"Fangen wir doch mit dem Kuss an"

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In Shorts und Shirt saß in auf meinem Bett und las ein Buch, das ich aus der Bibliothek hatte mitgehen lassen. Ich blätterte gerade die Seite um als es an meiner Türe klopfte. Die Uhr zeigte bereits nach Mitternacht. Wer war denn jetzt noch unterwegs?
„Herein?" rief ich unsicher und beobachtete kurz darauf wie die Türklinke herabgedrückt wurde.
„Du bist noch wach, wie schön." Lächelte Marcus und betrat mein Zimmer mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern. Er trug eine Stoffhose und ein Shirt. Auf seiner Nase saß eine schwarze Brille, durch dir er mich mit seinem Blick erfasste. War er nicht bei Marie gewesen?
„Ich konnte nicht schlafen." Seufzte ich und schlug das Buch zu, sicherlich würde er sobald nicht verschwinden. Das war ich ihm schuldig nach der Ohrfeige, die nach wie vor seine Haut immer noch leicht errötete.
„Das liegt aber doch nicht an dem Film oder?" forschte er mit einer hochgezogenen Augenbraue nach und ließ die Türe hinter sich zu fallen.
Ich schüttelte den Kopf: "Nein den kannte ich ja bereits!"
„Was ist es dann, das dich nicht schlafen lässt?" Seine Art wie er auftrat, gab mir das Gefühl, dass er sich wirklich für meine Belange interessierte. Ich zog die Beine heran und umschlang diese mit meinen Armen, während ich mein Kinn auf meinen Knien positionierte und meinen Gast dabei zuschaute wie er die beiden Gläser mit der roten, alkoholhaltigen Flüssigkeit befüllte.
„Ich denke es liegt an dem heutigen Tag, das mit Lolli..."
„Du meinst Glory!" verbesserte er mich. Gut, ich hatte mir schon gedacht, dass sie nicht wirklich Lollie hieß hatte es aber auch nicht hinterfragt. Es war doch eh irrelevant sie war nicht mehr da.
„Ja!"
„Das was heute passiert ist, ist furchtbar gewesen. Rick hat seine Tabletten nicht geschluckt und der Pfleger hat es nicht bemerkt." Er drehte sich mit den Gefäßen um und kam auf mich zu. Er nahm vor mir auf der Bettkante Platz und reichte mir, das für mich bestimmte Glas. Ich nahm dieses dankend entgegen und führte die bittere Flüssigkeit an meine Lippen.
„Es war ein Unfall."
„Ja wahrscheinlich hast du Recht!" Ich wusste eine Entschuldigung wollte er nicht hören und er hatte sie ja nicht mal angenommen aber etwas in mir wollte, dass er mir verzieh und mir auch genau das zeigte.
„Marcus ich weiß, du willst es nicht hören aber es tut mir leid. Ich habe die Situation wirklich nicht richtig überblickt und mich von der falschen Darstellung leiten lassen!" sprudelte es aus mir heraus nachdem ich einen Schluck des Weines genommen hatte. Er hörte mir zu während er ebenfalls einen Schluck nahm und mich mit seinem ruhigen Blick ansah.
„Ich weiß! Wie bereits gesagt, es ist ok!"
„Es tut mir auch leid, dass ich dich falsch eingeschätzt habe." Mir ging der Abend durch den Sinn, er war die ganze Zeit über aufmerksam und liebevoll zu seinen Schützlingen. Er war zu ihnen wie Nicholas zu mir einst war. Ich biss mir auf die Lippe.
„Du denkst an ihn richtig?" Ich schüttelte schnell den Kopf, jedes Wort über ihn war schließlich verboten.
„Es ist dir nicht zu verübeln das Stockholm Syndrom ist eine ernst zu nehmende Krankheit, die wir jedoch gemeinsam geheilt bekommen." Ein Lächeln unterstrich seinen Optimismus.
„Fangen wir direkt mal an, erzähl mir was von dir. Bis auf deinen gesundheitlichen Zustand weiß ich so gut wie gar nichts über dich." Diese Aufforderung verwunderte mich und das schien er auch zu erkennen. Ein Lachen kam über seine Lippen. „So irritiert?" Ich nickte nur und nahm einen Schluck.
„Ok, ich bin die Tochter eines Architekten und einer Kindergärtnerin. Ich habe eine größere und eine kleinere Schwester und einen Hund. Ich liebe es zu lesen und zu reiten."
„Wie hat das mit Nicholas angefangen?" forschte er weiter und offenbarte mir den wahren Grund dieser Aufforderung.
„Ich wurde beobachtet und verfolgt es hat mir nur niemand geglaubt... Es ging soweit, dass sich meine Freunde von mir abgewandt hatten und mich für verrückt hielten. Dann folgte der Unfall und ich wachte bei ihm auf!"
„Bereits da hatte ich dich schon kennengelernt." Teilte er mir beiläufig mit.
„Wann?"
„Als du das erste Mal aufgewacht bist." Ich versuchte mich daran zu erinnern und wenn ich nicht ganz falsch lag hatte er Recht.
„Ich war unterstützend tätig und hatte während es Ausfalls des anderen Arztes die Aufgaben übernommen!"
„Warum hast du mich nicht bereits zu diesem Zeitpunkt rausgeholt?" fragte ich umgehend und setzte mich in den Schneidersitz.
„Wie sollte das denn gehen? Du warst ans Bett gefesselt. Ein Transport wäre lebensgefährlich und unverantwortlich gewesen!"
„Warum hat Nicholas mich ausgesucht? Was wollte er mit mir?" Marcus wandte seinen Blick ab und führte das Glas an seine Lippen. Ich konnte beobachten, wie die rote Flüssigkeit in seinen Mund floss. Er wollte mir nicht antworten.
„Manche Sachen sind nicht mehr von Bedeutung...!"
„Für mich schon!"
„Ich habe meinem Freund, das Mädchen weggenommen da musst du nun etwas nachsichtig mit mir sein. Ich kann dir nicht alles erzählen!"
„Gut eine andere Frage." Ob diese ihm besser gefiel glaubte ich kaum.
„Hat er bereits nach mir gesucht?"
„Meinst du ob er sich bei mir gemeldet hat?"
„Ja!"
„Er hat mich angerufen und mir davon berichtet mehr aber auch nicht. In seine kleinen Machenschaften bin ich nur bedingt eingebunden!" erklärte der Mann vor mir und lehnte sich nach hinten. Er stützte sich mit einem Arm ab und drehte den Kopf wieder zu mir.
„Noch mehr Fragen?"
„Werde ich ihn vergessen?" flüsterte ich und schluckte bei der Frage. Ich war mir nicht im Klaren ob ich das wollte aber es war eine Notwendigkeit. Wie sollte ich unbeschwert mein Leben leben, wenn er in meinem Kopf rumspuckte? Marcus legte den Kopf leicht schief und sah mich direkt an.
„Das liegt alles an dir, wenn du dir selber die Chance gibst ihn zu vergessen wirst du es tun. Es ist nur notwendig, dass du die Schritte gehst die dich dort hinführen!"
„Welche Schritte sind es?"
„Wir könnten klein anfangen lass dich auf etwas Neuem ein. Lass dich auf mich ein!" antwortet Marcus leise.
„Wie soll das gehen?"
„Wir könnten sofort damit anfangen, du musst das Vergessen was dir gefallen hat und dich darauf konzentrieren was dir nicht gefallen hat!"
„Ich mochte sein Lächeln, seine Stimme, sein wahres Ich, das er mir erst zum Schluss offenbart hatte... ich mochte seine Küsse." Sagte ich leise kaum hörbar. Es war mir unangenehm aber sie hatten sich in mein Unterbewusstsein eingeschlichen und dort manifestiert.
„Fangen wir doch mit dem Kuss an!" er sagte dies so als könnte man diese Idee als eine rein psychologische Methode handhaben, die zum Standard gehörte.
„Was meinst du?" fragte ich nach obwohl ich ahnte was nun kommen würde.
„Küss mich!" fordertet Marcus flüsternd.
War ich es ihm nicht sogar schuldig, mich ein wenig zu öffnen? Er lag da den Oberkörper leicht aufgerichtet und sah mich fordernd an. Ich stellte das Glas auf den Nachtisch neben mich und wandte mich wieder an den Älteren, der mich gespannt musterte. Ich löste meinen Schneidersitz und ließ mich auf die Knie nieder. Ich war nun ein Kopf größer als er und beugte mit mich Herzklopfen zu ihm herab. Meine Hände, die bereits in wenigen Sekunden angefangen hatten zu schwitzen umfassten den Bügel seiner Brille und nahmen sie von seinem markanten Gesicht. Mein Herz pochte mir bis zum Hals als ich meine Lippen auf die des mir immer noch Fremden legte. Er schmeckte bitter nach dem Wein, nach Kirsch-Menthol und erinnerte mich keineswegs an Nicholas. Ich spürte seinen Bart und wie er sich aufrichtete und mich ein wenig nach hinten drückte. Meine Lippen blieben auf seinen als er seine nun freie Hand in meinen Nacken legte und den Kuss erwiderte. Er öffnete seinen Mund ein wenig und ich tat es ihm gleich. Der zaghaft begonnene Kuss verwandelte sich schnell in eine kleine Explosion von Empfindungen. Ich legte alles rein, meine Wut, meine Trauer, meinen Schmerz und meine Sehnsucht. Als er sich mit mir dreht und ich auf dem Rücken lag, fuhren meine Arme beinahe automatisch in die Höhe und legten sich um den Nacken des mich küssenden. Er hatte die Kontrolle übernommen und führte mich ab jetzt durch diese Erfahrung mit ihm. Er presste mich in das Laken und ich spürte wie der Kuss mehr in ihm auslöste als bei mir. Seine Erektion war kaum zu ignorieren, als er zwischen meinen Beinen lag und mich weiter mit seinen Lippen liebkoste. Ich merkte, wie sich mein Brustkorb zusammenzog und ich kaum Luft bekam. Egal was ich gemacht hätte, ich konnte sie nicht aufhalten. Tränen bannten sich einen Weg über meine Wangen. Ich schluchzte in den Kuss auf, erst jetzt löst er sich von mir und sah mich überrascht an.
„Was ist los?" fragte er ruhig und strich mir mit einer Hand über mein Haar.
„Ich kann das nicht..." schluchze ich weiter und kniff die Augen zusammen. Marcus stieg von mir ab und legte sich neben mich. Ich drehte mich mit dem Oberkörper von ihm weg und starrte die Lampe auf dem Nachtisch an. Er fehlte mir so sehr, dass es mich bei den Gedanken ihn eines Tages zu vergessen zerriss.
Warum nur?

Stumm legte Marcus seine starken Arme um meinen Körper, der sich wie aus Blei anfühlte. Ich spürte nichts bis auf den Schmerz in meinem Herzen. Lange Zeit lagen wir so da, er hinter mir in seinen Armen gehüllt bis seine ausgestrahlte Ruhe auch mich langsam einnahm und mir erlaubte die Augen zu schließen. Ich würde einschlafen und wenn ich Glück hatte würde ich Nicholas wenigstens in meinen Träumen begegnen.

Sein Wort - Mein Gesetz (slow update / In der Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt