32 | Kein Verständnis

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Weiter geht's nach dem letzten fiesen Cliffhanger 😂

Ich sah an der Fassade von Elinas Schwesternhaus hinauf. Ich war etwas zu früh dran, doch ich hatte meinen Arztbesuch schneller als gedacht hinter mich gebracht und keine Lust, in der Zwischenzeit noch einmal nach Hause zu fahren. Also hatte ich beschlossen, schon früher bei ihr vorbei zu fahren und auf sie zu warten. Ich wollte gerade die Klingel herunterdrücken, als mich ein Geräusch herumfahren ließ. Ich fuhr herum und sah in das überraschte Gesicht ihrer Mitbewohnerin. Natürlich konnte ich mir den Namen noch immer nicht merken. Sie lächelte mich an und zückte ihren Schlüsselbund. „Hey Max...", sagte sie fröhlich und trug ein paar Einkaufstaschen an mir vorbei. „Hey...", sagte ich und ließ bewusst den Namen weg, bevor ich mich blamieren konnte.

„Du willst sicher zu Elina, oder?", fragte sie und schloss umständlich die Haustür auf. Erst jetzt kam ich auf die glorreiche Idee, ihr etwas abzunehmen. So nahm ich ihr also zwei Tüten aus der Hand und nickte. „Ja. Richtig.", sagte ich knapp und folgte ihr durch das Treppenhaus nach oben. Dort angekommen schloss Elinas Mitbewohnerin die Tür zur WG auf. Ich trat hinter ihr in die WG und drückte mich direkt an ihr vorbei, um ihre Einkaufstüten in der Küche abstellen zu können. Kurz hielt ich inne. Aus der Küche drangen leise Stimmen an mein Ohr. Ich legte den Kopf schief und hielt den Atem an.

„Ich weiß auch, dass ich es nie wieder gut machen kann.", hörte ich eine mir ziemlich bekannte Stimme sagen. Es war Yasin. Was wollte er denn hier? Woher wusste er überhaupt, wo Elina wohnte? Ich zögerte noch einen kurzen Moment und versuchte, das hier zu verarbeiten. Es gelang mir nicht. Ich stieß die Küchentür auf, so fest, dass sie gegen die Wand schlug. Vor mir standen Yasin und Elina, hielten einander vertraut im Arm. Als die Tür gegen die Wand schepperte, fuhren sie schnell auseinander.

„Was ist denn hier los?", fragte ich und sah die beiden mit großen Augen an. Ich verstand einmal mehr die Welt nicht mehr. Zuerst diese ganzen Lügen um ihre gemeinsame Vergangenheit, all der Schmerz, den Elina mir vermittelt hatte, und jetzt stand sie hier in der Wohnküche und klammerte sich Halt suchend an seinen Schultern fest?! Was war das denn jetzt für eine miese Nummer?!

Elina sah mich entsetzt an und schien nach Worten zu suchen. Yasin schien diese ganze Sache ein bisschen weniger, jedoch nicht komplett, unangenehm zu sein. Er war jedoch mehr Herr der Lage als Elina. „Hey, Alter, alles klar?", fragte er, als wäre es vollkommen natürlich, dass er bei meiner Freundin in der WG ein und aus ging. Elina machte unsicher ein paar Schritte auf mich zu, nahm mir die Einkaufstüten aus der Hand und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Hey...", begrüßte sie mich und versuchte überschwänglich zu klingen. Ich kaufte es ihr nicht ab. „Erzählt mir einer von euch beiden, was hier los ist?", fragte ich wütend und baute mich vor den beiden auf. Elinas Mitbewohnerin, deren Name mir noch immer nicht eingefallen war, stand plötzlich ebenfalls in der Küche. Als sie spürte, wie die Luft zu brennen begann, zog sie sich kurzerhand schweigend zurück.

„Yasin wollte gerade gehen.", sagte Elina und deutete mit einem Kopfnicken auf die Tür. Nun schaute nicht nur ich Elina ungläubig an, sondern auch Yasin. „Alter, ist das dein Ernst, Elina?", fragte er sie, „Ich komme hier her, um mich bei dir zu entschuldigen, und du kommst mir jetzt so?" Elina sah von Yasin zu mir und dann wieder zu Yasin zurück.

„Ach, jetzt auf einmal willst du dich bei ihr entschuldigen...", entfuhr es mir sarkastisch, „Naja, besser spät als nie..." Yasin warf mir einen ernsten Blick zu. „Das ist eine Sache zwischen Elina und mir.", sagte er entschieden, „Eine Sache, bei der du kein Mitspracherecht hast. Wenn ich mich bei ihr entschuldigen will, dann mache ich das. Alles klar?"

„Pass mal auf, du hast dich Jahre lang nicht dafür interessiert, ob du dich vielleicht bei ihr entschuldigen solltest – aber jetzt wo sie mit mir zusammen ist, tauchst du hier auf, und meinst du müsstest einen auf reumütig machen...", kommentierte ich. Elina hob beschwichtigend die Hände. „Könntet ihr vielleicht aufhören, euch wegen mir zu streiten?"

„Wir streiten nicht.", stellten Yasin und ich gleichzeitig fest. „Ja, das sehe ich.", sagte sie, „Ihr benehmt euch wie kleine Schuljungen." Einen Moment lang sagte keiner von uns etwas. Dann ergriff Yasin das Wort. „Ich denke es ist besser wenn ich jetzt gehe.", kommentierte er die Situation und warf Elina einen Blick zu. „Falls du das Bedürfnis verspüren solltest, mit mir noch einmal die Sache aus der Welt schaffen zu wollen, bin ich dazu bereit." Elina verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Yasin zog mich mit sich in den Flur.

„Alter, nur damit du das nicht falsch verstehst. Du bist mein Freund. Das gerade hatte rein gar nichts zu bedeuten und ich hoffe, du weißt das.", sagte er zu mir und sah mich eindringlich an, „Alles was ich wollte war, sie um Verzeihung zu bitten und mich bei ihr für das zu entschuldigen, was ich ihr angetan habe." Ich nickte, während er mir vorsichtig auf die Schulter klopfte.

„Sehen wir uns morgen Abend?", fragte er. Ich nickte. Dann ließ er sich selber raus und warf die Wohnungstür hinter sich zu. Ich kehrte zu Elina in die Küche zurück. Nun waren wir allein. Sie hatte gerade damit begonnen, die Einkaufstaschen ihrer Mitbewohnerin auszuräumen und die Einkäufe in den Schränken zu verstauen. Wie konnte sie jetzt einfach so zur Tagesordnung übergehen?

„Ist er weg?", fragte sie beiläufig. „Ja.", sagte ich genervt, „Er ist weg." Eigentlich wartete ich darauf, dass Elina noch irgendetwas sagte. Doch sie tat es nicht. „Willst du die Sache jetzt einfach so totschweigen, Elina?", fragte ich gereizt. Sie sah mich nicht einmal an. „Welche Sache meinst du?", fragte sie übertrieben beiläufig und räumte ein paar Liter Milch in den Kühlschrank. Ich hielt ihr Handgelenk fest und wirbelte sie etwas unsanft zu mir herum.

„Kannst du mich vielleicht auch anschauen, wenn ich mit dir rede?!", fragte ich sie wütend. Sie sah mir mit großen Augen ins Gesicht. „Worüber willst du denn reden?", fragte sie und tat als wüsste sie nicht im Geringsten um was es ging. „Wie wäre es damit, das ich dich und Yasin in trauter Zweisamkeit eng umschlungen in der Küche vorfinde? Nachdem du dir die Augen ausgeheult und mir erzählt hast, dass er dein Leben zerstört hat? Dass du die letzten acht Jahre wegen ihm so sehr gelitten hast? Kannst du dir nicht mal vorstellen, dass ich mich auch nur ansatzweise verarscht fühlen könnte, wenn ich euch dann hier so stehen sehe?!"

Elina sah mich an und schluckte. Einen Moment lang sagte sie nichts. „Es war aber nicht so wie es aussah.", sagte sie dann. „Ja, das hoffe ich.", sagte ich knapp und ließ endlich ihr Handgelenk los. Sie schüttelte den Kopf. „Du musst mir glauben. Ich war selber total überrascht als er plötzlich hier vor der Tür stand.", sagte sie. „Woher weiß er überhaupt, wo du wohnst?", fragte ich sie skeptisch und musterte sie eindringlich. „Was weiß ich...", sagte sie genervt, „Er stand jedenfalls da und ich wusste, dass er nicht eher gehen würde, ehe er nicht sein Anliegen vorgetragen hat. Also hab ich ihn reden lassen. Ich habe mich ja selbst darüber gewundert, dass er sich bei mir entschuldigt hat. Das war alles, was er wollte. Mich um Verzeihung bitten. Er hat mich an sich gedrückt und mir gesagt wie leid ihm alles tut und dass er es heute alles anders machen würde. Er würde seine Taten gern wieder gut machen. Pah..." Elina stieß einen verächtlichen Laut aus. „Als ob das so einfach wäre... Mal eben so wieder gut zu machen..."

„Und du hast seine Entschuldigung einfach so angenommen? Nach allem was passiert ist?", fragte ich sie ungläubig. Nicht, dass ich es nicht gut finden würde, wenn sich meine Freundin mit meinem Bruder verstehen würde. Aber dafür, dass Elina so ein Drama aus allem gemacht hatte, konnte sie doch nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Vor ein paar Wochen noch hatte sie einen Nervenzusammenbruch erlitten, weil sie das Kind hatte abtreiben lassen müssen. Und jetzt schloss sie ihren Peiniger einfach so in die Arme?! Ich konnte sie einfach nicht verstehen! Ich konnte ihr Verhalten nicht nachvollziehen, so sehr ich mich auch in Verständnis übte. Es ging einfach nicht.

Ich weiß. Ihr habt alle auf eine wilde Schlägerei gehofft aber das wollte ich Elina nicht antun.

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