Dreizehn

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Anders ist nicht immer spezieller. Anders ist nicht immer unterschiedlicher. Oder besonderer. Komischer, merkwürdiger, seltsamer oder eigenartiger.

Ich bin genauso unnormaler wie alle anderen auch, die noch unnormaler sind, als ich.

Er wachte verkatert auf und hatte sofort das Gefühl, etwas sehr sehr falsch gemacht zu haben. Er bereute schon all die Dinge die er im Rausch getan hatte bevor er überhaupt wusste, was diese waren. Allein dass er sich nicht daran erinnern konnte musste schon Beweis genug dafür sein, dass er etwas sehr sehr falsch gemacht haben musste.

Wollte er es übehaupt wissen? Er wusste es nicht.

Also drehte er sich einfach nochmal um und blieb liegen. Wenn man den Tag gar nicht erst anfing, konnte es ja auch kein schlechter Tag werden. Aber das ist genauso, wie zu sagen: Wenn ich mich gar nicht erst verliebe, kann mir auch nicht das Herz gebrochen werden. Denn dann hast du es zwar nicht zerbrochen, aber alles was hätte passieren können schon vorher abgebrochen. Also ein bisschen kaputt gemacht. So ist es halt im Leben. Alles hat seine Fallhöhe, aber nur so lernt man fliegen. Vielleicht erstmal auf die Schnauze, aber fliegen.

Anders dreht sich nochmal um und lässt sich aus dem Bett fallen. Es tut eh so weh. Scheiße, was war passiert, was ihm so ein schlechtes und Gefühl trotz der Unwissenheit gab? Er musste aufsstehen, diesem Tag und der Wahrheit in die Augen blicken und Nika fragen gehen. Oder wenn nötig Alma. Oder nach einem Glas Wasser und etwas Bewegung sich selbst und sein sich erholendes Gehirn.

Wie es Alma wohl ging?

Eigentlich war das erste, was er Nika fragen wollte: "Hey, geht es dir gut, hast du gut geschlafen?", mitfühlend. Das Zweite: "Hab ich Drogen genommen????" angsterfüllt. Und das Dritte: "Was war da mit Holland, und wie hat Alma reagiert?" neugierig.

So sortierte Anders immer seine Gefühle: Erst machte er sich Sorgen um andere. Dann um sich. Und dann versuchte er, sich dem Unbekannten zu stellen und ein bisschen sich umzuschauen und dazuzulernen von der Welt.

Aber das erste was diesen Morgen aus seinem Mund purzelte war: "Ist das Zimt?"

"Nein, DRECK.", sagte Nika, guckte ihn ganz ernst an und lachte dann los. Es schien ihr gut zu gehen und sie schob sich ihre Käsepizza mit Zimt und Kakao in den Mund. Kalte Pizza am Morgen, oder auch der Döner von gestern, das war Nikas Spezialgebiet. Ihre Liebe zu Essen verhinderte automatisch jeglichen Foodwaste. Wahrscheinlich gäbe es generell mit mehr Liebe weniger Verschwendung. Und... mehr Liebe halt. Liebe ist eigentlich das Einzige, was man nie verschwenden kann und es deshalb umso mehr verschwenden sollte.

"Hab ich Drogen genommen?"

Nika lachte weiter und wickelte fröhlich einen Käsefaden um ihren Finger. "Och Andi du bist süß, ich nehm dich ein mal auf eine Party, eine ziemlich tolle Party um genau zu sein, und du bist komplett überfordert von diesem Neuland beziehungsweise Ackerland als Tanzfläche." Sie lächelte ihn mit einem Tomatensauce-Zimt-Kakao-Bart an. Und dachte sich im Stillen: Manchmal frag ich mich, ob wir verwandt sind. Oder ob unsere Gene so aufgeteilt wurden, dass ich alles an Selbstbewusstsein, Stimmungsschwankungen und Lautstärke bekommen habe und du dafür die ganzen Zweifel, aber auch Stabilität und Besonnenheit. Doch das sagte sie nicht. Weil sie wusste, dass es Anders verletzen würde. Und weil sie wusste, dass Anders es wusste.

Er war immer ein bisschen verletzt, aber immer zufrieden. Nika konnte eigentlich immer zufrieden sein, aber war immer aufgekratzt. Aber dafür hatten sie sich ja gegenseitig.

Anders setzte sich zu ihr an den Tisch und wollte, dass sie ihm von der Party gestern erzählt. Da war er einmal auf einer Party gewesen, und das Einzige, was man ihm nicht nehmen konnte, seine Erinnerung, hatte er sich selbst genommen. Und das Schlimmste: Nika hatte keine Lust, ihm die wichtigen Sachen zu erzählen. Viel lieber beschrieb sie irgendwelche Details wie die Geruchsnote von einer Duftkerze und dem Fakt, dass Zäune dafür gemacht sind um erst drüberzuklettern und sie dann umzureißen, und das Konsum doch eigentlich scheiße ist, aber dieses eine T-shirt an diesem einen Typen so unglaublich toll aussah und sie jede einzelne Falte im Stoff, und wie der Kragen lag, und wie seine Schultern dich darin hoben und senkten als er sich einmal umdrehte als ihm jemand auf den Rücken tippte, dass sie all das so unglaublich schöner und interessanter fand, als wenn jemand ein oberkörperfreies Gym-Pic postet oder sich demonstrativ durch die Haare fährt.

"Subtil-schön.", sagte die geistesabwesend und spülte den Tomate-Kakao-Zimt Bart mit Kaffee etwas beiseite. Es ergab einen kleinen Rand, wie wenn das Meer an den Strand spült und eine kleine Sandwelle hinterlässt. 'subtil-schön...' Anders war nicht so jemand, doch er verlor die Geduld und irgendwie regte es ihn auf, wie sie von diesem Typen redete. Karlos hieß er. Mit K. Ja toll, wen interessierte das denn?

"Naja,", sagte Nika aber dann "Dich hat es schon interessiert."

Anders wollte gerade trinken, aber setzte die Tasse ab, bevor er sich beim nächsten Satz womöglich verschlucken würde. Denn so wie sich der letzte Rand des Zimtbartes nach oben bog zu einem belustigen Lächeln, sah es ganz so aus als würde Nika gleich irgendetwas komisches erzählen. Irgendetwas woran Anders sich nicht erinnern konnte.

"Sagen wirs mal so, Andi.", sagte sie ohne Umschweife. So war sie halt. "Du hast die ganze Zeit am Rand bei dem weirden Busch mit den gelben Cocktailtomaten gesessen, als wäre dieser Busch dein einziger Freund, und in dich hineingeschwiegen. Aber dann hat sich Karlos neben dich gesetzt und man musste nicht ein Wort verstehen, weil man schon von weitem gesehen hat dass das das awkwardeste Gespräch der Welt war."

Anders fühlte sich so gecknickt wie der Strauch am Ende der Party, als jemand vor dem brennenden Duftkerzenbusch geflohen und drübergestolpert ist.

"Weisst du, Karlos wollte dich einfach nur was über deinen ehemaligen Basketballverein fragen, und du warst total im Tomatenland, Andi. Ich muss dich echt auf mehr Partys mitnehmen."

Anders stand auf. "Vielleicht könntest du auch einfach einsehen dass ich Partys scheiße finde, und mich freuen würde, auf weniger Partys zu gehen, und einsehen dass ich auch nicht immer nur von dir irgendwohin 'mitgenommen' werden will, sondern einfach mal selber irgendwo hin gehen will, von MIR aus. Das nervt einfach nur so unglaublich, wie cool du dich immer fühlst und denkst, anderen deinen Lifestyle aufdrängen zu müssen."

Und damit ging er wieder in sein Zimmer. Er hatte sich diesem Tag gestellt, war ihm entgegengetreten. Und er war zufrieden, auch wenn nicht das dabei herausgekommen war, was er sich gewünscht hatte, und auch wenn in seiner Aussage zwei Fehler waren, denn:

1. Konnte Anders kaum davon sprechen, auf weniger Partys zu gehen, da er eigentlich eher auf gar keine Partys ging und

2. Liebte er es eigentlich, von Nika irgendwohin mitgenommen zu werden

Aber er hatte es ganz gut gemacht. Denn zwischen den 2 Fehlern hatte er auch 2 was richtig gemacht. Er hatte Nika gesagt dass er Partys nicht mochte, und dass er ihre Alltagsangeberei nicht mochte. Und dafür, dass Anders sonst Dinge lieber herunterschluckte als sie auszuspucken, und selbst wenn er davon kotzen musste, sie noch währenddessen nochmal herunterschlucken konnte. Also dafür hatte er ihr grad endlich mal und ziemlich gut seine Meinung gesagt.

Und sein Körper schloss sich physisch an und brachte Anders dazu, den Weg ins Bad anzutreten. Schon traurig wenn man nicht nur an dem Abend selber, sondern auch am nächsten morgen sich übergeben muss. Aber das war okay. Anders war zufrieden mit sich.

Und es konnte sein dass er wohl noch nicht ganz nüchtern war, aber er würde jetzt Ernst, diesen ihm kaum bekannten Typen, schreiben, um mit ihm rauszugehen. Irgendwas zu machen. Es war Wochenende und das war, was selbstbewusste lebensfrohe Jugendliche doch so tun. Von sich aus. Anders kotzte zuende und dann schrieb er diesem Ernst. Und dann wartete er zufrieden ab, was der Tag noch so bringt.




Ernst und AndersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt