39. Kapitel

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Drei ganze Tage verbrachte ich damit, zu verarbeiten was passiert war.
Die ganze Zeit saß ich nur rum, aß, trank und schlief kaum.
Ein paar mal sah ich die Nachrichten.
Sie waren voll von Yifan. Oder Kris, wie sie ihn nannten.

Ich wollte mit ihm reden.
Nachdem ich zwei Stunden geschlafen hatte, stand ich auf, ging duschen und trank einen Kaffee.
Meine Augenringe versuchte ich so gut es ging mit Make-Up zu überschminken, was man nicht wirklich sah.
Mit leeren Augen starrte mein Spiegelbild mich an.
Meine Haare hingen mir in den Augen, aber ich machte mir nicht die Mühe sie wegzumachen.

Auf dem Weg zum Revier überlegte ich, was ich sagen wollte.
Dort angekommen, ging ich zu meinem Chef.
''Ah, Zitao, wie geht es Ihnen?'', fragte er und musterte mich. ''Naja.. ich seh schon. Sie können sich auch noch ein paar Tage frei nehmen. Sie sehen schlimm aus.''
''Nicht nötig'', lehnte ich ab. ''Aber ich würde gerne wissen, wo Wu Yifan ist und wie es weitergeht.''
''Er muss 8 Jahre ins Gefängnis. Danach ist er auf Bewährung. Die Strafe ist eigentlich zu milde, aber er hatte eine schwere Kindheit und Kontakt zu den falschen Menschen. Die Richter glauben, er bereut seine Taten aufrichtig und sie glauben ihm, dass er sich ändern will. Er hat Glück. Ich hoffe, er weiß das zu schätzen...''
Ich nickte nur leicht. ''Wo ist er genau?''
Er nannte mir den Ort und gab mir eine Nummer, dass ich einen Termin ausmachen konnte.
Sofort rief ich dort an und bekam noch einen Termin für heute. In genau zwei Stunden.
Meinem Chef sagte ich, dass ich nur noch heute frei nehmen würde und ging dann.

''Es... tut mir so Leid.''
Yifan hatte mich kein einziges mal angesehen. Die ganze Zeit starrte er auf seine Hände.
''Warum? Warum hast du das alles getan?'', wollte ich leise wissen.
''Ich kam da damals einfach so rein.. ich lernte diese Leute kennen. Sie waren cool, sie waren stark, keiner traute es sich, sich mit ihnen anzulegen. Ich wollte dazu gehören. Ich hatte niemanden. In der Schule lief es nicht gut. Ich habe keinen Schulabschluss und sie sagten mir, wenn ich Mordaufträge annahm und ausführte, müsste ich mir keine Sorgen um Geld machen. Damals spürte ich nichts. Ich empfand kein Mitleid, keine Schuld und keine Reue. Als ich dich kennenlernte, änderte sich das. Ich überlegte, was ich machen könnte. Ich wollte mich ändern, dass wir zusammen sein konnten. Doch dann... bekam ich den Auftrag dich zu töten. Mir blieb nichts anderes übrig, als die zwei zu töten.. du kanntest sie nicht. Sie waren gefährlich. Sie.. sie wollten dich töten. Ich nahm mir vor, keinen mehr zu töten. Und von mir aus sitze ich jetzt hier, aber Hauptsache, du lebst. Ich kann mich nicht oft genug entschuldigen... ich hätte damals gar nicht erst damit anfangen dürfen.. i-ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen... Durch den ganzen Scheiß habe ich dich verloren. Das ist das schlimmste... 8 Jahre hier sitzen ist nicht ansatzweise so schlimm. Ich weiß, dass du mich hasst und ich verstehe dich. Ich würde mich auch hassen.. nein, ich hasse mich bereits. Du bist alles für mich. Du hast mich verändert...''
Tränen liefen meine Wangen entlang und ich schloss meine Augen.
Ich liebte ihn noch. So sehr.
Aber was sollte ich tun?
Was konnte ich tun?
''Ich.. liebe einen Mörder.''
''Was..?''
Ich öffnete meine Augen und sah direkt in seine.
Seine Wangen waren nass und er sah so verletzlich und zerbrechlich aus.
Er sah so jung aus.
Ich hatte Mitleid mit ihm...
Warum? Ich müsste ihn hassen, ihn anschreien, ihn Vorwürfe machen.
Aber ich tat es nicht.
Ich spürte Mitleid in mir aufsteigen.
Ich konnte ihm einfach nicht böse sein. Egal wie sehr ich es wollte.
''Ich liebe einen Mörder'', wiederholte ich etwas lauter.
Verständnislos sah er mich an.
''Warum hasst du mich nicht? Warum schreist du mich nicht an? Warum machst du mich nicht fertig?''
''Ich weiß nicht... Ich kann einfach nicht. Was du getan hast, kann man nicht entschuldigen und es ist schrecklich. Du wirst es nie wieder gut machen können. Aber.. ich liebe dich immer noch. Ich kann zwar nicht vergessen, aber vergeben. Wir werden sehen, ob du in 8 Jahren wirklich anders bist.''
''Heißt das... d-du gibst mir noch eine.. Chance?'', fragte er leise und unsicher nach.
Leicht nickte ich. ''Sieht so aus.''
Ein ganz leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. ''Danke.. das habe ich echt nicht verdient, aber vielen Dank, Tao.''
''Ich denke, jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.''
Wir lächelten uns an.

''Ich vermisse dich..'', murmelte ich und legte meine Hand auf das Glas, was uns trennte.
''Ich dich auch..'', sagte er und legte seine Hand auch an die Scheibe.
Ich wollte ihn wirklich berühren..
Er seufzte. ''Wir werden uns erst in 8 Jahren wieder berühren können..''
''Vorfreude ist die schönste Freude, sagt man'', erwiderte ich unglücklich.
''Hm.. dem kann ich nicht so ganz zustimmen'', antwortete er leise.

''Aber Tao, versprich mir bitte eine Sache.''
''Hm?''
''An dem Abend.. du weißt schon.. es gibt einen anderen, einen neuen Auftragsmörder. Ich weiß nicht, ob sie ihn auf dich angesetzt haben, bevor ich sie.. ge-getötet habe, aber pass bitte auf dich auf. Halte dich da auf, wo viele Menschen sind. Geh abends nicht alleine raus, schließ immer deine Wohnung ab. Und sag am besten jemandem Bescheid, wenn du irgendwo hingehst, ja? Bitte versprich mir nur das.'' Sein Blick war flehend.
Etwas überforder nickte ich.
War mein Leben in Gefahr?
Erleichtert atmete er aus. ''Danke.''

''Wu Yifan! Ihre Zeit ist vorbei.''
Traurig sahen wir uns an.
''K-Kommst du.. wieder?'', fragte er leise.
Leicht lächelnd nickte ich. ''Jeden Tag.''
Auch er lächelte. ''Ich liebe dich.''
''Ich liebe dich auch, Yifan'', antwortete ich leise. Dann sah ich zu, wie er aufstand und von einem Beamten zu seiner Zelle gebracht wurde.
Ich senkte den Blick und wischte schnell die Tränen weg, die meine Wangen hinunterliefen.
Sei stark, Tao, es hätte schlimmer kommen können, dachte ich traurig.

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I love a murderer | TaoRis FF (ABGESCHLOSSEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt