Neunzehn

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Ich hatte die lieblange Nacht kein Auge zugekriegt. Ich hatte dagelegen, die Decke angeschwiegen und mich dafür verabscheut, dass ich Raven im Stich gelassen hatte.

Der ganze Abscheu hatte niemals Aidan gegolten, sondern mir selbst, dies sah ich nun ein.

Nun saß ich da, im Klassenzimmer an meinem Platz. Die Schüler redeten wild durcheinander, deren Gespräche ich nicht folgen konnte. Lediglich die Wortfetzen zerrissen meine Gedanken, die ich versuchte zu halten. In meinem Kopf ließen sich keine klaren Sätze mehr bilden.

Der Lehrer trat ein, die Schüler huschten artig zu ihren Plätzen und widmeten ihm die volle Aufmerksamkeit. Beinahe schien es mir, als würden sie alle auf eine Verkündung warten, als wäre ich nicht der Einzige, der davon wusste.

Bedrücken beherrschte die Gesichtszüge des Lehrers. Es traf ihn nicht tief, es nahm ihn lediglich ein bisschen mit.

„Es ist etwas vorgefallen", setzte er stockend an. Seine Finger krallten sich in die Henkel seiner Tasche, jene er bislang nicht abgelegt hatte. „Lilith hat sich letzte Nacht bedauerlicherweise das Leben genommen."

Ein Schwert wurde mir durch die Rippen gestoßen, mitten in mein Herz gestochen und ganz durch mich hindurch. Es zerriss mich, biss, brannte und stach. In mir zog sich alles zusammen, meine Gefühle schmolzen wie Wachs miteinander zusammen, meine Gedanken brachen komplett. Ich lag in den Trümmern meiner einst so heilen Welt.

Lilith, hieß sie. Raven hatte so viel besser zu ihr gepasst. Mysteriös wie ein Rabe und Besitzer von wunderschönen großen Schwingen. Sie war in Allem was sie tat wunderschön. Ich hatte sie so sehr geliebt, liebte sie noch immer unsterblich.

Ich hatte es zugelassen, ihr wortlos den Rücken zugedreht und sie sterben lassen. Ich war ein Scheusal, eine ekelhafte Person, die früher oder später von jedem verlassen wurde.

Ich hatte es lange nicht eingesehen, hatte lange nicht gemerkt, dass ich keine Sonne war. Mir hätte klar sein müssen, was geschieht, wenn zwei Monde zusammen zu strahlen versuchen. Sie verkümmern beide, werden unscheinbar, werden zu niemandem.


Schwarze Dornen geziert von Rosenrot,

ständig blieb der Gedanke an den Tod.

Was blieb, was war, verschwand so schnell.

Der Schmerz, der hängte mich, schien viel zu grell.

Rosenblätter trieben zart im Winde, ein ständiges auf und ab.

So wie es uns das Leben spielen mag,

lässt es uns in die Tiefe sinken

und in die Höhe steigen, wie jenes Blütenblatt.

Das Pfeifen des Windes verhallte, die Zeit blieb stehen.

Der einst klare Weg zertrümmert, kein Grund weiterzugehen.

So sank ich kraftlos auf die Knie nieder.

Aufstehen? Niemals wieder.

Der Entschluss war gefasst, die Gedanken stets da wo sie nicht sein sollten.

Ich habe versucht zu unterdrücken, welch Gefühle mich in Wasser tränkten,

doch drängten sie sich vor, haben nicht hören wollen.

Das Ende ist erreicht, das Happyend weit in der Ferne,

durch den Tunnel der Hoffnung zu erblicken.

Selbst mit einem Lächeln auf den Lippen,

die Freude präsentierend, machte die Hoffnungslosigkeit mich zunichte.

Glücklich, das war ich bloß für den Moment.

Mit meinem Leben habe ich abgeschlossen – schon längst.

Ich wusste, es wird euch keineswegs gefallen, dennoch wagte ich dies.

Mit diesem Wissen, schloss ich meine Augen,

so sollen meine letzten Worte in Poesie verhallen.

Danke, Jona.

*


Rabenschwarz - Die Existenz von NiemandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt