Neun

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Ich hatte Aidan zum Zocken von Glückspielen abgesagt. Er wollte mir schon seit geraumer Zeit sein neues Hobby näherbringen. Ich hielt es für keine gute Idee, doch ich redete es ihm nicht aus. Ich sah lediglich dabei zu wie er tiefer und tiefer in seine neugewonnene Sucht absank. Oft hatte er mich gefragt, kurz vor Unterrichtsbeginn, ob er meine Hausaufgaben abschreiben könne und meine Zusammenfassungen zu ganzen Fächern kopieren dürfte. In Letzter Zeit vergaß er selbst dies. Seine Noten verschlechtern sich von Prüfung zu Prüfung. Höchstwahrscheinlich wird es nicht allzu lange dauern, bis er vom Gymnasium fliegt. Ich könnte ihn umstimmen, andererseits wollte ich in kein Risiko hineingezogen werden. Ich wollte nicht an seiner Seele rütteln, in der Angst auf ein tiefliegendes Problem zu stoßen, welches ich nicht betrachten wollte. Ich sollte für ihn da sein, dies wusste ich. Stattdessen lief ich unter den Sommersonnenstrahlen durch den Park, während er in einem Kasino saß und sein Hab und Gut verspielte. Aidan – Ich konnte ihm nicht helfen.

Die Windbriese brachte die Blätterkrone der Bäume zum Rascheln, den Ästen entlockte er ein leises Knacken und mir ein wohliges Seufzen. Es war ruhig und ich genoss die Stille ohne Aidan. Auf einmal spürte ich es, die Abneigung gegen ihn. Ich verweigerte den Gedanken nun nicht mehr, dass er lediglich eine Klette für mich gewesen war. Er brauchte mich, ich seine Anwesenheit jedoch nicht.

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, verbannte ihn aus meinen Gedanken, verbannte seine Existenz aus meinen Erinnerungen. Er hatte Raven Unrecht getan, sie beschuldigt und dafür verabscheute ich ihn.

Ich war nur hier, wegen ihr. Gestern hatte ich sie in diesem unscheinbaren Park erblickt und heute sah ich sie wieder. Raven saß mitten auf der Wiese, um sie herum sprossen die saftgrünen Halme und um sie entstand ein Farbenspiel aus den bunten Blütenblätter der Blumen. Der Wind spielte mit ihrem langen Haar. Sie streckte die Hand langsam aus, als ein farbenprachttragender Schmetterling fröhlich und sorglos um sie herumflatterte. Er landete zart auf ihrer Hand, die wunderschön gemusterten Flügel ausgebreitet, uns beiden Anwesenden präsentierend.

Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen, ein glückliches, wundervolles Lächeln. Raven klang so dunkel, doch sie schien es in diesem Augenblick nicht zu sein. Ein Licht breitete sich in ihrem finsteren Horizont aus, verdrängte die Schwärze für einen Augenblick. Der Schmetterling war die Sonne und sie das Mondlicht, sie war Moon.


Schmetterlinge über ihren Augen, die Sicht von deren zarten, weißen Flügel verdeckt. Ich strecke die Hand aus, greife in die kalte Finsternis, denn hinter den eisigen Gitterstäben können sie mich nicht sehen.

Bunte Schmetterlinge flattern unter den warmen Sommersonnenstrahlen über die langen Grashalme hinweg.

Ich bleibe zurück, im Kokon der Hoffnungslosigkeit. Ich kann nicht schlüpfen, mich von diesen Qualen befreien.

Unter dem fahlen Mondlicht, mitten in der leeren Schwärze, schweben weiße Schmetterlinge federleicht, schwerelos.

Ich befinde mich inmitten ebendieser, in der Unendlichkeit eingesperrt. Die Endlosschleife in Form von eisernen Ketten um meine schwache Gestalt gelegt.

Mir ist bewusst, nur ich alleine kann mich befreien, jedoch suche ich noch immer vergeblich nach dem Schlüssel.


Rabenschwarz - Die Existenz von NiemandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt