Ein Monat

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Tage vergingen und Wochen flogen an mir vorbei. So langsam beruhigte sich alles wieder, doch nicht bei mir. Ich realisierte nur jeden Tag von neu, dass er tot war und Phillip weg. Beide hinfort und unerreichbar. Es gab nichts was mich aufmuntern konnte und mir ging es unheimlich schlecht. Diese Zeit war einfach grausam und zu allem Überfluss habe ich mich eine Woche nach seiner Beerdigung noch für meine letzte Prüfung des Sommersemesters vorbereiten müssen. Es war Horror gewesen, doch Mom bestand darauf, dass ich ihr zuliebe dieses Semester beendete und nicht wegen einer Prüfung kurz vorm Ende alles hinschmiss. Aus diesem Grund musste ich also in der ersten Zeit noch pauken und die schlimmsten Stunden meines Lebens mit zusätzlichem Lernen hinter mich bringen. Danach war alles nur noch verschwommen. Zwar kamen letzte Woche die Ergebnisse, dass ich alles bestanden hatte, wobei die Punktzahl der letzten Klausur nur ganz knapp erreicht wurde, aber obwohl Mom darüber verdammt erleichtert war, war es mir scheiß egal. Was war schon eine durchgefallene Klausur, wenn sein eigener Bruder gestorben ist? Genau, nichts!

Nächste Woche würde dann das Wintersemester beginnen, doch nicht für mich. Ich konnte Mom überreden ein Semester Pause zu machen und sie stimmte widerwillig zu. Meine Augenringe und mein Auftreten sprachen nämlich Bände. Ich war am Ende und konnte nicht mehr. So wie die letzten Tage, lag ich auch heute einfach nur im Bett und wälzte mich in einen unruhigen Schlaf. In letzter Zeit träumte ich immer wieder von der Unfallstelle und diesem Leichenwagen. Jedes Mal schreckte ich auf und war unheimlich froh, dass es nur ein Traum war, bevor mir dann wieder einfiel, dass Leo in Wirklichkeit auch tot war und alles brach erneut wie eine riesige Welle auf mich ein. Niemand wusste von diesen Alpträumen, doch mir war nur allzu bewusst, dass Rory mich schon ein paar Mal schluchzen gehört hatte, da sein Zimmer direkt neben meinem lag. Er wohnte, wie ich auch, seit der Beerdigung bei Mom und half ihr bei allem möglichem. Ich dagegen war keine große Hilfe. Vor allem wenn man bedachte, dass mich nicht nur Leos Abwesenheit schwer belastete, sondern auch Phillips Abfuhr meinen Boden unter mir wegriss.

Ich wusste, dass das nur eins bedeuten konnte: Ich war in Phillip schon verknallt, bevor ich es überhaupt wahr haben wollte. Die Tatsache, dass ich mich also zusätzlich zu Leos Tod erneut mit einem gebrochenen Herz beschäftigen musste, obwohl ich mir geschworen habe, mich nicht noch einmal so auf jemanden einzulassen, förderte nicht gerade meine Trauerbewältigung... Ich war maßlos enttäuscht von mir selbst. Seufzend zog ich mir wieder die Decke über den Kopf, als es plötzlich an meiner Zimmertür klopfte. Ohne auf meine Antwort zu warten, die ich ohnehin nicht gegeben hätte, da ich mich jedes Mal schlafen stellte, wenn jemand in mein Zimmer platzte, wurde auch schon die Tür aufgerissen und kurze Zeit später wurde mir die Bettdecke weggezogen. „Hey Eveline." Es war Cat, doch ich beachtete sie gar nicht, suchte mit meinen Händen die Decke und als ich sie schließlich zu fassen bekam, deckte ich mich wieder zu. „Du weißt, dass du depressiv wirst, wenn du nur im Bett bleibst Eveline?" Ich drehte mich zur Antwort um und beachtete meine beste Freundin erst gar nicht. Ich lauschte auf ihr seufzen und wartete auf eine Standpauke, doch sie kam nicht. Erleichtert wickelte ich mich nur noch fester in die Decken und ignorierte den stechenden Blick, den Cat mir in den Rücken bohrte. Doch das störte mich nicht im Geringsten, da die Müdigkeit mich sowieso erneut einhüllte. Als ich kurz darauf wieder hochschreckte, war zwar meine beste Freundin nicht mehr im Zimmer, aber vor meiner Tür waren Stimmen zu hören. Ich war anscheinend nur kurze Zeit weggedriftet, denn sie stand nun im Flur. Angestrengt lauschte ich dem Gespräch, doch das war gar nicht nötig, weil man es wahrscheinlich durch das ganze Haus hören konnte. „Rory, so geht das doch nicht weiter! Sie verkriecht sich in ihrem Zimmer und es ist fast so, als würde sie gar nicht mehr existieren. Wir sehen sie nicht mehr, kriegen keine SMS und erst recht keine Anrufe! Ich weiß, dass sie trauert und da hat sie jedes Recht zu, aber das ist nicht mehr normal! Siehst du nicht, dass sie total schlecht aussieht?" „Ich bin nicht blind Cat, aber willst du ihr verübeln, dass sie momentan einfach keine Kraft mehr hat? Ich werde mich schon drum kümmern, aber Jenny meinte, dass man ihr erst mal Zeit lassen sollte." „Und wieso glaubst du, dass Jenny weiß, was richtig ist? Sie gehört noch nicht mal zur Familie!" „Aber du etwa?!" „Entschuldige mal, Eveline ist für mich eine Schwester und du wie ein Bruder." „Und Jenny ist bald meine FRAU!" „Weißt du Rory, ich mochte dich schon immer wirklich gerne, aber ist die Hochzeit nicht ein bisschen voreilig? Ihr kennt euch doch erst seit einem Jahr." „Cat, das ist nicht deine Angelegenheit." „Ich weiß das, aber einer muss es dir ja mal sagen: Eve hat es sich vielleicht nicht anmerken lassen und sich selbst etwas vorgetäuscht, aber sie war verdammt traurig und enttäuscht von dir, dass du eine Frau heiratest, die sie noch nicht mal wirklich kennt." „Was soll das denn jetzt heißen?" „Frag dich das selbst. Ich muss jetzt gehen, aber kümmere dich um sie. Eve hat Leo geliebt, aber da ist noch etwas anderes, was sie fertig macht und das hättest du gesehen, wenn du nicht auf Jennys Ratschläge hören würdest!" „Was meinst du damit Cat?" „Trauer ist die eine Sache, aber nichts zu essen und seine Mom allein zu lassen, ist eine Andere." Dann ging sie und ich lauschte auf eine Reaktion von Rory, doch es blieb still. Nachdenklich schloss ich wieder die Augen und fragte mich, ob Cat wirklich Recht hatte. War ich so enttäuscht von Rory? Ich wusste es nicht und wenn ich ehrlich war, wollte ich mir gar keine Gedanken darüber machen, denn meine Augenlider waren viel zu schwer und meine Körper viel zu schlaff.

Warum immer du ?Where stories live. Discover now