108. Kapitel - Nichts wird gut

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Die Erinnerung an die Nacht war zurück, noch bevor Sylvie versuchte, die Augen zu öffnen. Ihre Augenlider fühlten sich verschwollen an, sie waren verklebt und es schmerzte, sie freizurubbeln, damit sie auf ihr Handydisplay schauen konnte. Sie hatte einige verpasste Anrufe. Von Simon ... Verdammt, sie hatte doch mit ihm reden wollen. Dann auch noch von Vincent. Was konnte der jetzt wollen? War die Redaktionssitzung denn nicht erst morgen? Und von ihrer Mutter, der Anruf war erst vor wenigen Minuten gekommen.

Mit einem Ruck saß sie kerzengerade im Bett und sogleich drehte sich alles um sie herum. In ihrem Kopf, hinter ihren Augen pochte es immer noch. Sie würde sich gleich noch eine Kopfwehtablette holen, nicht dass das noch stärker wurde, das konnte sie jetzt überhaupt nicht brauchen.

Sie räusperte sich ein paar Mal, um ihre Stimme irgendwie wach zu kriegen, und wählte die Nummer ihrer Mutter.

„Gibt's was Neues?", fragte sie sofort, als diese sich meldete.

„Sylvie, ich wollte dich gerade erreichen. Hast du dich ein wenig ausruhen können?"

„Jetzt sag schon! Wie geht es Erik?", drängte sie.

„Sylvielein, du musst dir keine Sorgen machen. Er wurde gerade für die Operation abgeholt, in ein paar Stunden wissen wir mehr. Aber in der Broschüre, die wir bekommen haben steht auch, dass das Risiko verhältnismäßig ..."

„Ja, natürlich", unterbrach Sylvie sie ungeduldig. „Aber das hängt davon ab, wie sehr der Herzmuskel schon geschädigt ist, und wie schlimm es ist, hat uns Dr. Nørregard auch nicht genau sagen können." Was hatte es denn für einen Sinn, sich falsche Hoffnungen zu machen?

„Eben", sagte Magrethe. „Es gibt keinen Grund, das Schlimmste anzunehmen."

Sylvie seufzte, sagte aber nichts. Es war zwecklos und vermutlich auch grausam, ihrer Mutter jetzt mit vernünftigen Argumenten zu kommen.

„Sylvie, stört es dich, wenn wir zu dir kommen und uns bei dir inzwischen ein wenig ausruhen und frisch machen?"

„Nein, natürlich nicht." Warum fragte sie sowas überhaupt?

„Gut, das ist lieb von dir. Wir sind in einer halben Stunde da. Wir kommen zu Fuß. Jetzt brauchen wir beide einmal etwas frische Luft."

„Ist gut", sagte Sylvie. „Bis nachher." Damit legte sie auf. Sie suchte sich ihren Bademantel, und dabei fiel ihr Blick auf die andere zerwühlte Betthälfte. Karina. Sie hatte ihr gestern allen Ernstes ihren hysterischen Heulanfall, oder was auch immer das gewesen war, zugemutet. Karina hatte jetzt wohl auch frische Luft gebraucht. Ob sie vom Luftschnappen wieder zurückkehren würde? Sylvie hätte es zumindest nachvollziehen können, wäre Karina davongelaufen so schnell sie nur konnte.

Sylvie wollte sich am Liebsten sofort wieder im Bett vergraben, aber sie wusste, dass sie den Tatsachen auf diese Weise auch nicht entfliehen konnte. Außerdem brauchte sie jetzt dringend diese Kopfwehtablette und sie musste aufs Klo. Zudem würden in einer halben Stunde Mama und Jitka auf der Matte stehen. Sie wollte nicht ihnen auch noch so ein völliges Bild des Jammers bieten. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als aufzustehen und zu versuchen sich so gut es ging zu renovieren.

Als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete, war sie erst einmal erstaunt von Karina und Vincent angestarrt zu werden. Damit hatte sie jetzt überhaupt nicht gerechnet.

„Guten Morgen", brummte sie. „Vincent, was machst du hier?"

„Simon hat mich angerufen", sagte er.

„Simon?", sie rieb sich die Stirn. „Ja, den muss ich zurückrufen. Nachher." Es brachte sie immer noch etwas aus dem Konzept, dass Karina und Vincent hier in ihrem Wohnzimmer saßen und zusammen Tee tranken. Das musste sie erstmal auf sich wirken lassen.

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt