24. Vergessen

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»Kai ruft schon wieder an! Geh doch endlich an dein verdammtes Handy!«, brüllte Yoongi aus dem Wohnzimmer.
Mein Handy lag jetzt immer oben auf dem Fernseher. Das war der von meinem Zimmer am wenigsten entfernte Ort in der Wohnung.

Während der ersten quälenden Tage ohne Jimin hatte ich es ins Handschuhfach des Chargers weggesperrt. Yoongi brachte es von dort herein und argumentierte, ich müsse es, für den Fall, dass mein Dad anriefe, in der Wohnung haben. Da musste ich ihm recht geben, aber dafür lag es nun eben auf dem Fernseher. Sonst hätte mich das Verlangen, damit Jimin anzurufen wahnsinnig gemacht.

»Jungkook! Dein Handy!«
Ich starrte an die Zinnerdecke znd war dankbar dafür, dass meine anderen Brüder es begriffen hatten. Nur Kai ärgerlicherweise nicht. Er sorgte dafür, dass ich abends entweder beschäftigt oder betrunken war. Noch dazu fühlte er sich anscheinend verpflichtet, mich auch in jeder seiner Pause von der Arbeit aus anzurufen. Ich fühlte mich wie unter Beobachtung der Jeon-Selbstmord-Prävention.

Nach den zweieinhalb Wochen der Winterferien wurde aus dem Verlangen, Jimin anzurufen, ein ständiges Bedürfnis. Mein Handy auch nur anzufassen war nach wie vor eine schlechte Idee.

Yoongi stieß die Tür auf und warf den kleinen schwarzen Quader herein. Er landete auf meiner Brust.
»Mein Gott, Yoongs. Ich hab dir doch schon gesagt-«
»Ich weiß, was du gesagt hast. Du hast achtzehn verpasste Anrufe.«
»Alle von Kai?«
»Einer ist von den Anonymen Transvestiten.«
Ich pflückte das Handy von mir herunter, streckte den Arm aus und ließ es auf den Boden fallen. »Ich brauche einen Drink.«
»Du brauchst eine Dusche. Du stinkst. Außerdem musst du dir deine verdammten Zähne putzen, dich rasieren und Deo auftragen.«
Ich setzte mich auf. »Du redest Müll, Yoongs. Aber irgendwie erinnere ich mich dunkel, dass ich nach Jaebum ganze drei Monate lang deine Wäsche gemacht und Suppe für dich gekocht habe.«
Er schnaubte. »Zumindest habe ich mir die Zähne geputzt.«
»Du musst wieder einen Kampf für mich organisieren«, sagte ich und ließ mich auf die Matratze zurückfallen.
»Du hattest doch erst vor zwei Tagen einen und einen in der Woche davor. Wegen der Ferien war der Zulauf mager. Jackson will keinen neuen ansetzten, bevor die Ferien nicht vorbei sind.«
»Dann organisier jemanden von den Einheimischen.«
»Zu riskant.«
»Ruf Jackson an, Yoongi.«

Yoongi trat neben mein Bett, hob das Handy auf, tippte ein paar mal und warf mir das Gerät wieder auf den Bauch.
»Ruf ihn selber an.«
Ich hielt das Handy an mein Ohr.

»Hosenscheißer! Was war los mit dir? Warum gehst du nicht an dein Handy? Ich will heute Abend ausgehen!«, meldete sich Kai.
Ich starrte böse auf den Hinterkopf meines Cousins, doch Yoongi verließ das Zimmer, ohne sich umzudrehen.

»Mir ist nicht danach, Kai. Ruf doch Jisoo an.«
»Die ist Barfrau. Und wir haben Silvester. Wir können sie aber besuchen gehen! Außer du hast andere Pläne...«
»Nein. Ich habe keine anderen Pläne.«
»Du willst also nur rumliegen und aufs Sterben warten?«
»So ungefähr.« Ich seufzte.
»Jungkook, Brüderchen, ich hab dich lieb, aber du bist echt so ein Schlappschwanz. Er war die Liebe deines Lebens. Das hab ich kapiert. Das ist scheiße. Weismß ich. Aber ob's dir passt oder nicht, das Leben geht weiter.«
»Danke sehr, du Hobbypsychologe.«
»Du bist nicht mal alt genug, um überhaupt zu wissen, wer das ist.«
»Namjoon hat uns die Wiederholungen anschauen lassen, weißt du nicht mehr?«
»Nein. Hör zu. Ich komme hier um neun weg. Und um zehn hole ich dich ab. Wenn du dann nicht angezogen und fertig und damit meine ich: geduscht und rasiert bist, rufe ich eine Menge Leute an und erzähle ihnen, dass in deiner Wohnung eine Party mit sechs Fässern Freibier und lauter Nutten steigt.«
»Verdammt, Kai, tu das bloß nicht.«
»Du weißt, dass ich es tue. Letzte Warnung. Zehn Uhr, sonst hast du ab elf Gäste. Und zwar von der hässlichen Sorte.«
Ich stöhnte. »Verdammt, ich hasse dich.«
»Nein, tust du nicht. Man sieht sich in neunzig Minuten.«
Ich hörte es knirschen, bevor die Leitung unterbrochen war. So, wie ich Kai kannte, hatte er wahrscheinlich aus dem Büro seines Chefs angerufen. Gemütlich zurückgelehnt und mit den Füßen auf dem Tisch.

Loving Disaster | JikookWhere stories live. Discover now