Die Möve und das Brötchen

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Anders überlegte angestrengt nach einem simplen Gesprächsthema, als sein Blick auf einen Bäcker auf der anderen Straßenseite viel und ihm die rettende Idee kam.
Denn wenn man Essen konnte, musste man nicht unbedingt reden.

"Ehm, also ich hab voll Hunger, ich glaub ich hol mir kurz was beim Bäcker.", Anders deutete nach drüben
"Ja, gute Idee. Ich auch!", meinte Ernst und kramte noch im Gehen bereits enthusiastisch in seiner Jackentasche nach Geld.

Sie überquerten die Straße und betraten den Bäcker, der klein und schön warm und gemütlich war.
Man sah Ernst an seiner Erleichterung deutlich an, dass er draußen ziemlich gefroren haben musste.

Irgendwie traute Anders ihm zu, dass er nicht genug Geld für ein belegtes Brötchen hatte und deshalb dann von seinem schnorren würde. Er bestellte sich ein belegtes Brötchen und behielt Ernst im Augenwinkel, dieser nahm eine Flasche Wasser und einfach nur ein helles Brötchen ohne alles.

Anders hätte schwören können, die Möve hatte entweder tatsächlich nicht genug Geld, oder wollte damit irgendeine Ästhetik erfüllen.
Und ja, es war wirklich simpel und irgendwie merkwürdig, aber halt auch auf eine komische verlorene Weise: schön.

Ernst wirkte als könnte er sich überall anpassen, aber ohne überlebensfähig zu sein.
Wie er so da stand, hellblau und weiss, mit seinem stillen Wasser und einem hellen Brötchen in der Hand.

Anders überlegte wirklich ob er ihn danach fragen wollte, oder doch besser nicht.

"Wolln' wir uns hinsetzen?", fragte Anders, denn er konnte sehen dass Ernst gerade erst aufgehört hatte zu frieren.
"Aber draußen ist es schöner oder?", meinte Ernst naiv-wertschätzend.
"Und kälter."
"Frierst du?"
"Nein, aber du."
Ernst sah eine Sekunde lang überrascht aus.
"Naja, es ist ja meine Schuld wenn ich nur ne Jeansjacke anziehe oder?"

Anders setzte sich anstatt einer Antwort einfach hin und fing an sein Brötchen aus der Tüte zu befreien. Verwundert aber dankbar setzte sich Ernst ihm gegenüber, schraubte seine Wasserflasche auf, und trank sie in einem Zug aus, als wäre er gerade Joggen gewesen.

Er sah ihrgendwie kindisch aus, so wie er von seinem hellen Brötchen abbiss und Anders erwartungsvoll anblickte.
Doch Anders konzentrierte sich deshalb nur umso mehr auf sein eigenes Essen, ohne sein Gegenüber dabei anzusehen.

"Weisst du", nuschelte Ernst zwischendurch beim Kauen,
"Ich liebe es  irgendwo weit oben, zum Beispiel auf einem Berg zu sitzen, auf alles unter sich zu blicken und dabei was zu essen.
Und ich liebe Zugfahren und Autofahren und aus dem Fester zu schauen und so viel Landschaft vorbeiziehen zu sehen, und dabei was zu essen.
Oder an Raststätten anzuhalten und sich mit nem Tankstellensandwich auf die komischen Bänke zu setzen und die anderen Leute zu beobachten."

Und Anders hatte tatsächlich gedacht das Essen würde die Schreimöve wenigstens nur ein bisschen vom Reden abhalten..
Er nickte nur.

"Ich finde an Pickniks hat man immer voll die guten Erinnerungen.", fuhr Ernst krümelspuckend fort, "Oder?"

"Ja, kann sein.", meinte Anders.
Doch als dann tatsächlich das lang erhoffte Schweigen eintrat und er mehr Zeit zum Nachdenken hatte, merkte er nach und nach was Ernst damit meinte. Es stimmte.

Ernst war ein guter Erzähler.
So viel stand fest. Wie auch immer er das machte, man hielt es aus mit ihm.

"Sag mal", fing Anders jetzt an
"Machst du das öfters, dass du dich mit Fremden unterhälst?"
"Warte.", sagte Ernst und fasste in seine Jackentasche, um sein Handy hervorzuziehen.
Er entsperrte es und schien irgendetwas zu lesen.

"Eh, ich muss jetzt doch langsam los.", meinte er plötzlich und steckte es wieder ein, knüllte seine Serviehette zusammen und blickte Anders auffordernd an. Dass er das Wort "langsam" für seine Ausführungen benutzt hatte, schien ziemlich heuchlerisch.

"Okay, na dann, tschüss.", sagte Anders nur.

Einen Moment lang guckte Ernst wie jemand, der einen gerade erzählten Witz erstmal nicht versteht. Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck aber so, als wäre er selbst der Witzerzähler, der sich jetzt über das Unverständnis wundert.

"Was? Hey komm schon, das bisschen kannst du jetzt noch aufessen und wir können zusammen laufen."
"Jaa. Okay.",  gab Anders nach, wiegte den Kopf kurz hin und her und stand auf, um Ernst zu folgen.
Die Fragen nach der Ästhetik, dem Leute-Ansprechen, und ob das mit dem Handy vielleicht nur ne Ausrede gewesen war, behielt Anders für sich. Vergessen würde er sie aber nicht. Anders konnte schweigen. Doch noch besser konnte er sich erinnern, so viel stand fest.

Draussen schlug den beiden die Kälte entgegen und der Wind die Tür vom Bäcker zu.
Anders zog sofort den Reißverschluss seine Jacke hoch und vergrub das Kinn im Kragen.
Ernst zog die Schultern hoch und steckte die Hände tief in die Taschen.

"Verpisst euch doch ins Paralleluniversum!!"

schrie eine zu kalt gekleidete, nervöse und wahrscheinlich dorgenkonsumierende Person ihnen vom Straßenrand aus zu.

'Vielleicht wär das ja auch gar nicht so schlecht.', dachte Anders.

Ernst sagte halblaut: "Das ist aber schon irgendwie philosophisch. Mit dem Paralleluniversum meine ich."
Anders zuckte die Schultern.

Plötzlich blieb Ernst stehen.
Er spähte in ein Schaufenster, in dem einige Drucke und Gemälde und anderer kreativer Kram standen. Das war Anders noch nie so richtig aufgefallen, obwohl er so oft hier entlang ging. Sah ganz hübsch aus eigentlich.
Und ein Bild zeigte ein realistisch gemaltes Huhn, das mit apathischem Blick auf dem Ozean schwamm. Wie eine Möve.

Anders lächelte.

Bestimmt gab es auch ein Parraleluniversum, da waren Möven Hühner und Hühner Möven und der Rest war alles gleich. Wer weiß, was es noch alles gibt. Oder ob das hier schon alles reicht?


Ernst und AndersWhere stories live. Discover now