Kapitel 4

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5 Jahre später...

Fünf Jahre voller Leid, Trauer und Schmerz sind schon vorüber. Fünf Jahre indem ich Schläge ertragen und mich erniedrigen lassen habe. Es wurden mir fünf Jahre meines Lebens beraubt. In dem fünf Jahren hätte ich vielleicht meine Uni beendet und wäre somit erfolgreiche Lehrerin geworden. Ich hätte vielleicht einen Mann kennengelernt und erfahren, wie es ist jemanden zu lieben und auch geliebt zu werden. Ich hätte mir ja auch vielleicht eine Familie aufgebaut und wäre die glücklichste Frau auf Erden?

Doch stattdessen liege ich zusammengekauert in einem verlassenen Lager und kann mich vor Schmerzen nicht mal mehr richtig bewegen. Wieso hat das Schicksal mit mir nicht gut gemeint? Wieso musste ich ausgerechnet an dem Tag im Café sitzen und Cem, meinen Entführer, in die Augen schauen? Wieso verdammt hat er mich 'auserwählt'?!

So viele Fragen schwirren mir in dem Kopf, doch ich bekomme einfach keine Antworten. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich nie wieder ein normales Leben führen werde beziehungsweise es nicht mal kann. So vieles hat mich geprägt und es belastet mich zutiefst. Ich kriege die ganzen Bilder nicht mehr aus dem Kopf..

Wie er immer wieder mit seinem Gürtel auf mich zu kommt, mich würgt und auf mich tritt... Diese Bilder verblassen einfach nicht.

Ich wünsche mir so sehr, dass ich in meinem Kopf einfach auf einen Knopf drücken kann, um das alles zu vergessen und von neu anzufangen. Doch leider Gottes wird es nie dazu führen. Ich bin seelisch und psychisch am Ende.

Doch das Schlimmste ist, dass ich immer noch in mir, auch wenn es ganz tief in mir ist, Hoffnung habe. Hoffnung dass ich, Ela und Hayat aus diesem Loch befreit werden. Hoffnung, dass diese Dreckskerle ihre gerechte Strafe bekommen. Hoffnung, dass wir eines Tages wieder glücklich werden.

Es grenzt schon an ein Wunder, das wir alle drei am leben sind. Hayat und Ela haben nicht soviel abbekommen, wie ich. Einerseits weil sie nicht so ein lautes Mundwerk wie ich haben. Andererseits aber auch, weil ich mich immer vor sie gestellt habe, um sie zu beschützen. Und ich bereue es kein bisschen. Mein Bruder hat mir immer gesagt, dass wenn man gute Taten begeht, dass eines Tages das doppelte zurück kommen wird.

Und ich glaube mit ganzen Herzen dran, egal was komme.

Cem's Schritte holen mich wieder zur Realität zurück und Hayat klammert sich direkt an mich. Ich lege beschützerisch meine Arme um sie und muss schlucken. Das Mädchen musste im jungen Alter so viel erleben. Statt dass sie draußen mit anderen Kindern ihre Kindheit verbracht hat, liegt sie hier gefangen. Wie schlimm muss es für ein Kind sein? Nicht mal ihre Pubertät kann sie richtig ausleben.

Seine Schritte verstummen und er sieht erst mich, danach Ela an. Sofort läuten alle Alarmglocken in mir, denn sein Blick verrät nichts gutes. Oh nein, er soll ja nicht wieder auf dumme Gedanken kommen und sie in ruhe lassen!
Mit großen Schritten geht er auf Ela zu und bevor Ela sich überhaupt in eine Ecke verkriechen kann, packt er sie fest am Arm und zieht sie auf die Beine.

"Nicht so schnell, du kommst mit mir" er grinst amüsiert und hat sie fest im Griff.

Ich lasse Hayat los und stehe sofort auf. "Nein!" schreie ich und will auf sie zugehen, aber weit komme ich nicht, da ich immer noch am Knöchel gefesselt bin.

Verdammt, wieso kann der diese Fessel nicht abmachen? Ich kann doch so oder so nicht abhauen!

"Sei still, zu dir komme ich auch noch später" knurrt er mit seiner dunklen Stimme und zerrt Ela mit sich.

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