ich mit einem Blick den breiten Flur der ersten Etage. Elina zog mich hinter sich her in eines der Zimmer auf der rechten Seite. Als ich es betrat, wusste ich sofort, dass wir uns in Elinas altem Kinderzimmer befanden.

Es sah wahrscheinlich noch ganz genau so aus, wie sie es vor all den Jahren verlassen hatte. An der Wand stand ein Bett mit stilvoll geschwungenen, weißen Holzrahmen. Auf dem Bett lagen so viele kleine bunte Zierkissen, dass ich sie gar nicht alle zählen konnte. Gegenüber dem Bett befand sich ein riesengroßes Fenster. Vor dem Fenster stand ein weißer kleiner Schreibtisch, auf dem ordentlich ein paar Bücher gestapelt waren. An den anderen Wänden standen große Bücherregale und eine weiße Schrankwand. Elina schloss die Tür hinter mir und seufzte.

„Tut mir leid, dass ich dich einfach so mit dem Hausdrachen allein gelassen habe.", sagte sie reumütig und ließ sich auf ihr Bett sinken. Vorsichtig setzte ich mich neben sie und schüttelte den Kopf. „Schon Okay.", sagte ich.

„Ich konnte das einfach nicht mehr.", ließ sie mich wissen, „Ich meine, dieses schreckliche Gerede die ganze Zeit. Erst spricht sie mit Lennja, als wäre sie geistig zurückgeblieben und dann führt sie mich so blöd vor. Vor dir. Ich meine, was sollte das?" Elina sah mich mit großen Augen an. Pure Enttäuschung lag in ihnen. Ich strich über ihre Wange.

„Alles gut, Baby.", sagte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Doch Elina schüttelte energisch den Kopf. „Nein, gar nichts ist gut.", platzte es aus ihr heraus, „Ich meine, hast du gehört wie sie über Yasin spricht? Sie tut gerade so, als hätte ich alles freiwillig aufgegeben. Yasin. Das Baby. Dabei hat sie mich dazu gedrängt, gemeinsam mit Yasin. Die beiden haben gemeinsame Sache gemacht und mir das Herz gebrochen. Doch meine Mutter stellt es so dar, als hätte ich zu meinem eigenen Wohl zum Glück selbstständig die Erkenntnis gewonnen, dass Yasin und ich einfach nicht zusammenpassen, weil er aus einer anderen Welt kommt als ich."

Ich ließ Elina einfach reden. Natürlich gab es hin und wieder Momente, in denen mich ihr Geplapper ohne Punkt und Komma nervte – aber dieser Moment gehörte sicherlich nicht dazu. Sollte sie sich ruhig auskotzen. Ich konnte sie verstehen. Schweigend schob ich meinen Arm um ihre Schultern und versuchte ihr zu zeigen, dass ich sie unterstützte und für sie da war.

„Hast du gesehen wie entzückt sie war, als Papa ihr gesagt hat, dass du dich mit Architektur auskennst? Sie ist direkt davon ausgegangen, dass du Architektur studierst!", sagte sie traurig. Ich nickte. „Hast du aber auch gesehen wie entsetzt sie war, als sie herausgefunden hat, dass ich außerdem boxe, schreckliche Rapmusik mache und Yasin für mich ist wie ein Bruder?", erwiderte ich und brachte Elina kurz zum Lachen.

„Du solltest wissen, dass mir egal ist, was deine Mutter sagt.", vergewisserte ich ihr, „Sie trifft mich nicht mit ihrer affektierten Art und ihrem dummen Gelaber. Geht mir voll am Arsch vorbei, was sie über mich denkt oder sagt." Elina sah mich an. „Normalerweise sollte es dir ja schon wichtig sein, wie meine Mutter dich findet.", sagte sie. Ich seufzte. „Du weißt genau wie ich das meine. Klar wäre es mir auch lieber, sie würde mich – und vor allem ihre eigene Tochter – so akzeptieren wie wir sind. Klar wäre es mir lieber, sie würde mich offen in ihr Herz schließen. Aber wenn nicht, dann eben nicht. Mir egal. Nur du bist wichtig."

Elinas Gesicht hellte sich auf. „Und egal was deine Mutter sagt, du bist ein toller Mensch. Es ist scheißegal, ob du Krankenschwester, Ärztin oder Klofrau bist. Hörst du?", sprach ich weiter. „Du bist toll, Schatz.", sagte sie lächelnd und drückte mir einen Kuss auf. „Und jetzt gehen wir wieder runter und zeigen ihr, dass sie uns mit ihrem dummen Gerede keinen Meter beeindrucken kann.", sagte ich entschlossen und nahm Elinas Hand.

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