4. Ablenkung

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Der Entschluss war verrückt, aber irgendwie auch befreiend. Als ich am nächsten Tag in die Cafeteria kam, setzte ich mich, ohne darüber nachzudenken, auf den freien Platz gegenüber von Jimin. In seiner Nähe zu sein, kam mir ganz natürlich und leicht vor. Abgesehen von den ungläubigen Blicken der gesamten Studentenschaft und sogar einiger Profis schien er meine Gegenwart zu genießen.

»Lernen wir heute zusammen, oder was?«
»Wir lernen«, sagte er ungerührt.
Das einzige Negative daran, nur als guter Freund mit ihm zusammen zu sein, war, dass ich ihn immer mehr mochte, je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte. Es wurde immer schwerer, die Farbe und Form seiner Augen zu vergessen, den Geruch der Lotion auf seiner Haut. Außerdem fiel mir immer mehr an ihm auf - welch muskulösen Beine er hatte, welche Farben er am häufigsten trug. Ich konnte sogar gleich sagen, ob er schlecht gelaunt war oder nicht. Er ließ es nicht direkt raus. Das Einzige, was ihn wirklich zu nerven schien, waren die gelegentlichen Fragen nach unserem Verhältnis.

Je mehr Zeit verging, desto weniger wurde spekuliert. Wir aßen fast täglich zusammen Mittag, und an den Abenden, an denen wir lernten, führte ich ihn zum Essen aus. Yoongi und Taehyung luden uns einmal ins Kino ein. Es war nie peinlich, nie stellte sich die Frage, ob wir mehr seien als nur gute Freunde. Ich war mir nicht sicher, wie ich dazu stand, vor allem weil mein Entschluss, ihm nicht auf die übliche Weise nachzustellen, mich davon abhielt, mir auszumalen, wie ich ihn auf meiner Couch zum Stöhnen bringen könnte. Doch eines Abends beobachtete ich ihn und Taehyung, wie sie sich in meiner Wohnung kitzelten und rangelten, da stellte ich mir Jimin in meinem Bett vor.

Ich musste ihn aus dem Kopf kriegen.
Das einzige Heilmittel würde sein, solange nicht an ihn zu denken, bis ich meine nächste Eroberung sicher hatte.
Ein paar Tage danach fiel mir ein vertrautes Gesicht ins Auge. Ich hatte ihn früher zusammen mit Janet Littleton gesehen. Mingyu war ziemlich scharf, versäumte keine Gelegenheit, extrem enge Hosen zu tragen und tönte gern davon, wie sehr er mich verabscheute. Zum Glück brauchte ich gerade mal dreißig Minuten und eine unverbindliche Einladung ins Red, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Ich hatte die Wohnungstür kaum zugemacht, da ging er mir auch schon an die Wäsche.
So viel zu der großen Abscheu, die er seit den vergangenem Jahr gegen mich hegte. Er ging mit einem Lächeln auf dem Gesicht und Enttäuschung im Blick.

Ich musste immer noch an Jimin denken.
Nicht einmal die typische Müdigkeit nach dem Orgasmus half etwas, und noch dazu verspürte ich etwas Neues: Schuld.

•••

Am nächsten Tag beeilte ich mich in den Geschichtskurs und rutschte sofort in die Bank neben Jimin. Er hatte schon seinen Laptop und sein Buch ausgepackt und beachtete mich kaum.

Der Klassenraum war dunkler als sonst. Die Wolken draußen dämpften das durch die Fenster einfallende Licht. Ich stupste seinen Arm an, aber er reagierte nicht so wie sonst.
Also nahm ich ihm den Stift aus der Hand und bagann, damit die Randspalten der Blätter zu bekritzeln. Hauptsächlich mit Tattoos, aber ich schrieb auch seinen Namen in einer coolen Schrift. Endlich spähte er mit einem wohlwollenden Lächeln zu mir.

Ich beugte mich zu ihm und flüsterte: »Hast du Lust, heute irgendwo anders als auf dem Campus Mittag zu essen?«
»Kann nicht«, hauchte er zurück.
Ich kritzelte in sein Heft.

Warum?

Ich lege Wer auf eine ausgewogene Ernährung.

Das ist nicht dein Ernst.

Mein voller Ernst.

Ich hätte gern dagegengehalten, aber auf der Seite ging uns der Platz aus.

Na schön. Also noch ein Rätsel-Menü. Kann's kaum erwarten.

Loving Disaster | JikookWhere stories live. Discover now