Bänke mit Fame

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Anders liess sich nach langer Zeit mal wieder auf die Bank fallen, die er seit mehreren Monaten nicht mehr aufgesucht hatte.

Es scheint nichts Besonderes, schliesslich gibt es viele Bänke und Monate im Leben.
Doch Anders hatte genau diese eine Bank auch monatelang oft besucht.

Es viel ihm sofort auf, welche neuen Kratzer und Eddingunterschriften hier jetzt aufgetaucht waren. Die dunklen Stellen an denen Leute ihre Zigaretten ausgedrückt hatten. Kaugummis und abgekratzte Sticker.

Er hatte sich schon vorher oft gefragt, wie all diese Dinge hier her kamen, wenn es doch schien als sei er der Einzige der überhaupt von dieser Bank wusste.
Wie viel mehr wäre die Bank wohl verunstaltet und verschönert, wenn sie so bekannt wäre wie die Bank genau vor der Halfpipe?
Gab es sowas: Bänke mit fame?

Anders kniff die Augen zusammen und versuchte die Halfpipebank genau zu erkennen. Aber diese sah komischerweise unangetasteter aus.
Also stellte Anders die These auf, dass sich Leute eher an unbekannteren Orten verwigten, einfach nur wegen dem "Wir-waren-hier-"Gefühl.

Und nun saß er auf dieser Bank und starrte auf den leeren Skaterplatz. Und auf die Bushaltestelle.
Diese war zwar etwas weiter weg, jedoch dachte sich Anders dass er Ernst bestimmt gut erkennen würde.
Wenn er denn kommen würde.

Es war jetzt 15:00 Uhr und Anders hatte keine Ahnung was Ernst gemeint hatte mit "um die selbe Zeit, ok?".
Wann waren sie sich überhaupt im Laden begegnet? Und wie lange waren sie noch beim Bäcker gewesen?

Anders verfiel nach und nach in eine Art Warte-Trance. Aufs Handy gucken, Spiel spielen, zur Bushaltestelle schauen, versuchen das Grafitti auf der Halfpipe zu lesen, nochmal zur Bushaltestelle schauen, sich fragen wie spät es ist, aufs Handy gucken, Spiel spielen. Und so weiter.

Und es war kalt.

Und zwischendurch verwechselte er viel zu viele Leute mit Ernst und ärgerte sich jedesmal darüber.

War das überhaupt die richtige Bushaltestelle?
Na klar war sie es! Ok ganz ruhig.

Schon irgendwie lustig, dass es wieder die selbe Bank war. Jetzt sass Anders hier und wartete dass er Ernst sah, und vorher sass er hier und hoffte..-

Die Möve!
(Wäre das ein Film würde ich an dieser Stelle das entsprechende Tiergeräusch einfügen, einfach nur der Weirdheit halber.)

Die Jeansjacke war unverkennbar.
Und die hellen Haare.
Und die Art wie er sich apathisch-begeistert umschaute.
Anders stand ruckartig auf und verlangsamte aber nach und nach seine Schritte, bis er gemütlich schlendernd an der Bushaltestelle ankam und nur leicht die Augenbrauen hob, als Ernst ihn entdeckte und kurz, aber übertrieben fröhlich winkte.
"Perfektes Timing Andi!" schrie er ihm glücklich entgegen und Anders nickte es ab.

"Oder wartest du schon länger?"
"Nö.", log Anders schulterzuckend.
"Boahr. Deine Coolness hätte ich auch gerne. Gut dass wir heute zusammen Einkaufen gehn."
Anders nickte langsam und musste sich ein Grinsen verkneifen.
"Ok, dann zeig mir mal die coolen Läden hier.". Das Wort "cool" schien ihn heute sehr zu begeistern.

Anders ging einfach los und Ernst folgte ihm wortlos.

Irgendwann verfielen sie wieder in ein stumpfes Witze-Erzählen. Anders fiel auf, dass er es bei vielen anderen Leuten unglaublich nervig und in gewisser Weise geistlos gefunden hätte. Bei Ernst war es komischerweise okay, und Anders versuchte manchmal, ihn von der Seite anzusehen und herauszufinden, wieso. 

Ernst fragte ob sie bald bei den Läden sind. Gleich, sagte Anders.
Er fragte ob er Ernst noch einen schlechten Witz erzählen soll und bekam als Antwort ein Nicken.

"Okay dann erzähl ich dir mal den unlustigsten Witz ever. Den hab ich noch aus der Schulzeit, der ist wirklich sehr stumpf."
"Gut, ich bin bereit." sagte Ernst mit starrer Miene und lockerte seine Schultern, als würde ihm ein Kampf bevorstehen.
"Okay also:" kurze Pause.
"Zwei Kekse treffen sich."

2 Sekunden verstrichen, dann schaute Ernst fragend rüber.
"Wars das schon?"
Anders schloss die Augen kurz und nickte belustigt.
"Okay..."
"Hm."
"Ich dachte.. kam da nicht noch irgendwas mit Krümeln?"

"Krümel? keine Ahnung!" Anders lachte jetzt.
"Naja, ich dachte.", Ernst hob entschuldigend seine Augenbrauen und seine Schultern, und danach trat eine grundlose umfängliche Stille ein.

Vielleicht war es das, was jede von Ernsts scheinbar belanglosen Handlungen so legitimierte: die Unabsehbarkeit dessen, was als Nächstes geschehen würde, und die merkwürdig überraschende Entspannung die eintrat, wenn er sich doch einmal normal verhielt. Auf der anderen Seite die neugierige Erwartung auf seine nächste merkwürdige Äußerung.  

Fast hätte Anders gerne beobachtet, wie lange Ernst wohl noch schweigend in Krümelüberlegungen versunken gewesen wäre, doch sie waren bereits am Laden angelangt, und Anders blieb entschlossen davor stehen.
"Sind wir da?"
Anders nickte.
"Okay. Na dann, bist du bereit meinen Style zu retten?"
Anders schaute sich Ernsts Sachen nochmal an und fand, da war eigentlich nichts dran auszusetzen.

Aber Ernst guckte auffordernd, sah dabei wirklich aus wie ein Vogel und fragte mit zusammengekniffenen Augen: "Jaa oder Neein?"

"Jaa!" gab Anders deshalb mit halbsarkastischer Begeisterung nach und hob dazu entschuldigend die Hände, was auch eine gespielte Begeisterungs-Geste hätte sein können.

Ernst machte voller Vorfreude die Tür auf und verkündete gleich stolz dass er nicht so jemand war der bei "Drücken" daran zog und bei "Ziehen" drückte.

Anders fand zwar dass Ernst bestimmt Salz- und Pfefferstreuer verwechselte, Links und Rechts und Lustig und Normal, und er konnte Ernst nicht ganz glauben dass er Türen immer richtig aufmachte, aber er nickte trotzdem anerkennend.

Er konnte sich auch nicht vorstellen dass Ernst Türen zur falschen Zeit knallte und zur noch falscheren Zeit ganz leise schloss, aber manchmal kann man nicht so weit denken.
So weit wie es dann noch kommt.

Sie liefen durch den Laden und Ernst hatte schon nach 2 Sekunden drei T-shirts auf dem Arm.
"Scheiße mir gefällt alles!" rief er.
"Ist doch gut." sagte Anders.
"Sei nicht so optimistisch.", wies ihn Ernst zurecht.
"Okay.", lenkte Anders ein, und beobachtete dann seinen neuen Freund, der sich interessiert im Laden umsah, und über den er praktisch eigentlich  noch gar nichts wusste.

Ernst und AndersWhere stories live. Discover now