1st Anniversary Special: Jin

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Von allen Seiten dröhnte dir mittelstarker Lärm in die Ohren, den du längst gewohnt warst. Die laute Unterhaltungsweise der Ahjummas, die spielenden Kinder, die eine Person nach der anderen umrannten, und zu guter Letzt die Durchsagen, die eh niemand so richtig verstand, weil ohnehin jeder durcheinander redete, gehörten allmählich zu deinem Alltag. Morgens musstest du mit der Bahn zur Arbeit fahren und anschließend mit dieser auch wieder zurück. Am Anfang, als du in die Großstadt gezogen warst und sich somit einige Dinge geändert hatten, hattest du deine Schwierigkeiten mit diesem turbulenten Leben. Zwar wurde es mit der Zeit besser, aber es änderte nicht die Tatsache, dass du die ohrenbetäubenden Geräusche akzeptiertest. Der laufende Motor, die schaukelnden Wagons und andere Geräusche, die der Zug von sich gab, waren die einzigen Dinge, mit denen du dich anfreunden konntest. Schließlich konnte man diesen Lärm nicht verhindern, die anderen hingegen schon.

Immer hattest du es geschafft, die Zugfahrt ohne Gejammer und Gequängel zu überstehen, aber heute war einfach nicht dein Tag. Auf der Arbeit passierten dir peinliche Fehler, über die du eigentlich mit keinem reden wolltest, jedoch würde es morgen das Gesprächsthema der ganzen Firma sein. Der Weg zum Zug und die Zugfahrt an sich hatten dir zudem ebenso Schwierigkeiten bereitet, die dir sicherlich nicht passiert wären, wenn du nicht mit deinen Gedanken beschäftigt gewesen wärst. Als wäre das nicht genug gewesen, schrieb dir dein Freund eine Nachricht, in der stand, dass er das Abendessen, das ihr zur Feier eures einjährigen Jubiläums abhalten wolltet, wegen seiner eigenen Arbeit verschieben musste. Mit einem traurigen Smiley versuchte er zu verdeutlichen, dass es ihm wirklich leid tat und er trotzdem nicht anders konnte, als über Nacht im Arbeitsgebäude zu warten. Eigentlich sollte eure Zweisamkeit deinen Tag besser machen, was du dir selbst dachtest, doch dieser schien vollkommen verloren. Ausgerechnet heute an eurem Jahrestag konntet ihr nicht zusammen sein und feiern.

Dir war zum Heulen zumute. Je mehr Stunden des Tages vergingen, desto weiter wurde deine Laune runtergezogen. Auf der Rückfahrt nachhause befandest du dich in einem Zustand, in dem du nur noch eins wolltest: so schnell wie möglich heim zu kommen und sich direkt ins Bett zu legen. Über die Dinge, die tagsüber passierten, konntest du noch hinwegsehen, aber dass dein Freund nicht in euer gemeinsames Heim zurückkommen würde für heute, war das Schlimmste. Immer noch mit den Gedanken bei den geplatzten Plänen, bemerktest du gar nicht, wie die Mitfahrenden versuchten an dir vorbeizukommen und dich somit ständig anrempelten. Dies war dir mittlerweile auch egal. Der Tag würde nicht besser werden und das wusste du auch. Du hieltest dich an einer Stange fest, an die du deinen Körper gedrückt hattest, um nicht in der Menge zu versinken. Alle Plätze waren belegt, der gesamte Eingang war von Menschen überfüllt und es war beinahe eine Herausforderung, nicht runterzufallen.

Als der Zug an deiner Haltestelle anhielt, drücktest du dich durch die Menge und schließlich aus der Tür. Deine rechte Handfläche hatte sich rot verfärbt und pochte vor Schmerz. Es war ein Schmerz, der in wenigen Minuten eh verschwinden würde, also machtest du dir keine weiteren Gedanken darum. Da du noch nicht zuhause warst, suchtest du nach einem Taxi, das dich bis vor deine Haustür bringen sollte. Deine Wohnung befand sich nicht zentral, was sich in vielen Situationen bemerkbar gemacht hatte. In dem erst besten Taxi stiegst du ein und machtest dem Fahrer kurz klar, wohin er dich bringen sollte. Nach dieser flüchtigen Absprache setzte sich das Fahrzeug auch schon in Gang. Dein Interesse war nicht wirklich der Fahrdauer gewidmet, weswegen du nicht wusstest, wie lange es dauerte, bis du dein Wohngebäude erblicktest. Trotz der fehlenden Interesse fühlte sich diese Fahrt wie eine halbe Stunde an. Ob dieser Tag noch schlimmer werden könnte, fragtest du dich selbst um die tausendmal.

Auf die Sekunde genau, als das Taxi anhielt, strecktest du dem Fahrer das Geld hin, was er sofort entgegennahm, und stiegst aus. Der Weg nach oben war mühselig, da du eh schon lustlos genug warst. Im Fahrstuhl meldete sich dein Magen mal wieder und erinnerte dich erneut daran, dass es kein gemeinsames Abendessen geben würde. Für einen kurzen Augenblick dachtest du darüber nach, dir und möglicherweise deinem Freund ein Abendessen zu zubereiten, doch dies war ein verschwendeter Gedanke. Schnell hattest du beschlossen, diese Idee zu verwerfen und einfach schlafen zu gehen. Deine nächste Mahlzeit wäre das morgige Frühstück. Nach diesem Beschluss war in dir alles leer. Dir strömten die Sorgen und Probleme nicht mehr durch den Kopf. Du hattest sie bewusst verdrängt, damit du nicht mit negativen Gedanken einschlafen musstest. Bekanntlich konnte man nicht gut einschlafen, wenn man über sich selbst und die ganze Welt nachdachte, beziehungsweise sich selber mit Kummer beschäftigte.

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