Ein altes Gesicht

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Einen kurzen Moment später hörte ich Jemanden an der Tür klopfen. Zögerlich stand ich auf und öffnete diese einen Spalt breit. Im Flur stand Aly, die mich stumm fragte, ob sie hineinkommen durfte. Als Antwort öffnete ich nur die Tür und fiel in ihre Arme. So standen wir eine ganze Weile, bis sie flüsterte, dass sie keine Luft mehr bekam und ich sie kichernd losgab. Wir setzten uns auf mein stöhnendes Bett und sagten nichts.

Ich spürte förmlich die Anspannung, die im Raum lag und sagte leise: „Warum habe ich so Pech mit Jungs?" Ich lachte gequält auf und sie schaute mich mitleidig an. Anschließend kam Cat ins Zimmer gestürmt und verkündete: „Liam ist weg, deine Granny hat ihn förmlich aus dem Haus gejagt!" Zumindest eine positive Nachricht. „Wer hat ihn überhaupt eingeladen?" Cat zögerte, bevor sie mir antwortete: „Er stand einfach vor der Tür und wollte mit dir reden. Rosalie hatte Mitleid mit ihm, und ihn dann rein gelassen." Ich war ein bisschen enttäuscht von Mom. Sie wusste genau, dass er der Grund für mein Auslandsjahr gewesen war, aber andererseits konnte sie niemanden lange böse sein. „Mit ihr habe ich wohl noch ein Hühnchen zu rupfen." Seufzend lies ich mich auf die weichen Laken zurückfallen und starrte meine Decke an, während ich mit meinen Gedanken abschweifte. Auf einmal fragte Aly zögerlich, weshalb ich denn so empfindlich reagiert habe. Sie dachten, ich hätte mein Selbstmitleid auf dem anderen Kontinent gelassen.

„Ich bin auch von ihm weg, aber ich hätte nie in Erwägung gezogen, ihn so schnell wiederzusehen. Ich dachte, ich hätte noch genug Zeit, bis ich wieder in diese verhängnisvollen Augen sehen müsste. Davor wollte ich mich vorbereiten, um ihn dann die kalte Schulter zeigen zu können. Aber nein, das Schicksal hat natürlich andere Pläne für mich." „Tja das Leben ist scheiße." sagte Aly und wir mussten alle über ihre Wortwahl grinsen, denn normalerweise war Aly Optimismus in Person.

Später schlenderte ich nach der Selbstbemitleidung in unsere Vintage-Küche, um noch mehr Sekt zu holen, als ich die Brünette von vorhin am Spülbecken wiedererkannte. Sie kam mir äußerst bekannt vor, aber ich hatte keinen blassen Schimmer woher.

„Ich weiß zwar nicht wer du bist, aber zum Spülen bist du sicherlich nicht eingeladen worden. Lass alles stehen, ich mach das nachher in Ruhe." Sie drehte sich um und ihre Haare fielen perfekt um ihr makelloses Gesicht. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, könnte man glatt denken, sie sei ein Engel. Doch bevor ich noch weiter überlegte, woher ich sie nur kennen könnte, sagte sie: „Wir kennen uns doch. Erkennst du mich denn nicht wieder? Ich bins, Jennifer." Ich grinste sie leicht beschämt an. „Sorry, du musst mir auf die Sprünge helfen." Sie lachte. „Ach komm schon Eve, ich bin Jenny, die Tochter von Helen; deine alte Nachbarin!" Ich starrte sie entgeistert an. Da fiel mir auf einmal die Ähnlichkeit mit Helen auf. „Ach du scheiße, Jennifer! Krass, dich hätte ich jetzt nicht erwartet!" Ihr Lächeln wirkte auf einmal verrutscht. „Warum nicht, ist das etwa so abwegig?" Ich lachte auf. „Nun ja, ich dachte du würdest es dir immer noch bei deiner Tante in der amerikanischen Sonne gut gehen lassen." „Das klingt jetzt irgendwie nicht so freundlich aus deinem Mund." Ich zuckte nur mit den Schultern. Jennifer war mit elf Jahren zu Helens Schwester nach Kalifornien gezogen, während ihre Mutter eigentlich ihre Hilfe benötigt hätte, als sie sich endlich gegen ihren Exmann Frank, der Vater von Jennifer und Phillip, gewehrt hatte.

„Und das meinte ich damit, als ich dir erzählt habe wie freundlich Eveline manchmal zu uns ist." Rory kam in die kleine Küche und schenkte mir ein verschmitztes Lächeln. Ich wusste mein letzter Spruch war nicht der Netteste gewesen, aber es war trotzdem die Wahrheit. „Haha, wie witzig du mal wieder bist.", gab ich nur zurück und schnitt dabei eine Grimasse. Mein Bruder lachte und ging zu der verunsicherten Jennifer. Sie war weggegangen, als es ihrer Mutter nicht gut ging. Klar, sie war damals selbst noch ein kleines Kind gewesen und wollte keine Partei ergreifen, aber jeder in der Nachbarschaft wusste, dass Frank Helen früher geschlagen hat. Wir waren früher alle von Jennifer enttäuscht gewesen. „Also was läuft hier eigentlich ab?", fragte ich in ihre Richtung, doch ich sah nun Rory an und wusste, dass sich etwas an der allgemeinen Ablehnung zu Jennifer geändert hat; ich ahnte nichts Gutes.

„Diskret wie immer. Ach, wie sehr habe ich unsere Konversation vermisst! Und zu deiner Frage, Jenny ist wieder zurück und obwohl es vielleicht nicht der beste Moment ist, um dir etwas zu Beichten, erkläre ich dir hiermit, dass wir Beide ein Paar sind." Ich schaute meinen Bruder verstört an. „IHR SEID WAS?!" Mein Gesicht verriet wahrscheinlich was ich für eine Meinung zu dieser Konstellation hatte, aber das war mir in diesem Moment scheißegal. „Seit wann?" „Seit drei Monaten ungefähr." „Ein VIERTEL JAHR?! Und da kommst du nicht drauf, mir das vielleicht mal zu erzählen?" Mein Bruder zuckte grinsend mit den Schultern, doch ich konnte sehen, dass er sich, obwohl er es zu verstecken suchte, in seiner Haut unwohl fühlte.

Die Vorstellung, dass Rory mir etwas über sechs Monate verheimlichte, macht mich unfassbar wütend und traurig zugleich. Seit wann hatten wir Geheimnisse voreinander? Enttäuscht bildete sich ein Kloß in meinem Hals. „Eve, ich weiß, das ist bestimmt überraschend für dich, aber..." Sofort unterbrach ich Jennifer „Wann bist du überhaupt nach Deutschland zurückgekommen!?" Sie wollte antworten, aber Rory gab ihr zu verstehen, dass sie lieber ihren Mund halten sollte. Ich wartete ab, ob er es mir erklären würde, aber es blieb still. „Ist das dein Ernst Rory?!" „Ernster kann es mir nicht sein. Also find dich damit ab." Seine Worte fühlten sich wie ein Schlag ins Gesicht an. Wieso gab er mir das Gefühl, dass ich gerade die Doofe bin, obwohl er Mist gebaut hat, indem er mir nichts sagte. Vollkommen enttäuscht wandte ich mich von dem Verräter ab und brachte Distanz zwischen dem Geständnis und meinem Bruder. Warum verheimlichten mir meine Brüder solche Sachen? Lag es an mir oder wieso wurde mir plötzlich nichts mehr verraten?

Die folgende Stunde saß ich mit Aly und Cat im Garten. Ich musste mich am heutigen Tag schon wieder abreagieren. Die Beiden versuchten mich abzulenken, indem sie mich über jeden Mist ausfragten, der mir letztes Jahr passiert war. Doch wie sollte man zur Ruhe kommen, wenn man herausfand, dass der Bruder eine miese Schlange als Freundin hatte? Ach, nee warte, Taylor hatte ja genau das gleiche mit mir abgezogen. Jetzt fehlte nur noch Leo, der mit einer Perle an seiner Seite auftauchte... Zum Glück musste ich mich nicht mehr mit den ganzen Gästen rumschlagen, da die Meisten schon gegangen waren, aber als dann auch die Letzten sich von mir verabschiedeten, war ich nur noch erleichtert, dass ich endlich ins Bett konnte. Ich wollte nur noch schlafen, um das Gefühl, dass ich noch eine Weile länger wegbleiben hätte sollen, loszuwerden.

Hallöchen, ich wollte nur kurz mal Danke sagen an diejenigen, die meine Geschichte lesen: Also Danke und habt einen schönen Tag🥳😜

Warum immer du ?Where stories live. Discover now