gelbe kleine Cocktailtomaten

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Heute war es Hafer-Hirse-Hanf Müsli und Nika wusste nicht, ob das jetzt ein spätes Frühstück oder ein frühes Mittagessen war.
Sie könnte so ne vegane plastikfreie minimalistische Bloggerin werden, dachte Anders.
Mal sehen ob sie heute bei der Grillparty ne Moralapostelpredigt hält, dachte er weiter.
Sie waren zum Geburtstag von einer Freundin von Nika eingeladen, in einer Kleingartenanlage.

Anscheinend reichte es seiner Schwester nicht, heute Abend dort zu sein, und sie rief ihre Freundin bereits gegen Mittag an, legte ihr Handy neben die Schüssel, und machte auf laut.

"Hii", rief Nika und steckte sich gleich einen Löffel Haferflocken in den Mund.
"Hi?"
"Bist du schon im Garten?"
"Ja?"
"Cool." Schlucken und noch ein Löffel.
"Joa.."
*Nikas Schmatzen*
"..was gibts?" fragte die Freundin.

"Keine Ahnung, ich dachte eher du hast vielleicht was anzubieten."
"Nee, ich räum grad Stühle raus."
"Cool." Schmatzen.
"Ja.", man merkte deutlich, dass die Freundin beschäftigt war und sich daher auch nicht allzu sehr um die schlechte Gesprächsführung zu kümmern schien.
"Sag mal." holte Nika aus
"Hast du Heinrich Holland eingeladen?" und schlug ihrer Freundin damit anscheinend verbal in die Fresse.
Das Plastik- oder Klappstuhlklappern hörte nämlich abrupt auf.
"Nein - wieso?", kam es dann misstrauisch vom anderen Ende der Leitung.
"Nur so, hab ich mir schon gedacht, deshalb hab ich ihn eingeladen."
Ein Stuhl oder etwas anderes rummste auf den Boden.

"Hast du nicht!"
"Ok.", seine Schwester blinzelte Anders frech und erfreut zu, dieser hob die Augenbrauen.
"Nikaa?"
"Nein, alles gut."
"Du hast ihn nicht eingeladen?"
"Nein."
"Guut..."
Nika grinste immernoch, und Anders schaute nur fragend zurück. Sie wandte den Blick wieder von ihm ab, beugte sich vergnügt über das Handy und hörte sogar auf nebenbei zu essen.

"Ahaa, du stehst also auf Macker."
"Der ist kein Macker!"
"Oh doch. Schon sein Vorname ist ein eigenständiger Macker an sich.
Und du stehst auch auf ihn. Man sehnt sich oft nach dem, was man selbst nicht ist."
"Schwachsinn."
"Nee, Sinn des Lebens. Das Gartengirl und der Großstadtjunge. Und.."
"Boahr Nika du nervst, echt."

"Nee, warte. Ohh , haha, stell dir vor ihr seid zusammen und der kommt dich abholen mit seinem heißen Schlitten und fettem Bass und sagt so: 'ey Babe, geile Radieschen. Boahr ich liebe diese Radieschen!!'
Und du so mit ner Stiege Radieschen beugst dich mit deinem Gartenhut ins Auto, gibst ihm nen Kuss und klopfst die Erde von deiner Latzhose bevor du dich auf die Ledersitze setzt. Ahahah!"
Die Freundin lachte nun auch versöhnlich.
"Pfff! Und tut mir leid ich muss jetzt wirklich Stühle hinräumen. Tschau." Und dann legte sie auf.

"Wer war das eigentlich?", fragte Anders.
"Alma, du wirst sie mögen. Heinrich wird sie auch mögen."
"Wer ist Heinrich?"
"Den wirst du nicht mögen."
"Okay?"
"Ja, so siehts aus. Verrückte Welt, nicht wahr?"
Anders zuckte die Schultern, und dann ging er schon aus Gewohnheit ihr in sein Zimmer hinterher, damit sie ihm gute Klamotten für heute Abend raussucht.

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Alma hatte ein schmutzig weisses T-shirt an, welches sich beim Näherkommen als ein extrem ausgeblichenes Fanta Werbetshirt entpuppte. Ausserdem trug sie zerissene Shorts, die ihr viel zu groß waren und von einem altbackenen Ledergürtel gehalten wurden.
Nika schossen automatisch diese stereotypischen amerikanischen Bilder von einem white Dad in den Kopf.
Jetzt bräuchte Alma nur noch weisse Air Monarch.
Sie ging um den Grill herum und Alma trug... weisse Nikes. Nicht Air Monarch. Aber trotzdem.
Und weisse Socken!
Ehrfürchtig blib Nika und blickte sie so einige Sekunden lang an.

"Was?" fragte Alma plötzlich und schaute Nika kurz an, während sie mit ernstem Gesicht einfühlsam ein Steak wendete, so wie das eben richtige BBQ Meister*innen tun.
"Wenn ich es memeentsprechend formulieren dürfte...", sagte Nika und deutete eine kleine Vergeugung an
"You should've become a Dad."

Alma sah sie misstrauisch an, legte die Zange kurz hin und nippte an ihrem Malzbier.
"Versteh nich was du meinst.", nuschelte sie halb in den Flaschenhals.
Nika lachte nur und winkte ab, doch das sah Alma auch schon gar nicht mehr da sie sich wieder fokussiert dem Grill zuwendete.
Nika verstand beim besten Willen nicht warum Alma keinen Freund hatte.
Sie war absolut wundervoll.

Sie mähte bestimmt auch gerne Rasen und so.
Und war nicht die Sorte Kind gewesen, die versucht hat Schrauben statt Nägel ins Baumhaus zu hämmern.
Sie aß nicht nur die Kerne von der Wassermelone, sondern auch noch das wo der Rand schon weiss wird.
Oh ja, Alma war einfach nur krass und deshalb traute sich niemand an sie ran.
Ausser hoffentlich Heinrich vielleicht.

Nikas Gedanken drucksten herum.
Sie musste mit Alma über ihn reden, aber hatte Angst davor. Es ist kein gutes Gefühl, zu wissen dass man etwas tun muss, was extrem richtig und extrem falsch ist.

"Warum meidest du Heinrich so?", plapperte sie plötzlich los.
"Holland?", fragte Alma ungerührt ohne vom Grill hochzuschauen.
"Welchen sonst?", sagte Nika halblaut.
Alma zuckte die Schultern: "Keine Ahnung, ich nenn ihn nur nicht gerne beim Vornamen."
"Hm.", sagte Nika.

"Zuerst bezeichnest du ihn als Macker, was nicht stimmt, und dann sagst du dass ich ihn meide, was auch nicht stimmt", Alma hob den Finger ihrer freien Hand um Nika zu signalisieren jetzt nicht reinzuquatschen.
"Denn Leute, mit denen man eh nichts zu tun hat, muss man nicht meiden."

Und dann schaute sie hoch und schenkte Nika ein bittersüßes Lächeln voller Selbstironie.
Nika nippte ausweichend an ihrem Tetrapak Gemüsesaft und fand auf einmal die Inhaltsstoffe sehr interessant. Grünkohl. Hm, das hätte sie nicht gedacht.

"Hm", sagte sie abwesend.
Alma nickte.
Dann musste Nika auf einmal schnell weg und sich unter die anderen Leute mischen.
Wo war denn ihr Bruder?
Anders saß abwesend am Rand und betrachtete interessiert ein paar gelbe Cocktailtomaten.

Nika beschloss sich um ihn zu kümmern.
"Was sind denn das für gelbe Beeren", legte sie einen gekonnten Gesprächsstart mit ihrem introvertierten großen Bruder hin und pflückte unverschämt was ab, und aß es, ohne zu zögern.

"Ihhh!", sie spuckte es aus.
Anders wachte langsam aus seiner Außenseiter-Trance auf und schaute sie an.
Kurz schmeckte Nika nach.
"Achsoo, das sind Tomaten.", schlussfolgerte sie.
Anders nickte.

"Gelbe Tomaten", wiederholte sie verwirrt und beeindruckt.
Die Worte wiederholten sich in Anders' Kopf. Er schaute den Tomatenstrauch an, als wäre dieser etwas, was es auf philosophische Weise zu verstehen galt.

Plötzlich rief jemand nach Nika und sie sprang auf und schraubte actionbereit ihren Gemüsesafttetrapak zu, damit sie nichts verschüttete.

So waren Anders und der Strauch wieder allein.
"Na", sagte Anders.
"Wir sind ziemliche Außenseiter, oder?"

Der Strauch wackelte im Wind und schien zu sagen:
"Ja, aber dafür sind wir besonders."

Anders nickte.

Plötzlich wurde alles rundherum still.
Er drehte sich um, genau wie alle anderen auch.
Da fuhr ein viel zu auffälliger Sportwagen den Kiesweg der Gartenanlage entlang.

Ernst und AndersWhere stories live. Discover now