Z W E I

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„Wie war dein Gespräch mit Ms Kane?", erkundigte sich Karen am Frühstückstisch bei mir, nachdem Claire dummerweise angefangen hatte, von der Schule zu reden. Ein Tritt unter dem Tisch war daher mehr als angebracht.

Unnötig, war mein erster Gedanke auf ihre Frage. Hätte ich ihn laut ausgesprochen, hätte ich jedoch riskiert einen Streit vom Zaun zu brechen, also sagte ich das, was Karen von mir hören wollte.

„Es war ganz okay. Sie möchte morgen nach der Schule noch einmal mit mir reden."

Karens Lippen formten sich zu einem zufriedenem Lächeln. „Es ist sicher nur von Vorteil, wenn du in der Schule eine Vertrauensperson hast."

„Vielleicht", murmelte ich nicht gerade überzeugt und widmete mich wieder meinem Marmeladenbrötchen. Damit war dieses sehr kurze Gespräch beendet. Während des restlichen Frühstücks, das die Familie (bis auf John, wenn er  auf der Arbeit war) auf Karens Wunsch gemeinsam zu sich nahm, blieb es still. Erst, als Karen uns darauf aufmerksam machte, dass es langsam Zeit für die Schule wurde, kehrte wieder etwas Leben ein.

Da Karen ihr Auto selbst brauchte, fuhr sie uns zur Schule und setzte uns dort mit dem gewohnten "Viel Spaß, ihr beiden"  ab. Entweder war meine Pflegemutter nie zur Schule gegangen oder sie hatte schlichtweg vergessen, dass man dort keinen Spaß haben konnte.

Erst recht, wenn die gesamte Schülerschaft über einen heimlich hinter dem Rücken lästerte. Nur, dass sie das mit dem heimlich nicht so gut hinbekamen.

„Du solltest drüber stehen", meinte Claire zu mir, als wir an einer Gruppe Jungs vorbeigingen, die lauthals grölten, wie geil sie meinen Arsch fänden. Als wären sie aus einem Zoo entflohene Gorillas.

„Oh ... ich stehe drüber", erwiderte ich, den Drang unterdrückend, mich einfach umzudrehen und diesen Idioten den Mittelfinger zu zeigen. „Solltest du dir jemals einen Freund zulegen, versprich mir, dass es einer ist, der einen gesunden Menschenverstand vorzeigen kann."

Claire fand meine Bitte zum Lachen komisch. „Ich kann dir nichts versprechen, aber ich gebe mir die größte Mühe, mir keinen Trottel zu angeln."  Falls sie die Zeit dafür überhaupt fand. Claire war mit ihren 15 Jahren fast nur mit Lernen beschäftigt.

Im Schulgebäude trennten sich unsere Wege schließlich und ich machte mich auf den Weg zu meiner ersten Stunde. Wenige Meter vom Biologieraum entfernt, legte plötzlich jemand schwunghaft seine Hände auf meine Schultern. Wäre nicht zeitgleich die vertraute Stimme meiner besten Freundin Penelope erklungen, hätte ich sicher ausgeholt und ihr aus dem Reflex heraus eine verpasst. Hatte sie mich immerhin fast zu Tode erschreckt.

„Man, Penny, kannst du mich nicht einfach begrüßen, wie normale Menschen es tun?"

„Tut mir leid, Süße, ich bin nicht normal, also nein."  Sie grinste mich liebevoll an. „Erzähl mal, wie war dein Wochenende?  Meines war totlangweilig, weil du nicht da warst."  Sie zog eine Schnute, was sicher bei jedem kindisch ausgesehen hätte, nicht aber bei Penelope.

„Wahrscheinlich war meines sogar langeweiliger als deines. Ich habe mich in meinem Zimmer verschanzt, um Karen aus dem Weg zu gehen", erzählte ich ihr und schaute mich kurz um, da wir noch immer im Flur standen, bevor ich weitersprach. „Du kennst Karen doch. Wenn es nach ihr ginge würde sie über die Sache mit Cam und Jasper solange mit mir reden, bis das Problem aus der Welt geschafft wäre."

„Apropo Jasper ... dein Noch-Freund hat mich gestern gefühlte hundert Mal angerufen."  Penny sagte noch etwas, doch alle weiteren Worte gingen unter dem lauten Gong unter.

„Wir reden in der Pause weiter, okay? Ich muss vor Mrs Young im Raum sein", kam es mir wenig begeistert über die Lippen. Cam hatte mir nicht nur unnötige Gespräche mit Ms Kane eingebracht, sondern auch jede Möglichkeit genommen, mir irgendein Fehlverhalten zu leisten.

„Okay, wir sehen uns später, Mel." Penny umarmte mich zum Abschied und machte sich anschließend auf den Weg zu ihrem eigenen Kurs. Zu meinem Leidwesen hatten sie und ich nur wenige gemeinsame Kurse. Dass ich während dem Unterricht trotzdem nicht vor Langeweile einging, verdankte ich Kevin. Dieser saß wie gewohnt an unserem Tisch in der letzten Reihe und wartete auf mich, als ich den Raum betrat. Auf dem Weg zu meinem Platz spürte ich regelrecht die gaffenden Blicke meiner männlichen Mitschüler. Wenigstens war von Mrs Young noch nichts zu sehen.

„Wenn du willst, kümmere ich mich um ein paar dieser Idioten", kam es von meinem besten Freund, kaum, dass ich mich gesetzt hatte.

„Mit denen komme ich auch ganz gut alleine klar", winkte ich ab und riskierte einen Blick nach vorne. Cameron saß in der ersten Reihe und, als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, drehte er sich nach hinten um. Ich erschrak ein wenig, als ich erkannte, was ich angestellt hatte. Als ich Cameron das letzte Mal gesehen hatte, hatte er eine große Klappe und anschließend eine blutige Nase gehabt. Nun bedeckte ein weißes Pflastergebilde diese und dunkle, blaue Schatten lagen unter seinen Augen.

Cameron sah nicht weg, dafür tat ich es. Ich strich mir gedankenverloren über die Knöchel meiner rechten Hand.

„Das weiß ich nur zu gut. Wie geht es eigentlich deiner Hand?", fragte mich Kevin und brachte mich damit wieder ins Hier und Jetzt.

„Sie tut kaum noch weh."  Nach dem Schlag hatte ich sie kaum bewegen können, mittlerweile war der Schmerz jedoch fast ganz verschwunden.

Als Mrs Young den Raum betrat, war ich seit Langem wieder froh, einen Lehrer zu sehen. Versprach dieser immerhin ein wenig Ablekung von meinem aufkommenden schlechten Gewissen.

***

„Denkst du nicht, es wäre besser, wenn ihr euch endlich mal aussprecht?", redete Penelope in der Mittagspause unermüdlich auf mich ein. Anstatt wie viele unserer Mitschüler in der stickigen Mensa zu sitzen, hatten wir drei - Penny, Kev und ich - uns hinter den Kunstkontainern niedergelassen. Hier hatte man für gewöhnlich seine Ruhe - sowohl von nervigen Schülern als auch Lehrern.

„Jasper klang gestern echt verzweifelt, weil du seit Tagen weder auf seine Anrufe noch Nachrichten reagierst."

„Nimmst du ihn etwa in Schutz?"  Ich sah sie bestürzt an.

„Natürlich tut sie das nicht", klinkte sich Kev ein. „Wir beide tun das nicht. Penny hat aber sicher nicht unrecht."

„Schau mal, Mel, du und Jasper seid fast zwei Jahre zusammen und, wenn ich eines weiß, ist, dass er dich geradezu vergöttert. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er mit Cam unter einem Hut steckt, was das Foto betrifft", gab mir Penelope zu bedenken.

Insgeheim wusste ich, dass sie recht hatte. Ein kleiner Teil konnte jedoch nicht vollständig an die Unschuld meines Freunds glauben. Jasper war einer der beliebtesten Jungen auf der Schule und hatte schon so manche dumme Sache angestellt. Zudem war er mit Cameron seit Beginn der High School eng befreundet. Mir wollte einfach nicht in den Kopf gehen, was ich getan hatte, dass Cameron mich derart bloß gestellt hatte. Noch weniger wollte mir in den Kopf gehen, dass mein Freund womöglich seine Finger im Spiel hatte. Allein der Gedanke brachte mich zum Erschaudern.

„Ich werde mich um ein Gespräch mit ihm nicht drücken können, was?", kamen die Worte mit einem tiefen Seufzen über meine Lippen.

Meine besten Freunde schüttelten beinahe synchron den Kopf.


Scherbenherz [TxS / GxG]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt