17. Rote Warnleuchten

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Die Harley brachte uns an keinen bestimmten Ort. Auf den Verkehr und die gelegentlichen Polizeistreifen zu achten, denen wir begegneten, genügte anfangs, um meine Gedanken zu beschäftigen. Doch nach einer Weile waren wir die Einzigen, die noch auf den Straßen unterwegs waren. Weil ich wusste, dass die Nacht irgendwann enden würde, beschloss ich, in dem Moment, wenn ich ihn im Studentenwohnheim absetzte, meinen allerletzten Versuch zu wagen. Unsere platonischen Bowlingverabredungen spielten keine Rolle, wenn er sich weiter mit Taemin traf, würden wahrscheinlich auch die irgendwann aufhören. Alles würde aufhören.

Jimin Druck zu machen, das war nie eine gute Idee, aber wenn ich nicht alle meine Karten auf den Tisch legte, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich das einzige Kitten verlieren würde, das mir je begegnet war. Immer wieder spielte ich in meinem Kopf durch, was ich sagen würde und wie. Es musste ganz explizit sein, sodas er es nicht ignorieren oder so tun konnte, als habe er mich nicht gehört oder nicht verstanden.

Die Nadel der Tankanzeige stand schon mehrere Meilen fast auf Null, also bog ich in die erste offene Tankstelle ein, an der wir vorbeikommen.
»Möchtest du irgendwas?«, fragte ich.
Jimin schüttelte den Kopf und stieg von der Maschine. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar und lächelte verlegen.
»Lass das. Du siehst verdammt schön aus so.«
»Wie aus einem Rockmusikvideo der Achtziger.«
Ich lachte und gähnte dann, während ich den Stutzen in den Tank der Harley steckte.
Jimin holte sein Handy raus, um nach der Uhrzeit zu sehen.
»Oh mein Gott, Kook. Es ist drei Uhr morgens.«
»Möchtest du zurück?«, fragte ich mit einem flauen Gefühl.
»Das sollten wir wohl besser.«
»Bleibt es beim Bowling heute Abend?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Und du gehst auch mit mir zur Sig-Tau-Party in ein paar Wochen, ja?«
»Willst du andeuten, dass ich meine Versprechen nicht halte? Ich finde das ein bisschen kränkend.«

Ich zog den Stutzen aus dem Tank und hängte ihn zurück an die Zapfsäule. »Ich weiß nur einfach nicht mehr, was du vorhast.«
Ich stieg auf mein Bike und half Jimin, sich hinter mich zu setzten. Diesmal schlang er ganz von allein die Arme um mich, und ich seufzte gedankenverloren, bevor ich den Motor anließ.
Ich packte den Lenker fester, holte tief Luft, und gerade als ich den Mut gefunden hatte, es ihm zu sagen, befand ich, dass eine Tankstelle doch nicht ganz der richtige Ort für meinen Seelenstriptease war.

»Du bist mir wichtig, weißt du«, sagte Jimin und drückte mich.
»Ich begreife dich nicht, Kitten. Ich dachte, ich würde die Kerle kennen, aber du machst mich so verdammt konfus, dass ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist.«
»Ich begreife dich auch nicht. Du solltest doch der Frauen/Männerschwarm schlechthin an der Eastern sein. Und jetzt mache ich nicht die typischen Erstsemester-Erfahrungen, die mir in der Broschüre versprochen wurden.«
Ich konnte nicht anders, als mich gekränkt zu fühlen. Auch wenn es stimmte. »Also, das ist wirklich ein erstes Mal. Ich hatte noch nie einen Typen, der mit mir geschlafen hat, um mich dazu zu bringen, ihn in Ruhe zu lassen.«
»So war das nicht gemeint, Jungkook.«

Ich fuhr los und bog ohne ein weiteres Wort wieder in die Straße ein. Die Fahrt zum Wohnheim war eine Qual. In meinem Kopf überlegte ich permanent hin und her, ob ich Jimin vor die Wahl stellen sollte oder nicht. Obwohl meine Finger von der Kälte schon ganz taub waren, fuhr ich langsam, weil ich mich vor dem Moment fürchtete, wenn Jimin alles wüsste und mich endgültig zurückweisen würde.

Als wir vor dem Eingang des Wohnheimes hielten, fühlten sich meine Nerven an wie zerschnitten, angezündet und geschunden liegengelassen. Jimin stieg ab, und seine traurige Miene ließ die unterdrückte Panik in mir weiter wachsen. Vielleicht schickte er mich gleich zum Teufel, bevor ich noch die Gelegenheit hatte, irgendwas zu sagen.

Ich begleitete Jimin zur Tür, und er holte mit gesenktem Kopf seine Schlüssel aus der Tasche. Unfähig, auch nur eine Sekunde länger zu warten, umfasste ich sanft sein Kinn, hob es an und wartete geduldig, bis er mir in die Augen sah.
»Hat er dich geküsst?«, fragte ich und strich mit dem Daumen über seine weichen, vollen Lippen.
Er riss sich los. »Du verstehst es wirklich, einen perfekten Abend zu ruinieren, was?«
»Dann fandest du ihn also perfekt, hm? Bedeutet es, dass du es genossen hast?«
»Das tue ich immer, wenn ich mit dir zusammen bin.«
Ich schlug die Augen nieder und merkte, wie meine Miene sich verfinsterte. »Hat er dich geküsst?«
»Ja«, seufzte er genervt.
Ich schloss die Augen und war mir darüber im Klaren, dass meine nächste Frage ins Desaster führen konnte. »War das alles?«
»Das geht dich überhaupt nichts an!« Er riss die Tür auf.
Ich schob sie wieder zu und versperrte ihm den Weg. »Ich muss das wissen.«
»Nein, musst du nicht! Aus dem Weg, Jungkook!«
»Kitten...«
»Glaubst du, nur weil ich keine Jungfrau mehr bin, treibe ich es mit jedem, der mich will? Vielen Dank!« Er schubste mich beiseite.«
»Das habe ich nicht gesagt, verdammt! Aber ist es denn zu viel verlangt, dich um ein bisschen Seelenfrieden zu bitte ?«
»Warum würde es dir Seelenfrieden verschaffen, zu wissen, ob ich mit Taemin schlafe?«
»Wie kann es sein, dass du das nicht kapierst? Für jeden anderen außer dir ist das offensichtlich!«
»Dann bin ich anscheinend zu blöd dafür«, erwiederte er und packte den Türgriff.
Ich fasste ihn an den Schultern. Da war es schon wieder, dieses Ignorieren, an das ich inzwischen schon so gewöhnt war. Jetzt war es an der Zeit, meine Karten auf den Tisch zu legen.

Loving Disaster | JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt