Was suchst du?

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Anders wollte jetzt eigentlich gehen, es passte gerade, war zwar unhöflich aber vorteilhaft, doch stattdessen blickte er den Typ weiterhin an und wartete auf eine Antwort.

Doch dieser zuckte nur verzweifelt die Schultern.
"Ja, sorry, aber ich muss auch noch meine Schwester wiederfinden und so.", wand sich Anders aus dem Gespräch.
"Ich glaube die sind ohne dich gegangen."
"Echt jetzt?"

Anders warf nochmal einen Blick durch die Glastüren.

"Ja, naja, ich such sie trotzdem mal. Viel Spass dir noch auf deiner Suche nach Klamotten. Und danke für das T-shirt.". Er hob es nochmal kurz hoch und nickte, dann lächelte er dem Typ zu und drehte sich zum Gehen um.

"Ich bin nicht auf der Suche nach Klamotten."
'Mann. Was denn dann??', dachte Anders.
"Aha.", murmelte er stattdessen.

Und trotzdem sagte der Typ, was er sagen wollte. Egal was Anders jetzt gesagt hätte, es kam auf das Selbe heraus und scheinbar Nichts, gar Nichts konnte dieses Gespräch jetzt mehr beirren.

"Ich bin auf der Suche nach etwas viel Wichtigerem."

Anders drehte sich jetzt doch nochmal um. "Was denn?"

"Etwas dass ich verloren, aber vielleicht auch nie besessen hab, ich bin mir nicht ganz sicher."
Anders schwieg unwissend.
Und verwirrt.
"Es muss unglaublich wertvoll sein, aber bestimmt nicht teuer."
Jetzt redete Anders Gegenüber mit hochgezogener Stimme als ginge es um das Belangloseste der Welt, aber blickte ihn dabei zwischendurch aufrichtig und eindringlich mit seinen hellen Augen an.
"Und ich bin mir nicht sicher ob es existiert, weiss aber, dass ich es brauche."

Anders holte resigniert Luft. Er hatte wirklich keine Lust sich jetzt mit einem Möchtegern-Philosophen rumzuärgern und noch weniger Lust so viel zu denken, tat es aber trotzdem irgendwie.

"Ist das dein Ernst?", fragte er deshalb.

Und da änderte sich etwas.
Die ganze Zeit war schon viel Verschiedenes passiert, aber diesmal schien es ausdrucksstärker.
Sein Gegenüber lächtelte plötzlich, so als hätte er gerade etwas herausgefunden was niemand weiss.

"Ich bin mir nicht sicher.", sagte er
"Aber das ist mein Name."

Überwältigtes Lächeln und entschuldigendes Schulterzucken.
Glockenhelles Lachen und glasklare Gedanken.

"Du heisst Ernst?"
"Jah.", sagte dieser erfreut und streckte Anders die Hand hin.
Anders zögerte.

Das wäre der große Moment gewesen doch -

"Andi.", entschied er sich schliesslich. - doch Anders war noch nicht bereit dafür.
"Cool." Beidseitiges Grinsen.

Anders fragte sich jetzt, wieso man sowas fröhlich mit 'cool' quittierte, aber hatte irgendwie seine ganze Energie, sich zu wundern, heute schon verbraucht.
Dachte er zumindest.

"Okay dann lass und mal deine Schwester suchen, oder?"
"Ähm.. okay."
Das war ja gar nicht aufdringlich oder so. Anders machte erstmal ein paar Schritte vom Ausgang weg und faltete nachdenklich das T-shirt auf seinem Arm.

"Ich ruf sie einfach an.", viel es ihm schliesslich ein.
"Oh, stimmt.", sagte der Typ namens Ernst und es klang fast etwas enttäuscht.

"Nika!" ... "Na du hast mich im Laden alleine gelassen?" ... "Wie jetzt?" ... "Nee, um ehrlich zu sein nicht." ... "Ach komm, ich geh jetzt nach Hause!" ... "Ja." ... "Geht dich nichts an." ... "Ja." ... "Mir doch egal, tschüss.".

"Und?", fragte Ernst direkt.
Warum tat der so als würden sie sich schon ewig kennen?
Anders zweifelte und guckte ihn deshalb nochmal genau an.

Vor ihm stand ein weisser Typ, hellblonde Haare, helle Augen, grün oder blau, vielleicht auch grau.
Er hatte ein weisses T-shirt und eine helle Jeansjacke, und einen hellgrauen Hoodie an.
Ebensohelle Jeans, weisse Socken und weisse abgetretene Sneakers. Er wirkte irgendwie, als würde er versuchen farblich einen blauen Wolkenhimmel darzustellen.

Dieser Erst erinnerte Anders jetzt unwillkürlich an eine Möve.
Eine von diesen großen Möven mit gelben Albatrossschnäbeln und roten Rändern um die Augen.
Solche, die sich aus dem Flug auf einen stürzen, das Eis aus der Hand schnappen und jenes dann samt Holzstiel verschlingen.
Fast Jeder hasste solche Möven, aber Anders fand, sie waren notwendig fürs Ostseegefühl.

"Was ist mit deiner Schwester?"
"Die sind ohne mich nach Hause gegangen."
"Ok, warum?"
"Keine Ahnung.", log Anders.

Doch das war schon des Öfteren vorgekommen.
Wenn Nika und er mit mehreren Leuten unterwegs waren, dann nicht.
Aber waren sie nur zu dritt, dann ging Nika manchmal einfach mit ihrer Freundin weiter und die Beiden liessen Anders alleine.

Anders schaute auf Ernst, die Möve.

Plötzlich verstand er. Diesmal hatte seine Schwester es also geschafft.

"Wohin gehen wir?", fragte Ernst direkt.

"Also ich geh jetzt nach Hause, wohin du gehst ist ist deine Sache."
"Okay, dann bring ich dich noch ein Stück."
"Okay.", sagte Anders und zuckte die Schultern.

Ernst und AndersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt