Ernst und Anders

neue alte Klamotten

Auf dem Marktplatz Lindeau gab es zwei Straßenbahnstationen, eine freie Fläche wo bei schönem Wetter ab und zu umwelt- und familienfreundliche kleine Events stattfanden, eine "Yannis"-Eisdiele mit veganen Sorten, zwei komische Drehelemente die zu weit unten und weder dekorativ noch spaßig waren, und eine Rasenfläche übersäht mit Parkplatzschildern.
Wie ein Denkmal standen diese in einem regelmäßigen Muster da, und ragten Dunkelblau und teilweise mit Stickern beklebt in die Höhe.

Die beste Freundin von Anders' Schwester hatte mal gesagt, dass man da bestimmt ne coole Poledance-Choreo dran machen könnte, und sich von einer Stange zur anderen hangeln.
Diese Freundin kam ständig auf so komische Ideen, obwohl sie gar nicht danach aussah.

Er war nun an seiner Haustür angekommen und kramte in der zu großen Jackentasche seines Parkas nach dem Schlüssel. Auf der Tür pragte schonwieder ein neuer linker Sticker. Seine Schwester, Nika, hatte Freunde, die sowas überall verteilten.
Anders fand es war manchmal zu viel Text auf den Aufklebern.
Diesmal ging es um Pride oder so, jedenfalls war er Regenbogenfarben.
Er lehnte sich genervt gegen die Haustür um sie zu öffnen.

"Boahr Nika, lass doch mal bitte das mit den Stickern.", sagte Anders zur Begrüßung.
"Du bist aber wieder mal gut drauf."

Nika war fast zwei Jahre jünger als Anders und ein absoluter offline-Mensch.
Sie hatte sich sogar mal ein Logo ausgedacht, wo in so einem Vans Skateboard statt "off the wall" "offline" oder "off the line" stand.
Und dann hatte sie es sich auf ein T-shirt gemalt.

So jemand war sie. Sie gab sich aber auch ziemlich Mühe cool zu sein.
Manchmal so viel, dass es schon wieder unnatürlich war.
Aber das bemerkte meist nur Anders.

Am nächsten Morgen begann wieder einer ihrer Tage an denen sie es besonders übertreiben wollte.
Erst machte sie sich eine "beste Banane Brokkoli Bemme" zum Frühstück und dann schleppte sie Anders raus an die frische Luft, in die kleinen niedlichen Parks und in einen Second-hand Laden.

Er war genervt, er hatte ausschlafen wollen, und ausserdem war es kalt.
Das einzig Gute an der Frühe und den Temperaturen war, dass noch nicht so viele Menschen unterwegs waren, und die ganze Stadt irgendwie ein bisschen neu aussah.

Ein bisschen frischgefallener Schnee knirsche unter ihren Füßen, Raureif war auf den vertrockneten Graßhalmen in den besprayten Blumenkübeln, und der Himmel hatte sich auch noch farblich all dem angepasst.

Ja, es gab Tage da wagte Anders auch mal einen Blick nach oben.

"Der Himmel ist schön, oder?"
"Der Himmel ist immer schön, Anders."
Er schwieg. Nika wusste genau was los war.
"Sorry so war das nicht gemeint!", lenkte sie aufheiternd ein.

Sie legte ihren Arm um seine Schulter und ihren Kopf darauf.
Es war umständlich so zu laufen und die Entschuldigung auch etwas zu intensiv für so ne Kleinigkeit gewesen.
Aber so war seine Schwester.

"Ich hab mich mit Joh verabredet, das ist doch ok oder?"
Aha, achso. Deshalb die übertriebene Umarmung.
"Jaa, aber wieso hast du mich dann mitgenommen?"
"Wir können doch zu dritt was machen."
"Okay."

Und so kam es, dass Anders mit Nika und Johanna, der Parkplatzschildchoreografin, ein wenig später im "Hilde tanzt" Secondhandladen rumstand und gelangweilt einen quietschenden Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite schob.

Nika und Johanna plapperten die ganze Zeit vor sich hin mit "Look at this girl." "Are you sure girl?" "Yeah, girl, this looks good." "Even better on you." "Aww, thank you girl!"

Vielleicht glaubten sie ja sie wären lebendinge Memes, oder in den USA, beide schwarz, und die coolen Kids an der Highschool.
Es war schon irgendwie niedlich, aber nervte auch schnell, fand Anders.
Und peinlich war es manchmal auch.

"Guck mal, das sieht doch cool aus!"
Nika hielt ihm einen grauen Fleecepulli mit nem Reißverschluss am Kragen vor die Brust.
Ein paar Muster waren drauf, und insgesamt war er Anders viel zu auffällig.
"Nee.", meinte er nur zögerlich.

Mit einem Schulterzucken wandte sich Nika wieder von ihm ab, und am später kaufte sie den Pullover selber.
Anders fragte sich, ob sie am Anfang entweder super nett gewesen war und ihm sogar ihren persönlichen Pullifavorit überlassen hätte, oder ob sie den jetzt nur gekauft hatte um ihm das teil dann zuhause doch noch anzudrehen.

Wahrscheinlich traf Letzters zu, denn seine Schwester schien heute sehr überzeugt davon, dass Anders neue Klamotten brauchte.
Ein Resales, ein Humana und einen Vintage-Stoffladen später war Anders sogar tatsächlich selbst überzeugt davon.

Er hatte gedacht es würde alles total nerven, doch als Johanna einen Anzug gefunden hatte der als Rehverkleidung diente, und ihr etwas zu klein war, stempelte Nika sie gleich als das "Fetisch-Reh" ab.

Das war wirklich lustig. Vor allem als sie, nachdem Hannah ihren Catwalk hinter sich gebracht hatte, auf die Idee kamen dass sie ja ihre Parkplatzpoledancechoreo in diesem Anzug machen könnte.

Anders fragte sich, warum anscheinend alles was Johanna sagte oder machte auf sowas hinauslief, aber lustig war es schon.
Tatsächlich probierte er dann selber halbherzig sogar eine Tigerverkleidung an. Mit Absicht mit dem Schwanz nach vorne. Die beiden Freundinnen bogen sich vor Lachen, und selbst Anders Schultern bebten amüsiert.
Aber zum Catwalk liess er sich nicht auch noch überreden.

Er fragte sich ernsthaft was um alles in der Welt los mit ihm war, wo er auf einmal das Selbstbewusstsein hernahm, und wieso er das alles überhaupt plötzlich so lustig fand.
Aber er war motiviert, sogar überzeugt, sich heute was Schönes zu kaufen, und überhaupt hatte er einfach endlich mal wieder so richtig gute Laune.

Und dann kam er.

nst.