23.

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Na dann soll er eben alleine was essen gehen, wenn ich ja so egal bin.

Stumm betrachte ich die vorbei rasenden Autos auf der Fahrbahn, während ich aus dem Fenster der Raststätte schaue und der Himmel langsam eine rötliche Farbe vom Sonnenuntergang einnimmt.

Wie lange ich wohl mit Kyle noch festsitzen werde oder besser gesagt auf der Flucht sein werde. Mir entweicht ein spöttisches Lachen aus der Kehle. Es ist so absurd, wenn man bedenkt, wie man Leben bis vor paar Tagen ablief.

Jeden Tag dasselbe. In die Schule gehen, lernen und am Nachmittag was mit Mae unternehmen. Was Interessanteres gab es nicht. Während viele in meinem Alter glücklich in einer Beziehung waren, sah es bei mir ganz anders aus. Ich hatte nur meine Granni und Mae.

Natürlich liebe ich sie beide am meisten auf dieser Welt und sind mir am wichtigsten, aber ist es nicht verständlich, dass auch ich mir mal ab und zu Jemanden an meiner Seite wünsche.

Mae hatte schon viele Beziehungen im Gegensatz zu mir, die gar keine Erfahrung in diesem Bereich hat. Aber eigentlich konnte ich nichts dazu sagen, immerhin bin ich selbst schuld. Ich war bisher noch nie bereit gewesen oder hatte überhaupt Interesse gehabt. Doch wenn ich Mae sehe oder in den letzten Tagen Sava und Hunter, dann steigt in mir die Sehnsucht nach Beistand, Halt und Liebe noch mehr.

Gedankenverloren wende ich meinen Blick von draußen ab und lasse ihn durch die Gegend schweifen. Ich sitze an einem Zweiertisch und warte auf Kyle, der sich was kaufen gegangen ist. Mein Blick bleibt an dem Tisch gegenüber hängen, an dem eine sehr alte Frau und ein kleines Mädchen im Alter von sieben Jahren sitzen.

Dieses Bild erinnert mich so sehr an meine Granni und mich selber. Früher sind wir immer in das Café um die nächste Ecke gegangen um meinen Lieblingskuchen, Lemon Cheesecake zu essen. Wir hatten dort immer stundenlang nach der Schule verbracht, aber das hat sich dann mit der Zeit gelegt, je älter ich wurde. Mein Hals verkrampft sich bei den Erinnerungen, und augenblicklich wird mir klar, wie lange ich schon nichts mehr richtiges mit Granni unternommen hatte. Ein schlechtes Gewissen macht sich breit, bei dem Gedanke, dass ich vielleicht nicht mehr all zu viel Zeit haben werde bei dem Alter von Granni, und es ausnutzen sollte, bevor ich es später irgendwann bereue. Ich will gerade nichts lieber tun, als in den Armen meiner Oma zu liegen und über alles mögliche zu reden.

Meine Gedanken werden durch ein lautes Ziehen des gegenüberstehenden Stuhls unterbrochen und ein schwarz gekleideter Kyle lässt sich mit einem Tablett voller Essen nieder. Er zieht das Tablett zu sich und schnappt sich einen Burger.

Mein Blick gleitet auf sein Essen, woraufhin mein Magen sofort anfängt zu knurren. Er hat sich zwei Burger, eine Cola, zwei Pommes und einen Kaisersalat gekauft. Meine Augen weiten sich ein wenig bei der Menge.

"Hast du wirklich vor das alles alleine zu essen?" murmele ich und blicke ihn dabei an, während er genüsslich seinen Burger isst.

"Hmm."

"Aha."

"Du wolltest ja nichts, also..." er schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an und nimmt dabei einen Schluck von seiner Cola.

Genau in diesem Moment knurrt mein Magen wie auf Knopfdruck ganz laut. Kyles Mundwinkel zucken verräterisch, während ich peinlich den Blick von ihm abwende.

Ich senke meinen Kopf und betrachte meine Hände, die auf meinem Schoß liegen, ob wären sie sehr interessant. Jedoch wird meine Aufmerksamkeit von etwas anderem gezogen. Eine Hand schiebt sich in mein Blickfeld und wird wieder zurückgezogen, nachdem ein Burger und ein Salat abgestellt werden.

Überrascht schießt mein Kopf hoch zu Kyle, der sich wieder seinem Burger zugewandt hat. Ich schaue ihn perplex an, während mich ein wohliger Schauer durchläuft.

"Hör auf mich anzustarren und iss lieber."

Meine Wangen erhitzen sich und ich bin kurz davor etwas zu sagen, was mir aber nicht gelingt.

"Natürlich ist nicht ALLES für mich. Bevor du gleich im Auto herumheulst, habe ich dir lieber was mitgebracht." sagt er gelangweilt und schaut mich dabei nicht an.

Nicht wissend, ob ich mich über diese Geste, dass er mir doch was mitgebracht hat, freuen, oder empört über seine übliche gefühlslose Antwort sein soll, wende ich mich meinem Essen zu.

"Dankeschön." meine Stimme ist nur ein leises Piepsen, woraufhin er nur mit einem Brummen antwortet.

Wir essen beide still unser Essen, ohne über irgendwas zu reden, was für Außenstehende bestimmt seltsam aussehen mag.

Ich schlucke noch den letzten Bissen runter, während Kyle seine Pommes zu Ende isst.

"Darf ich auf die Toilette?" Er schaut überrascht zu mir und runzelt die Stirn.

"Ähm ja klar. Aber warte ich komme mit." Jetzt bin ich diejenige die ihn stirnrunzelnd ansieht.

"Kyle. Auf Toilette! Warum willst du mitkommen?"

"Keine Sorge, ich komme ja nicht mit in die Kabine. Ich werde nur davor warten."

Ich lasse einen genervten Seufzer raus und verdrehe leicht die Augen.

Wir tun unseren Müll auf das Tablett und stellen diesen auf den Abstellwagen ab, um kurz darauf zu den Toiletten zu marschieren. Es ist ein kurzer Flur, in dem sich auf beide Seiten Toiletten befinden.

Ich betrete die Damentoilette, während sich Kyle mit vor der Brust verschränkten Arme im Türrahmen anlehnt, und mich abwartend mustert.

Argwöhnisch ziehe ich meine rechte Augenbraue hoch und schaue ihn zurück mit verschränkten Armen stur an. Er aber quittiert das ganze nur mit einem Schnauben und einem Augenrollen und dreht sich im Türrahmen um. Zum Glück waren hier gerade keine andere Frauen, sonst wäre das peinlich gewesen, dass Kyle hier so steht.

Kopfschüttelnd gehe ich in die eine Kabine rein und schließe die Tür ab. Dann entleere ich mich meiner Blase, nicht gerade leise, was Kyle ein kurzes kehliges Lachen entlockt.

"Shit!" mein Kopf schießt in die Höhe bei Kyles leisem Fluchen.

"Was ist?" irgendwie kommt auch bei mir nur ein Flüstern raus.

"Es kommen gerade zwei Cops in unsere Richtung. Scheiße, die dürfen uns nicht sehen." Ich höre wie er mit ein paar Schritten in die Damentoilette marschiert und mit dem Rücken zu mir hinter der Tür steht.

"Bist du endlich fertig?!" Zwar ist es nur ein Flüstern seinerseits, doch trotzdem zucke ich bei seinem harschen Ton kaum merklich zusammen. In der Ferne nehme ich zwei fremde Männerstimmen wahr, die von irgendwelchen Leuten reden, die sie suchen. Wahrscheinlich sind das die Cops.

Ohne richtig meine nächste Tat zu überlegen, was ich höchstwahrscheinlich später bereuen werde, öffne ich mit einem Ruck die Tür und ziehe ohne Vorwarnung an Kyles Unterarmen, um ihn zu mir in die Klokabine zu ziehen. Leider habe ich zu viel Schwung, weshalb Kyle mit seinem harten Brustkorb gegen meine Nase knallt und ich ungeschickt zurücktaumle. Mit zugekniffenen Augen bereite ich mich schon auf den Aufprall vor, jedoch muss ich zu meinem Glück feststellen, dass es soweit nicht kommt. Langsam öffne ich meine Augen und blicke direkt in zwei wunderschöne und ziemlich erschrockene blaue Augen. Kyle hat seinen Arm um meine Hüfte geschlungen, während ich mich mit beiden Amen an seinem Nacken klammere.

Meine Augen weiten sich als ich realisiere was gerade vorgeht. Mein Körper wird von Wärme umhüllt und die Viecher in meinem Bauch fangen an wieder verrückt zu spielen. Das Kribbeln wird noch stärker als mein Blick weiter runter von seinen Augen zu seinen geöffneten Lippen wandert. Noch dazu steigt sein Geruch von Männerduft und Rauch in die Nase, was mich dazu zwingt die Augen schließend seinen Duft zu inhalieren.

Doch bevor dies passieren konnte, was sehr peinlich gewesen wäre, holen uns die Stimmen der beiden Cops in die Realität wieder.

"Sie sind hier drinnen. Macht die Tür auf!"

ESCAPE  | ✔Where stories live. Discover now