Arten von Mauern

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Es war jetzt 18:42 und Ernst waren entweder die Regeln der Höflichkeit nicht allzu bekannt, oder er war einfach nur extrem neugierig.
Der Einkaufstag lag nun hinter ihnen und der Abend vor ihnen. Aber eigentlich, dachte Anders ja, würden sie diesen nicht auch noch miteinander verbringen. Aber so wie sie hier im Treppenhaus rumstanden war er sich da irgendwie nicht ganz sicher.

"Was ist weiss und steht vor deiner Tür?", fragte Ernst, passend zum Ort.
"Du?", riet Anders.
Ernst lachte.
"Äh.. nein. Nochmal."
Er wiederholte die Frage

Anders guckte ihn nur fragend an.
"Ein Spannbettlaken" sagte Ernst mit einer lustigen Betonung.
"Haha okay?"

Dann trat für ein paar ewige Sekunden Ruhe ein und Ernst endlich einen Schritt von der Tür weg.
"Besuchen kommen kann ich dich ja ein andermal.", meinte er und musterte den Fußabtreter.
Darauf war ein brauner, ein gescheckter und ein weisser Hund abgebildet.

Anders hätte schwören können in Ernst Kopf ratterte es jetzt, und er würde sofort eine Frage zu den drei Hunden stellen. Tat er aber nicht.

Generell war er nicht mehr ganz so schräg drauf wie am ersten Tag, und irgendwie etwas.. naja ehrlicher.
Es war schon lustig wenn er sich naiv stellte oder sich von allen Möglichen Kleinigkeiten ablenken liess, aber dabei wirkte er irgendwie so... abstrakt.

Abstrakt.
Seit wann nannte Anders irgendetwas "abstrakt"?!
Vielleicht weil 'unnatürlich' oder 'gespielt' nicht das richtige Wort war. Aber es war eben etwas.. abstrakt, abgespaced, irgendwie sogar abgeschottet wenn Ernst sich lustig verhielt, und dabei aber so wenig lächelte.
Er lächelte eigentlich immer nur, wenn man darauf reagierte.

"Andi?"
riss Ernst ihn aus seinen Gedanken.
"Eh ja, na klar, kannst mich gerne besuchen kommen."
"Cool.", sagte Ernst und lunste über Anders Schulter in die Wohnung.
Und sofort war der Pippi Langstrumpf-Ernst wieder da, der auf Zehenspitzen in fremde Wohnungen starrte.

"Eh.." 'was wird das?', wollte Anders fragen, und hielt Erst auf einmal fest, weil dieser sich gegen ihn gelehnt hatte, als wäre Anders eine Mauer über die er hinüberschauen wollte. Da fiel Anders auf, dass er Ernst noch nie berührt hatte. Keine Umarmung zur Begrüßung, kein Antippen an der Schulter, keine freundschaftlichen Stupser. Auch so ein lustiges merkwürdiges Detail, genau wie das, dass er immer noch nicht viel über Ernst wusste. Er schob Ernst freundlich von sich weg.

 "Okay.. na dann, tschau.", Ernst winkte hastig, Anders winkte automatisch so zurück und musste fast kurz lachen.

Machte aber gleich die Tür zu.
Eine Sekunde stand er ratlos im Flur.

Dann ging er in sein Zimmer, setzte sich aufs Bett und packte seine Sachen aus.

Das Problem dabei war nur: es waren Ernsts Sachen.
Sowas passiert nunmal, wenn man nicht seine eigenen Beutel mitnimmt und Resales Papiertüten nimmt, die gleich aussehen.
Das nächste mal würde Anders einen Stift mitnehmen. Oder einen Aufkleber.
Oder eben Beutel.

"Dich machen die Klamotten aber sehr glücklich."
Anders sah ruckartig hoch, zu seiner Schwester.
Sie stand in der Tür und machte ein Gesicht, als würde sie eine Augenbraue heben, obwohl sie das gar nicht konnte.

"Wo warst du denn den ganzen Tag?"
Sie setzte sich ungefragt zu ihm mit aufs Bett.
"Einkaufen."

"Hast du jetzt eine Kaufsucht?"
Sie fragte das so verwirrt und ehrlich zugleich, dass Anders lachen musste.
"Nee!"
"Okay.. also du warst heute den ganzen Tag Einkaufen?"
"Ja."
Seine Schwester legte den Kopf schief und grinste ihn mit dem Augenbrauenhebegesicht an.
"Ey komm, erzähl."

Also erzählte Anders.
Dass der 'komische Typ' aus dem Secondhandladen mit ihm heute wieder in Secondhandläden gehen wollte, merkwürdige Entscheidungsprobleme hatte was Klamotten anging, und er alles und jeden komisch anquatschte und sich irgendwie mit einem Kind angefreundet hat, das auf der Treppe rumgeturnt ist.

"Mit ihm zusammen rumgeturnt wohlgemerkt. Also mit dem Typ. Der heisst, sag jetzt bitte nichts, aber der heisst halt Ernst."
Nikas Augenbrauen schossen in die Höhe und blieben dort. Ziemlich viel Sport für die zwei heute.
"Ja. Und ..Ernst läuft halt so die Treppe im Humana hoch, und da klettert ein Kind total gefährlich auf dem Geländer. Und anstatt es anzuschnautzen oder zurückzuhalten oder so, geht er ganz ruhig hin und hilft dem erstmal dabei. Oh mann. Dann unterhalten sich die zwei, das Ding war, man hat das Kind halt gar nicht verstanden, keine Ahnung wie Ernst mit dem reden konnte.
Und am Ende klettert er auch auf das Geländer und...-"

"Dieser Ernst ist echt ziemlich weird."
"Ja.."
Eine Weile wühlen sie dann durch die Klamotten.
"Die Sachen sehen aber so gar nicht weirdomäßig aus."
Anders nickte.

Nika stand jetzt wieder auf.
"Aber weisst du, es ist echt cool dass du einfach so mal nen Kumpel gefunden hast.
Und wollen wir jetzt mal Abendbrot machen?"

Anders nickte wieder.

Sie machten sich Nudeln mit Ketchup und noch irgendwelchem Tofukram drin und setzten sich an den Tisch. Nika machte Hausaufgaben oder was in ihrem Notitzbuch, so gut konnte man das nicht unterscheiden.

"Wo is'n Papa?", fragte Anders.
"Einkaufen glaube. "
"Stimmt, morgen ist ja Sonntag."

Eine Weile saßen sie so still da, bis auf einmal Jaan laut am Türschloss klimperte.
"Hallo!", sagten Anders und Nika gleichzeitig, auf ihre eintönige, aber liebevolle Art, wie sie es irgendwie immer sagten.

"Leute.", sagte Jaan.
"Wir müssen noch Einkaufen gehen. Ich habs vergessen."

Ja.. so war das mit ihrem Vater.
Es fühlte sich halt nicht wirklich an als wären sie eine normale Familie, sondern eher eine ..miteinander verwandte... Wg.
Und als wären sie alle gleich alt.

Nika und Anders schauten sich halb belustigt, halb mitleidig an.
Dann suchten sie alle zusammen nach Geld, fanden keins, immerhin wusste Jaan wo seine Karte ist, das war ja schonmal was.
Und dann drängelten sie sich in dem viel zu schmalen Flur, ehe sie sich nacheinander aus der Tür schoben und im Gänsemarsch durch das alte Treppenhaus polterten.

Anders als Letzter, und er fragte sich auf einmal
ob die anderen beiden überhaupt
auch mal darüber nachdachten,
wie komisch sie eigentlich waren.

'Egal.'
Dachte er und stolperte hinterher, um seine Familie einzuholen.

Ernst und AndersWhere stories live. Discover now