Kapitel 6

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Mein Bruder lächelte ein eiskaltes Lächeln: „Jetzt hab ich dich meine Liebe" Sein Fuß stand tatsächlich, wie ich vermutet hatte, auf dem Stoff meines Unterrockes, der ausgebreitet auf dem Flur, eine Stufe über mir, lag. Ich fing wieder an zu zittern und langsam protestierten meine Muskeln, ich konnte einfach nicht mehr. Ohne den Fuß von den Stoff zu nehmen, trat er noch näher an mich heran. Er schaute von oben auf mich herunter. Die Stoffe, auf denen er jetzt stand, würden nicht reißen, ich konnte nicht entkommen. Blitzschnell griff er nach meinem Arm und kam die Stufe zu mir runter. Sein Griff um meinen Oberarm war fest und schmerzte. Ich würde die Abdrücke seiner Finger wohl morgen als blaue Flecken sehen. An meinem Arm zog er mich die Stufe wieder hoch, zurück auf den Flur. Nach ein paar Schritten zerrte er mich in einen Gang, der nach rechts abbog. Den musste ich wohl bei meiner kopflosen Flucht übersehen haben. Als er mich in den nächsten Gang links und dann wieder nach rechts führte, merkte ich die Veränderung sofort.

Die Tapete war nun in einem dunklen Rot, die mit Goldfäden durchzogen war. Die Wandleuchter waren kunstvoll geformt. Die Decke zierten rundum kunstvolle Stuckleisten, die zudem in den Ecken kleine Bildchen von den personalisierten Jahreszeiten umrahmten. Dazwischen waren kleine Putten gemalt, die die unterschiedlichsten Instrumente spielten.

Wir mussten vor den Gemächern des Königs angekommen sein. Sebald stieß die große geschnitzte Holztür mit Goldbesatz am Ende des Ganges auf. Die schwere Tür schwang ohne ein Quietschen in den Raum dahinter auf. Ein Diener, der in der Mitte des Raumes stand, ließ vor Schreck den Stapel Wäsche fallen, mit dem er wohl gerade auf dem Weg zu den Wäscherinnen war. Schnell hatte er sich wieder gefangen: „Eure Majestät" sagte der Diener und verbeugte sich vor meinem Bruder. „Eure Hoheit" er verbeugte sich erneut, diesmal vor mir. „Kann ich meinen königlichen Herrschaften behilflich sein?" Mein Bruder sah seinen Diener mit einem vernichtenden Blick an, es gefiel ihm gar nicht, dass er hier war. Noch bevor er den Mund öffnen konnte um den Diener zweifellos brüllend aus dem Zimmer zu scheuchen, machte es in meinem Kopf 'Klick' und ich wusste, wie ich ihm entfliehen konnte. Ich war schon immer besser im Reden, als im Weglaufen. Also tat ich genau das. „Das ist doch ein sehr passender Zufall. Siehst du Bruder, so muss ich dich nicht länger aufhalten." Ich schaute in das verwirrte Gesicht meines Bruders, bevor ich mich an den Kammerdiener wandte: „Können sie mir nicht die Räume meines Bruders zeigen? Ich habe ihn schon ewig damit genervt, dass ich mir seine Vorhänge mal angucken möchte. Ich suche für mein Schlafzimmer neue, habe aber noch keine Idee, wie die aussehen sollen. Heute habe ich meinen Bruder endlich dazu gebracht, dass er sie mir zeigt, aber eigentlich muss er zurück zu den Fürsten, die im Herrenzimmer auf ihn warten. " Ich wandte mich wieder zurück und sah Sebald fest in seine Augen. Er hatte seine braunen Augen vollkommen verwirrt zusammengekniffen. „So fügt sich das doch alles bestens. Ihr könnt zurück zu den Herren gehen und mit Ihnen eine Zigarre rauchen und ich kann Euren Diener anstatt Euch nerven."Mein Bruder war komplett fassungslos und begriff die Situation, die ich gerade versuchte wieder selbst in die Hand zu nehmen, überhaupt nicht mehr. Daher reagierte er auch nicht, als ich mit schnellen Schritten den Raum durchmaß und zu den zwei übermannshohen Fenstern, durch die man nach draußen auf einen ziemlich großen Balkon gehen konnte, ging. Ich fasste in den Stoff der Gardinen, die rechts und links neben den Fenstern hingen. „Was für ein tolles Muster, aber Stoff ist mir etwas zu dunkel. Damit würde mein Zimmer etwas zu trostlos wirken. Ich brauche auf jeden Fall etwas Helleres." sagte ich, während ich über den dunkelblauen Stoff strich, auf den mit hellgrünen, hellroten und gelben Fäden ein verschlungenes Blumenmuster gestickt worden war. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Wenn mein Plan aufging, würde dem König jetzt nichts mehr einfallen, wie er den Diener wegschicken könnte, ohne dass dieser Gerüchte in Umlauf brachte, die mein Bruder nicht wollte. Dieser Diener war meine einzige Hoffnung auf Flucht. „Heb das endlich auf!" blaffte mein Bruder hinter mir den Diener an. Offenbar hatte er seine Stimme wiedergefunden, ich musste jetzt weiterreden und meinem Bruder keine andere Wahl lassen, als wieder zurück zu den Fürsten zu gehen. Ich hörte wie jemand hinter mir hastig auf dem Boden herumrutschte. „Diener?" rief ich den Kammerdiener zu mir. Er kam zu mir, die Armen wieder voller der Wäsche. „Leg die Wäsche zur Seite und führe mich in das nächste Zimmer. Ich beabsichtige, mir hier alle Vorhänge anzugucken." Der Diener gehorchte, legte die Wäsche auf den rot gepolsterten Stuhl rechts neben dem Fenster und lief weiter nach rechts um die Tür in den nächsten Raum aufzuhalten. Als ich schon fast durch die Tür war, wandte ich mich noch einmal zu meinem Bruder, der immer noch an der großen Eingangstür stand. „Ich wünsche Euch noch einen netten Abend, mein König, ich werde hier schon finden was ich suche. Macht Euch keine Sorgen." respektvoll neigte ich den Kopf und schenkte ihm ein breites Lächeln. Dann ging ich schnell in den nächsten Raum. So vor seinen Blicken geschützt ließ ich sofort das Lächeln fallen, länger hätte mein schauspielerisches Talent nicht gehalten.

Ich befand mich jetzt wohl in dem Arbeitszimmer meines Bruders. Hier gabes ein großes Fenster, welches auf den gleichen Balkon führte wie die anderen zwei. An der Wand rechts von der Tür stand ein Schreibtisch, der über und über mit Papieren bedeckt war. Die hintere Wand gegenüber vom Fenster und die Wand mir gegenüber waren mit Bücherregalen bedeckt, in denen ganz ordentlich tausende Bücher standen, die so neu aussahen, als ob er sie noch nie in seinem Leben angerührt hätte.

Ich wandte mich nach links zu dem Fenster und ging neben dem einen Vorhang in die Hocke. Während ich so tat, als würde ich mir den Stoff des Vorhangs angucken, horchte ich auf die Geräusche aus dem Nebenraum. Mein Bruder räusperte sich: „Die Fürsten verlangen gewiss schon nach meiner Anwesenheit. Bitte zeig meiner Schwester die Vorhänge." Der Diener, der vor der offenen Tür stand, durch die er mich gerade noch geleitet hatte, verbeugte sich. Ich hörte das Holz ächzend, als er die Tür öffnete. Dann fiel die Tür ins Schloss, mein Bruder war fort und der Diener kam zu mir in den Raum. Ich blieb stumm hocken und lauschte weiter. Ich konnte es noch nicht ganz glauben, dass ich es geschafft haben sollte. Es blieb alles still.



Unter der Haube goldenes HaarWhere stories live. Discover now